Rückblick auf 100 Jahre Geschichte

Wie die Glasschutz-Vereinigung Heidenheim der Gleichschaltung im Dritten Reich trotzte

Vom ersten Schaden in der Pfluggasse bis zum schwierigen Umfeld heute: Vorsitzender Erwin Binder blickt zurück und in die Zukunft.

Von den vielen Glasschutzvereinigungen, die in den 1920er Jahren gegründet wurden, ist heute nur noch eine übrig geblieben: die Glasschutz-Vereinigung auf Gegenseitigkeit Heidenheim und Umgebung. Am 1. Juni 1924 wurde sie gegründet, und sie gehört heute zu den ältesten Institutionen im Landkreis. Rund 200 Geschäftsinhaber zählt sie heute als Mitglieder. In diesen hundert Jahren ihres Bestehens waren viele Heidenheimer Händler und Gewerbetreibende bei der Glasschutz-Vereinigung mit ihren Glasscheiben und Schaufenstern abgesichert, und seit hundert Jahren konnten alle versicherten Schäden erstattet werden. Der Vorsitzende Erwin Binder, der seit über 22 Jahren gemeinsam mit seinem Beirat die Geschicke des Vereins lenkt, blickt auf die hundertjährige Geschichte zurück.

Zur Gründung kam es, als in den 1920er Jahren großflächige Schaufenster industriell produziert werden konnten. Damit stieg die Nachfrage stark: Die Kosten waren im erschwinglichen Bereich und die Geschäftsleute nutzten die Möglichkeit, ihr Warenangebot zu präsentieren. Am 28. Mai 1924 versammelten sich 20 Heidenheimer Geschäftsleute im damaligen Gasthaus Raben, um die Glasschutz-Vereinigung auf Gegenseitigkeit in Heidenheim zu gründen. Sie folgten damit vielen Glasschutz-Vereinen, die in der Weimarer Republik gegründet wurden. Deren Grundgedanke war, sich wie bei einer Genossenschaft zu vereinen, um bei einem Glasschaden an Schaufenster und Theken abgesichert zu sein. Eine Gemeinschaft trägt eben einen Schaden leichter als der Einzelne. Die Gründung in Heidenheim erfolgte auf den 1. Juni 1924.

Beim Holzspalten Schaufenster zertrümmert

Im Oktober 1926 trat der erste Schadensfall ein. Im alten Protokollbuch findet sich der Eintrag: „Bei Herrn Otto Baur in der Pfluggasse wurde durch die Unvorsichtigkeit seines Mieters beim Holzspalten das Schaufenster zertrümmert“. Die Schadenssumme betrug 248 Reichsmark und sie wurde umgehend durch die Glasschutz-Versicherung bezahlt.

Auch im 100. Jahr des Bestehens ist der Gedanke erhalten geblieben, dass die Schäden durch die Beiträge vieler besser abzudecken sind als durch den Geschäftsinhaber allein, für den die Schadenssumme einen dicken Brocken darstellen würde. Denn es kann durchaus um beträchtliche Summen gehen: So beispielsweise als vor etwa zwanzig Jahren mehrere hochwertige Juwelier-Schaufenster zu ersetzen waren. Ein normales Schaufenster kostet heute zwischen 1.500 und 3.000 Euro. Spezielle Gläser können auch schnell mal 8.000 und 10.000 Euro an Kosten entstehen lassen. Dadurch erklärt sich auch, dass in einem Jahr Schäden von rund 17.000 bis 20.000 Euro zu regeln sind.

Dem „Erfordernis der Stunde“ standgehalten

So wird die Glasschutz-Vereinigung auch weiterhin ihren Mitgliedern zur Seite stehen, wenn wieder mal Glas an Fenstern und Theken zu Schaden kommen. Warum die Heidenheimer Vereinigung im Gegensatz zu den vielen anderen, die seinerzeit gegründet wurden, die einzige noch bestehende ist, während andere längst schon Vergangenheit sind? Das hängt zusammen mit dem Dritten Reich, in dem viele Glasschutz-Vereinigungen vom staatlichen Deutschen Glasschutz-Verein in Berlin übernommen wurden. Deren Anschreiben im Jahr 1933 empfahlen dringend, sich anzuschließen, da „hohe Schäden durch Einschlagen der Schaufenster jüdischer Geschäftsleute entstanden sind“. Und weiter: „Wir befinden uns in der Zeit des Zusammenschlusses und der Gleichschaltung in allen Wirtschaftskreisen und halten deshalb auch einen Zusammenschluss für das Erfordernis der Stunde“. In Heidenheim fand man das nicht: Im Protokollbuch ist im Jahr 1934 zu lesen, „es ist eine Selbstverständlichkeit, dass unsere Vereinigung weiterbestehen muss, solange uns nicht gesetzliche Maßnahmen zur Auflösung zwingen“. Ganz offensichtlich waren die Heidenheimer schon damals sehr selbstbewusst.

Die erste Nachkriegsversammlung fand im November 1946 statt. In einer Debatte ging es auch um die Frage nach Erstattung der Schäden durch Fliegerbeschuss und Besatzungstruppen. Denn § 19 der Satzung lautet auch heute noch, dass die Vereinigung nicht haftet für Schäden, die bei Eintritt eines Kriegszustandes entstehen. Im Juli 1948 ergab eine Abstimmung, die Kriegsschäden entgegen der Satzung doch zu ersetzen.

Fünf Vorstände seit 1924

Große Kontinuität hat die Heidenheimer Glasschutz-Vereinigung nicht nur bei ihren Beiträgen und kulanten Abwicklungen bewiesen, sondern auch bei der Besetzung der Vorstands- und Geschäftsführungsposten. Seit 1924 waren lediglich fünf Vorstände tätig. Die Versammlungen sprachen zum Beispiel Friseurmeister Alois Walz 40 Jahre lang ihr Vertrauen aus. Helmut Hall war ab 1976 bis zu seinem Tod im Jahr 2002 der Vorsitzende. Und Erwin Binder, aktueller Vorsitzender und Geschäftsführer, ist bereits seit mehr als 22 Jahren im Amt.

Das Umfeld ist schwieriger geworden: Seit Jahren nimmt die Zahl der selbstständigen Händler und Gewerbetreibenden in und um Heidenheim ab, mehr und mehr Filialbetriebe prägen das Bild in Heidenheims Straßen und Gassen. Dadurch wird es schwerer, die Mitgliederzahl zu halten, so Erwin Binder. Trotz dieser deutschlandweiten Entwicklung ist Binder wie auch seine Mitstreiter überzeugt, dass die in Deutschland einzigartige Institution auch in den nächsten Jahrzehnten erfolgreich wie in den vergangenen hundert Jahren weiterbestehen wird.

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