Interview

Wie die Heidenheimer Weltfirma Edelmann die Restrukturierung erfolgreich geschafft hat

Hinter dem Heidenheimer Faltschachtel-Hersteller Edelmann liegen einige harte Jahre mit negativen Geschäftszahlen und der Restrukturierung des internationalen Konzerns. Geschäftsführer Dr. Frank Hornung beschreibt im HZ-Interview, wie das gelungen ist und was die Herausforderungen im Geschäftsfeld von Edelmann sind.

Der Heidenheimer Faltschachtelhersteller Edelmann Group ist ein international tätiges Unternehmen mit weltweit rund 3000 Mitarbeitenden. Werke gibt es in Deutschland, aber auch in Polen, Ungarn, Brasilien, Mexiko, Indien und China. Aus den USA und Frankreich hat sich das Unternehmen zurückgezogen. Dies war Teil eines Restrukturierungsprozesses, von dem Dr. Frank Hornung, CEO und Sprecher der Edelmann-Geschäftsführung, im Interview berichtet.

Herr Dr. Hornung, Edelmann hatte in den Jahren 2018 bis 2021 hohe Fehlbeträge in seinen Jahresabschlüssen, die Verluste lagen zwischen 2,9 und 18,5 Millionen Euro. Wodurch kamen diese zustande?

Wir haben 2018 damit begonnen, den Konzern umzubauen mit einem Fokus auf die Kernfelder. Wir haben uns von Geschäftsfeldern und Produkten getrennt, die wenig profitabel waren. Dieser Prozess lief im Kern von 2019 bis 2021. Dadurch hatten wir Sonderabschreibungen und Einmalkosten, beispielsweise für Abfindungen, etwa im Zusammenhang mit der Auflösung von Werken in den USA. Das sind Dinge, die uns in den Jahren 2019 bis 2021 stark finanziell belastet haben, die aber in Abstimmung mit den Eigentümern und Finanzpartnern erfolgten. Das war so geplant.

Warum haben Sie die Niederlassung in den USA geschlossen?

Dort hatten wir ein Werk, das sich in Teilen fokussiert hatte auf das Bedrucken von Inlays für CD-Hüllen. Zuerst hatten wir überlegt, das Produktfeld umzubauen, aber das war zu schwierig, sodass wir uns ganz davon getrennt haben. Den Rest der Produktion in den USA haben wir zugunsten unserer beiden Werke in Mexiko geschlossen. In Mexiko befindet sich das größte Edelmann-Werk weltweit, dort produzieren wir heute auch einen Teil der Faltschachteln aus der US-Produktion und exportieren in die USA. Ähnlich haben wir in Frankreich agiert. Dort haben wir das Werk geschlossen, speziell zugunsten des Werks in Heidenheim. Ein Teil der Produktion wurde aber auch nach Polen verlagert.

Die letzten drei Jahre waren hart, aber sehr erfolgreich.

Dr. Frank Hornung, Edelmann-CEO

Wie sind Sie in dieser Strategie vorgegangen?

Wir haben versucht, die Gruppe einerseits von Dingen zu trennen, bei denen wir keine langfristigen Erfolgsaussichten gesehen haben. Andererseits haben wir investiert in Effizienzsteigerung. Wir haben uns auch bewusst für den Standort Deutschland entschieden, haben aber zwei Werke, die räumlich sehr nahe beieinander waren – Wuppertal und Leverkusen - in eines konsolidiert. Dafür haben wir ein neues Werk in Burscheid, in der Nähe beider Städte, aufgebaut und 20 Millionen Euro darin investiert. Auch das waren Sonderkosten, inklusive der Produktionsunterbrechungen über sechs Monate hinweg.

Wie sehen die Zahlen von 2022 und 2023 aus? War der Konzernumbau erfolgreich?

Die letzten drei Jahre waren hart, aber sehr erfolgreich. Wir haben 2022 die Früchte der harten Arbeit geerntet: Der Turnaround war geschafft, das Jahresergebnis wieder positiv. 2023 hatten wir ein Rekordjahr im bereinigten operativen Ergebnis, obwohl die Konjunktur Ende 2023 schon abflaute. Darauf sind wir auch stolz, aber der Weg dorthin war hart. Deshalb danken wir auch unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre geleistete Arbeit und ihre Flexibilität.

Wie genau fiel das Ergebnis 2023 aus?

Die Zahlen finden Sie demnächst im Bundesanzeiger.

Wie sieht die Konzernstruktur von Edelmann aus?

Unter der Edelmann Holding, die von der Familie gehalten wird, finden sich alle nationalen und internationalen Werke. Jedes Werk hat seine eigene rechtliche Einheit. In Heidenheim sind das zwei: das Edelmann Service Center, das Leistungen für die gesamte Gruppe erbringt wie Entwicklung und Management, sowie das Werk, in dem in Heidenheim produziert wird. Im Übrigen sind wir sehr stolz darauf, dass wir das zweitgrößte Familienunternehmen in der Verpackungsindustrie in Europa sind.

Edelmann in Heidenheim besteht aus dem Edelmann Service Center (Gebäude vorne), das für alle Werke weltweit tätig ist, und dem Werk Heidenheim (hinterer Gebäudeteil), in dem produziert wird. Rudi Penk

Wie würden Sie die Branchensituation in der Verpackungsindustrie beschreiben und welche Auswirkungen hat das auf Edelmann?

Wir stellen Verpackungen her für Produkte, die direkt an den Konsumenten verkauft werden. Wir hängen also direkt vom Konsum ab, und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Denn die Produkte, die wir hier in Europa verpacken, werden in Teilen in die ganze Welt verschickt, beispielsweise französische Parfums, die in China verkauft werden. Was im Verpackungsmarkt passiert, ist das, was die gesamte Konjunktur gerade erlebt: hohe Inflation, zurückhaltende Verbraucher, weniger Konsum. Die ganz allgemeine Kaufzurückhaltung spüren wir seit dem letzten Quartal 2023.

Welche Produkte werden in Faltschachteln von Edelmann verpackt?

Wir unterteilen unseren Markt in drei Segmente: Mindestens ein Drittel unseres Geschäfts sind Verpackungskonzepte für Pharmaprodukte. Unternehmen wie Bayer oder Novartis lassen ihre Medikamente in unseren Faltschachteln verpacken. Gerade in Deutschland sind wir sehr stark in diesem Segment. Dann haben wir noch zwei weitere Geschäftsfelder: Kosmetik und Consumer Brands. Letzteres sind typische Supermarkt-Produkte, allerdings im Premiumbereich, also hochveredelte Verpackungen.

Die Konjunktur ist in den drei Segmenten vermutlich unterschiedlich, oder?

Ja, Pharma ist relativ konjunkturunabhängig und stabil. Im Bereich Beauty und Kosmetik mit Parfum und Haarcoloration sind wir sehr stark, das können nur ganz wenige. Hier sind die konjunkturellen Dellen oft etwas zeitverzögert und nicht ganz so ausgeprägt – ein Parfum leistet man sich doch, auch wenn sonst gespart wird. Zudem gönnen sich die Menschen nach wie vor Reisen und dabei kauft man auch oft Beautyprodukte. Wirklich konjunkturabhängig sind die Produkte, die im Supermarkt verkauft werden. Hier passiert etwas, das man „Downtrading“ nennt: Man kauft sich nicht mehr das hochwertige Produkt, sondern eher das günstige, und das spüren wir dann, weil wir das Premium-Produkt verpacken.

Machen alle Werke alles oder sind sie spezialisiert?

Wir haben spezialisierte Werke: In Norderstedt, Burscheid, Bitterfeld, Weilheim und Lindau produzieren wir ausschließlich Verpackungen beziehungsweise Beilagen für die Pharma-Industrie. In Heidenheim spielt Pharma kaum eine Rolle, hier stellen wir hochveredelte Produkte her, beispielsweise mit haptischen Effekten oder Goldstreifen, Das machen wir ausschließlich in Heidenheim und in Polen, für den Consumer-Markt und den Beauty-Markt, deshalb benötigt das Werk in Heidenheim mehr Flexibilität als die übrigen Pharma-Werke in Deutschland.

Können Sie das etwas genauer erklären?

Das Geschäft in der Verpackungsindustrie ist extrem kurzlebig, wir haben keine Zwölfmonats-Aufträge. Das liegt daran, dass auf die Verpackungen in der Regel auch Inhaltsstoffe und rechtliche Informationen kommen, was sich immer wieder ändern kann. Außerdem drucken wir Verpackungen in verschiedenen Sprachen und der Kunde hält deshalb je nach Absatz in den Ländern die Bestellung von neuen Verpackungen sehr lange zurück. Wir müssen dann innerhalb von vier oder fünf Wochen, bei Pharmaverpackungen sogar innerhalb von zwei Wochen, die Verpackung liefern. Wir wissen also manchmal erst am 1. Juli, was wir am 15. Juli ausliefern. Das wiederum bedeutet, dass bei uns zur allgemeinen konjunkturellen Abkühlung immer noch die Komponente der kurzfristigen Schwankung hinzukommt.

Wie geht man als Unternehmen damit um?

Wir können nichts aufs Lager legen, weil wir nicht wissen, ob die Verpackung in vier Wochen immer noch so aussehen soll. Die einzige Möglichkeit, mit Kurzlebigkeit zu arbeiten, ist Flexibilität. Wir müssen atmen. Wir haben zu jeder Zeit des Konzernumbaus versucht, mit der Mannschaft so, wie sie ist, zu atmen. Wir haben nie nach dem Prinzip „hire und fire“ gearbeitet. Wir nutzen das, was man mit der bestehenden Mannschaft zur Verfügung hat. Wir haben in einigen Werken Vereinbarungen, mit denen wir die wöchentliche Arbeitszeit verändern können zwischen 35 und 37,5 Stunden. Wir haben in allen Werken Arbeitszeitkonten, mit denen wir Stunden ansammeln, aber auch Minusstunden generieren können. Wenn das nicht reicht, gehen wir auch mal in die Kurzarbeit wie zuletzt in Heidenheim - immer mit dem Ziel, den Mitarbeiterbestand relativ konstant zu lassen, ausgenommen sind Helferpositionen und Leiharbeiter und –arbeiterinnen, mit denen wir atmen. Das geht aber nur bei helfenden Händen, nicht, wenn man ausgebildete Druckerinnen und Drucker oder andere Facharbeiterinnen und Facharbeiter braucht.

Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit für Edelmann, das ja bei allen Unternehmen ein großes Thema ist?

Der Markt der faserbasierten Verpackungen wächst tendenziell, weil mehr und mehr unserer Kunden von Kunststoff-Verpackungen wegwollen. Wir haben zum Beispiel den Kunden Zwilling, der Nagelscheren produziert. Er hat vor zwei Jahren sein komplettes Sortiment mit uns von Kunststofftäschchen und –verpackungen umgestellt auf faserbasierte Verpackungen aus Karton. Das ist nachhaltig und recyclingfähig, es sind wasserbasierte Farben. Man darf es natürlich mit der Veredelung nicht übertreiben, komplett laminierte Verpackungen beispielsweise werden wahrscheinlich verschwinden.

Edelmann profitiert also vom Trend zur Nachhaltigkeit?

Wir sind generell sehr zuversichtlich, was Wachstumsaussichten betrifft. Noch ein weiteres Beispiel: Wir haben mit einem großen Kunden ein mehrjähriges Projekt, das zum Jahresende in den Markt gehen wird. Dabei geht es um Bürstenaufsätze für elektrische Zahnbürsten, die bislang verkauft werden in einer faserbasierten Rückwand mit einer Kunststoffhaube. Wir verpacken dieses Produkt – eine Million Stück am Tag – in komplett faserbasierte Faltschachteln. Das klingt zwar sehr einfach, das Problem ist aber in diesem Fall, dass die Zahnbürste die Verpackung aus hygienischen Gründen an keiner Stelle berühren darf. Das war eine technische Herausforderung, dafür haben wir hier im Haus Entwicklungsexperten. Das ist so ein ganz typisches Nachhaltigkeitsprojekt, von dem wir profitieren können. Wir werden natürlich auch manche Aufträge verlieren, das will ich nicht verheimlichen – weil manche Produkte zusätzlich in Faltschachteln verpackt sind und diese irgendwann wegfallen. Aber in Summe wird deutlich weniger wegfallen als neu dazukommt.

Lassen Sie uns nochmal einen Blick auf das Werk in Heidenheim werfen, vor allem vor dem Hintergrund von Kurzarbeit und Abfindungsverträgen. Hat die Produktion in Heidenheim eine Zukunft?

Unsere Kurzarbeitsvereinbarung für das Werk in Heidenheim läuft zum 31. Juli aus. Dann sind wir zwar noch nicht bei unserer normalen Auslastung, aber soweit, dass unsere normalen Instrumente zur Flexibilität reichen. Wir werden in diesem Jahr eine Modernisierungsinvestition in Heidenheim tätigen. Wir haben im letzten Jahr vieles bezüglich Arbeitssicherheit und Logistik optimiert, jetzt sind die Anlagen dran. Wir werden dieses Werk mehr und mehr auf Nischenprodukte, Hochveredelung und komplizierte Lösungen ausrichten. Je einfacher die Faltschachtel ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das jemand in Osteuropa auch kann und billiger anbietet. Deshalb richten wir uns darauf ein, dass alles, was etwas einfacher ist, hier nicht produziert wird. Das Werk Heidenheim ist heute schon das beste in hochveredelten, komplizierten Faltschachteln. Und der Markt dafür ist groß genug, um dieses Werk auszulasten.

Brand-Gebäude bleibt außer Betrieb

Anfang 2018 entstanden auf dem Edelmann-Betriebsgelände bei einem Großbrand im Keller des Versandgebäudes massive Schäden. Das Gebäude sei nach wie vor abgesperrt und nicht zugänglich, erläutert Edelmann-CEO Dr. Frank Hornung. Es gebe aktuell keine Notwendigkeit, etwas zu tun. "Ich bin zu sehr effizienzgetrieben, um Geld in den Rückbau zu stecken, wenn wir das an anderer Stelle sinnvoller investieren können", sagt Hornung. Nach dem Brand seien kurzfristig Maschinen ausgelagert worden, aber das sei inzwischen längst vorbei. "Wir haben uns komplett neu organisiert, sodass dieser Abschnitt nicht mehr gebraucht wird", so der Edelmann-Chef.


Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar