Die Zahl der in den Ruhestand Tretenden übersteigt die der Berufsanfänger. Gleichzeitig wächst der Bedarf an pädagogischen Fachkräften. Und mittlerweile liegen zahlreiche Klagen bei den Gerichten, weil Rechtsansprüche unerfüllt bleiben. Diese drei Entwicklungen gehören zu den größten Herausforderungen, mit denen sich die Kindertagesbetreuung aktuell konfrontiert sieht. Auf der Suche nach Lösungen erlaubt das Land Baden-Württemberg seit einiger Zeit, von den gesetzlichen Vorgaben abzuweichen. Ein Modell auch für Heidenheim?
Laut David Mittner, im Rathaus Leiter des Geschäftsbereichs Kinder, Jugend und Familie, kann in Heidenheim momentan jedem Kind ein Betreuungsplatz angeboten werden. Allerdings, so rechnet er vor, fehlen landesweit 60.000 Kita-Plätze – und in fünf Jahren voraussichtlich 35.000 Fachkräfte. Folglich liegt auf der Hand: Es gibt keine Gewähr dafür, dass die Situation in Heidenheim, wo es 38 Kitas gibt, so vergleichsweise komfortabel bleibt.
Abweichungen vom Personalschlüssel möglich
Was also tun, wenn die bisherigen Bemühungen ausgereizt sind, beispielsweise verstärkte Ausbildungskapazitäten, verbesserte Vergütungen und die Einstellung ausländischer Fachkräfte nicht genügen? Einen konkreten Ansatz stellte Mittner dem Kultur-, Sozial-, Schul- und Sportausschuss vor: Der sogenannte Erprobungsparagraf 11 des Kindertagesbetreuungsgesetzes erlaubt es den Trägern von Kindertageseinrichtungen im Land, versuchsweise von den Regelungen dieser Norm und von der Kindertagesstättenverordnung abzuweichen, um neue Modelle zu erproben. Heißt konkret: Hinsichtlich der Angebotsformen (Beschränkung auf die Altersgruppen U3 und Ü3, die aus Sicht des Rathauses aktuell kein Thema ist), des Mindestpersonalschlüssels und der Fachkräftequote sind Abstriche möglich.
Bislang wollen nur wenige der rund 10.000 Kitas in Baden-Württemberg von dieser Möglichkeit Gebrauch machen: Die Zahl der Anträge lag im November 2024 bei mageren 155. Aus Mittners Sicht vermag das nicht zu verwundern. Er erkennt „einen Schritt zurück von den geltenden Qualitätsstandards“. Der Ansatz, bei der gleichen Anzahl von Kindern verstärkt geringer qualifiziertes Personal einzusetzen, lässt seiner Ansicht nach die seitens des Landes formulierte Zielsetzung, „nicht nur ein Weniger zu verwalten, sondern ein Anders zu gestalten“, ins Leere laufen. Innovative Ansätze ohne Qualitätsverschlechterung seien bislang nicht bekannt.
Bildung soll nicht zur bloßen Betreuung werden
Mittner kritisiert zudem, die Verantwortung für das Kindeswohl werde bei gleichzeitig weniger qualifiziertem Personal auf den jeweiligen Träger verlagert: „Das ist gefährlich, wenn die Teams nicht voll besetzt sind, und für mich ein ganz kritischer Punkt.“ Die frühkindliche Bildung, so seine Befürchtung, werde zur bloßen Betreuung. Einig weiß er sich in dieser Einschätzung mit Bürgermeisterin Simone Maiwald: „Der Kindergarten ist eine wichtige Bildungseinrichtung. Was dort nicht geleistet wird, zieht sich bis zum Ende der Schulzeit hin.“
Als derzeit größte Herausforderung benennt Mittner die „rasant zunehmende Zahl von Kindern mit besonderem Förderbedarf“. In jeder Gruppe seien durchschnittlich bis zu zwei Kinder davon betroffen. Da sie in den allermeisten Fällen ohne externe Unterstützung in den Kitas betreut würden, stoße das System an seine Grenzen, verließen überforderte Fachkräfte das Berufsfeld.
„Wir wollen die Qualitätsstandards halten“, stellt Oberbürgermeister Michael Salomo klar und gibt damit die Richtschnur vor für die von Mittner konkretisierten Gegenvorschläge der Stadtverwaltung. So müsse der bedingungslose Rechtsanspruch hinterfragt, eine Reduzierung auf die Kernzeiten geprüft werden: „Lieber hat jedes Kind einen Betreuungsplatz, auch wenn der Umfang nicht immer dem Wunsch der Eltern entspricht.“
Außerdem bedürfe es einer Entlastung der Kitas bei der Betreuung von Kindern mit besonderem Bedarf. Erst anschließend könne beispielsweise über eine Lockerung und Flexibilisierung bei der personellen Besetzung und über einen Sozialindex gesprochen werden, der im ländlichen Bereich weniger Personal als in der Stadt vorsieht.
Diskussion über verpflichtenden Kita-Besuch
Norbert Fandrich (Linke) macht sich angesichts der Wichtigkeit frühkindlicher Bildung für einen verpflichtenden Kita-Besuch stark und erhält die Zustimmung Mittners. Dieser dämpft allzu große Erwartungen allerdings mit dem Hinweis, dabei handele es sich um eine Frage des Geldes, „und die politischen Verantwortungsträger scheuen sich davor, weil es um viele Millionen Euro geht“. Es wäre deshalb sinnvoll, so Fandrich, „dass sich die Kommunen zusammentun und Tacheles reden: Ihr müsst auch bezahlen, was Ihr uns bei der Kinderbetreuung so alles auferlegt.“
Eine Lanze für die Kindertagesbetreuung bricht auch Sabine Bodenmüller (SPD). Wer sich darauf einlasse, sei mit dem Herzen dabei, „denn an der Supermarktkasse kann man sein Geld leichter verdienen“. Mittner entgegnet, Fachkräfte in Kitas würden mittlerweile relativ gut entlohnt.
Sprache Voraussetzung für Bildung
Einige wenige Zahlen machen deutlich, welchen Herausforderungen sich die Betreuungseinrichtungen in Heidenheim gegenübersehen: Vor einem Jahr waren 59 Prozent der Kinder ausländischer Herkunft. In 46 Prozent der Familien wurde überwiegend nicht deutsch gesprochen. Dr. Waltraud Bretzger (CDU) sieht in mangelnder Sprachkompetenz das größte Manko mit Blick auf einen wünschenswerten Bildungserfolg. Ihre Frage, was die Länder in Nordeuropa diesbezüglich besser machten, beantwortet Geschäftsbereichsleiter David Mittner mit einem Hinweis auf eine andere Steuerung der Zuwanderung: „Der hohe Migrationsanteil macht es bei uns schwieriger.“ Bretzger nimmt die Eltern in die Pflicht und sieht den Bildungsauftrag in erster Linie bei ihnen liegen. Andreas Antoniuk (Grüne) pflichtet bei und spricht von einer vermehrt festzustellenden Beratungsresistenz.