Geschichte eines Schulhauses

Wie die Heidenheimer Waldorfschule dort hinkam, wo sie ist

Seit 50 Jahren thront die Heidenheimer Waldorfschule über den Dächern der Stadt: ein Rückblick.

Schon wieder vorbei das Jahr 2024. So schnell geht’s. Und vorbei auch so mancher Jahrestag, so manche Jubiläen. Selbst solche, die beinahe ein ganzes Jahr gefeiert wurden. 50 Jahre Waldorfschule zum Beispiel: vorbei. Nächstes Jahr werden es schon 51 Jahre sein.  Und zwar 51 Jahre Waldorfschule dort in Heidenheim, wo man sie seit 1974 weithin sehen kann: oben, über den Dächern der Stadt, dort, wo zuvor der Steinbruch der Firma Traber gewesen war.

Wenn man das weiß, kann man vielleicht noch ein Gefühl dafür entwickeln, wie es vor 50 Jahren womöglich ausgesehen haben könnte. Wer es nicht weiß, sieht, nun einmal von unten betrachtet, eben unübersehbar die Waldorfschule auf dem Berg thronen. Wie es dazu kam, sei an dieser Stelle kurz erzählt. Mit heutigen Worten – und in Bildern von damals.

Erste Schule im Eisenhof

Gefeiert wurde dieses Jahr die neue Waldorfschule, besser: die immer noch neueste. Denn tatsächlich gab’s ja Vorgängerinnen. Heidenheims erste Waldorfschule wurde 1946 eröffnet und befand sich im Eisenhof auf dem Gelände der Firma Voith, in dem damals auch noch die Familie Voith wohnte. Später zog man in Schulbaracken an der Alexanderstraße um, die zu Beginn der 1950er Jahre abbrannten, worauf nach und nach neue Schulgebäude auf dem Voith-Firmengelände gebaut wurden. Dort wurde es 1967 dann zu eng, sowohl der Firma, als auch der Schule.

Mit Weitblick nach Norden: die Baustelle aus der Luft. Foto: Freie Waldorfschule Heidenheim

Ein Neubau wurde geplant. Und mehrere potentielle Standorte wurden dafür unter die Lupe genommen. Zuerst ungefähr die Ecke der Stadt, in der heute das Congress-Centrum steht. Doch die Gegend war seinerzeit, insbesondere, was den öffentlichen Nahverkehr anbelangt, so gut wie nicht erschlossen. Auch das Gelände, auf dem man heute die Aquarena findet, wurde geprüft. Letztendlich wurde es der Traber-Steinbruch. 1970 waren sämtliche zu nahe an Wohngebieten des Stadtbereichs gelegenen Steinbrüche Heidenheims geschlossen worden. Die Zeit des Trümmerkalks, auch als Oolith, Schnaitheimer Marmor oder Heidenheimer Stein bekannt, speziell Mitte des 19. Jahrhunderts ein regelrechter Exportschlager der Gegend, war ohnehin vorbei.

Einweihung mit Weltstar

Das Steinbruchgelände gehörte inzwischen der Stadt. Ein auf 99 Jahre angelegter Erbpachtvertrag wurde geschlossen, der dem Verein der Freien Waldorfschule das Recht auf eine Verlängerung um immer weitere 99 Jahre zusichert, solange dieser die Schule weiterführen möchte. Sechs Jahre der akkuraten Planung bis ins allerkleinste Detail wie Türklinken, an der sich die gesamte Schulgemeinschaft beteiligt hatte, waren abgeschlossen, als 1972 mit dem Bau begonnen wurde. Und gebaut wurde nicht nur eine neue Schule, gebaut wurden auch ein Kindergarten, der von Anfang an als öffentlicher Kulturraum konzipierte Festsaal und eine Turnhalle.

Wilde Dachkonstruktion: kurz vor dem Richtfest. Foto: Freie Waldorfschule Heidenheim

Das alles wurde in heute unvorstellbar kurzer Zeit fertig. Im Oktober 1974 war Einweihung. Mit Anneliese Rothenberger sang ein veritabler Weltstar Gluck, Mozart und Strauss, und zum ersten Mal wurde die bis heute unendlich gerühmte Akustik des Festsaals offenbar.

Kosten und Spezialisten

Doch das alles wurde nicht nur in heute unvorstellbar kurzer Zeit fertig. Es kostete, heute ebenso unvorstellbar, mehr oder weniger genauso viel, wie zu Baubeginn veranschlagt worden war: knapp 12 Millionen Mark, umgerechnet in heutige Kaufkraft also knapp 20 Millionen Euro. Dafür bekommt man im Jahr 2024 zum Beispiel einen etwas mehr als überdurchschnittlichen Fußballer. 1974, als Deutschland in dieser Disziplin immerhin sogar noch Weltmeister war, erhielt man für 11.886.000,00 Mark, so viel kostete das Heidenheimer Waldorfensemble auf den hinterm Komma nicht abgerechneten Pfennig genau, neben einer herausragenden Architektur eines Stuttgarter Büros unter der Leitung von Werner Seyfert, auch noch handwerkliche Meisterleistungen, die heute so, nicht einmal für ein Vielfaches des Preises von damals, gar nicht mehr zu haben wären. Das fing an beim Bezugsstoff der Sitze im Festsaal, der tatsächlich Stück für Stück 50 Jahre gehalten hat, ging mit den Holzdecken in allen Gebäuden oder mit den Lasuren in den für jede Jahrgangsstufe mit einem anderen Grundriss versehenen Klassenräumen weiter – und war mit den plastisch, wie in sich verdreht geformten Betonsäulen im Festsaal, für die Spezialisten der Firma Züblin hinzugezogen worden waren, die sonst große dreidimensionale Einlaufschächte für Turbinen bauten, noch nicht zu Ende.

Hier noch unter freiem Himmel: Die plastisch geformten, wie in sich verdrehten Betonsäulen des Festsaals wachsen in die Höhe. Foto: Freie Waldorfschule Heidenheim

Beinahe zehn Prozent der Gesamtkosten, nämlich eine Million Mark, mussten allein für die Geländeaufbereitung im Steinbruch aufgebracht werden. Der Abraum von oben fand übrigens unten am Berg Verwendung beim Bau der Auf- und Abfahrtrampen der Seewiesenbrücke. Zur Finanzierung des Baus nahm der Verein in der damaligen, zeitweise mit Zinssätzen im zweistelligen Prozentbereich aufwartenden Hochzinsphase Darlehen in Höhe von rund 2,2 Millionen Mark auf. An Zuschüssen flossen 5,2 Millionen Mark, Eigenmittel standen in Höhe von 3,9 Millionen Mark zur Verfügung. Hinzu kamen noch Spenden und sogar einige private Darlehen.

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