Wie eine Aufführung von „Der Zauberer von Oz“ hinter den Kulissen abläuft
Schon einmal einen Löwen in Turnschuhen gesehen? Eine Vogelscheuche, die auf einem Smartphone tippt? Oder gar eine Hexe mit Perückenkappe auf dem Kopf? Im Opernzelt im Heidenheimer Brenzpark gibt’s das zu sehen. Oder besser: gab’s das zu sehen. „Der Zauberer von Oz“ wurde dort in den vergangenen Wochen aufgeführt, heute, am 5. Juli findet die finale Aufführung der Jungen Oper statt. Wo auf der Bühne das magische Land Oz zum Leben erwacht, geht es hinter den Kulissen herrlich unmagisch zu. Und vor allem: ganz schön hektisch.
Insbesondere die Sopranistin Julia Danz hat hinter Bühne ordentlich zu tun. Sie verkörpert vier verschiedene Rollen und durchläuft während einer einzelnen Aufführung ganze sieben Kostümwechsel. Wie sie und der Rest des Ensembles das schaffen? Wir haben hinter die Kulissen gespickelt.
„Der Zauberer von Oz“: So läuft eine Vorstellung hinter den Kulissen ab
9 Uhr: In einer halben Stunde geht’s los. Im Hintergrund wird eifrig eingesungen, eingespielt und lamentiert. „Können wir’s nicht verschieben? Ich bin noch nicht bereit“, fragt der Löwen-Bass Daniel Di Prinzio etwas leidend, aber sicher nicht ganz im Ernst.
9.22 Uhr: Nach und nach findet sich das Publikum im Opernzelt ein, die Intensität der Kinderstimmen schwillt an. Julia Danz, Daniel Di Prinzio und der Tenor Christoph Wittmann alias die Vogelscheuche machen sie bereit. Obenrum erkennt man in ihren Kostümen einfache Farmarbeiter, von der Hüfte abwärts stecken sie bereits in den nächsten Rollen.
9.33 Uhr: Showtime. „Toto? Wo bist du denn?“, ruft Dorothy fragend in Richtung Publikum. Hinter den Kulissen machen sich die Garderobiere Cornelia Kassuhn und die Maskenbildnerin Gertrud Gombert bereit. Sie müssen heute oft und schnell reagieren. Ebenso die Darstellerinnen und Darsteller: Während Wittmann und Di Prinzio noch den Sturm besingen, ziehen sie sich außerhalb des Publikum-Blickfelds bereits um. Wittmanns Arbeiter wird zur Vogelscheuche umgepflanzt, Di Prinzios Onkel Henry bekommt ein dickes Fell und wird zum Löwen.
Julia Danz schlüpft parallel aus der Rolle der Tante Em heraus und in die der glamourösen Hexe Glinda. In Windeseile – ihr bleiben nur etwa vier Minuten – bekommt sie von Kassuhn und Gombert ein blassblaues, leuchtendes Überkleid übergestülpt, eine pastellfarbene Perücke aufgesetzt und einen Zauberstab in die Hand gedrückt. Auf Zehenspitzen tänzelt Danz, nun als Glinda, Dorothy auf der Bühne entgegen.
9.40 Uhr: Kaum ist sie da, tritt sie schon wieder ab. Glinda verlässt die Bühne, die gute Hexe wird nun in die böse Hexe transformiert. Für Julia Danz stellt sich ein seltener Moment der Ruhe ein. Ein Schluck Wasser, einmal kurz Nacken und Beine dehnen und schon sind Kassuhn und Gombert wieder an ihrer Seite. Danz tauscht die Pastell-Haare gegen eine pechschwarze Perücke, den Zauberstab gegen bekrallte Handschuhe und das blaue Kleid gegen einen schwarzen Mantel und Netzstrümpfe.
Ein Job, der zwei Helferinnen benötigt. „Zu Beginn der Proben war das bei allen Kostümwechseln so“, erzählt Cornelia Kassuhn. Inzwischen hätten sich die Handgriffe eingespielt, seit der Premiere kann Kassuhn die meisten Kostümwechsel alleine bewältigen.
Sopranistin Julia Danz: „Das ist ein halbes Sportprogramm“
9.52 Uhr: Auftritt der bösen Hexe. Danz spielt, singt und bewegt sich auf einmal völlig anders. Sie geht leicht gebeugt, fast schon lauernd, dazu lacht sie ein hexenhaftes Gackern. „Man passt die eigene Stimme der jeweiligen Rollen an“, wird sie später erzählen. Was sie zu Beginn für sich selbst im stillen Kämmerlein einstudiert hatte, kam erst bei den szenischen Proben zusammen, darunter auch die jeweilige Stimmfarbe. „Der Körper merkt sich, wie er in der jeweiligen Rolle zu spielen hat. Das Kostüm zu wechseln, hilft dabei natürlich auch“, erklärt Danz.
9.55 Uhr: Drei Minuten steht die böse Hexe auf der Bühne, drei Minuten hat Julia Danz im Anschluss Zeit, in ihre vierte Rolle zu schlüpfen. Als Wächterin der Smaragdstadt muss sie sich nur von der Hüfte aufwärts in Schale schmeißen: grüner Schleier, grüne Sonnenbrille, die untere Hälfte bleibt hexenhaft. Auf ihren Einsatz muss sie kniend hinter der Kulisse warten. Ein Knochenjob, findet mitunter auch die Sopranistin selbst. „Man singt ja nicht nur, das ist quasi ein halbes Sportprogramm. Nach der zweiten Vorstellung wird der Körper dementsprechend müde.“
10.04 Uhr: Aus der halben Hexe wird einmal mehr eine ganze. Sie steigt auf eine hinter den Kulissen platzierte Treppe, lauert von dort aus auf Dorothy und deren Freunde, lacht einmal kurz gehässig und hexenhaft auf – und ist schon wieder weg. An dieser Stelle ist es wieder Julia Danz, die die Beine in die Hand nimmt, unter der Opernzeltplane hindurchschlüpft und sich raschen Schrittes auf die andere Seite des Zelts begibt. Dort wartet sie kauernd darauf, über eine weitere Treppe urplötzlich hinter dem Rücken des Publikums aufzutauchen und allen einen gehörigen Schreck einzujagen.
10.19 Uhr: Der Stuhl, da ist er wieder. Auf der Bühne wurde die böse Hexe inzwischen besiegt, dahinter schlüpft Julia Danz in zwei inzwischen bekannte Rollen. Obenrum wird sie zur Wächterin, untenrum entsteht die gute Hexe. Dorothy hat eine Idee: „Wir rufen Glinda!“ Die richtet gerade noch ihre Perücke, ehe sie einmal mehr ballerinaartig auf die Bühne tänzelt und zu ihrer finalen Arie ansetzt. „Die schraubt sich am Ende noch einmal richtig nach oben“, wird Danz diesen Part später resümieren. Nicht nur die vielen Rollenwechsel verlangen vieles, wenn nicht alles von der Sopranistin ab. Gesanglich bewegt sich „Der Zauberer von Oz“ ebenfalls auf sehr hohem Niveau. „Stimmpflege ist da sehr wichtig. Ich inhaliere daher auch jeden Abend und an freien Tage singe ich dann einfach einmal nicht“, so Danz.
10.31 Uhr: Glinda geht ab. Ein allerletzter Kostümwechsel steht an. Raus aus dem magischen Kleid, rein in die simplen Farmerklamotten. Tante Em betritt die Bühne, Dorothy findet ihr Happy End. Alle glücklich, alle zufrieden. Alle rechtschaffen erschöpft.