Arthur-Hartmann-Schule wächst

Kinder mit Sprachproblemen: Woran es liegt und wie die Arthur-Hartmann-Schule in Heidenheim hilft

Mehr Kinder, mehr Sprachprobleme: Was hinter der steigenden Schülerzahl steckt und ob das die Nachwirkungen von Corona sind, darüber spricht das Schulleiterinnen-Team der Arthur-Hartmann-Schule, Heike Mack und Lisa Kraft:

Die richtigen Wörter zu finden, klare Sätze oder Laute zu sprechen: Warum einigen Kindern das schwerfällt, ist bis heute nicht vollständig erforscht. Hilfe bekommen sie in Heidenheim in der Arthur-Hartmann-Schule, wo die Zahl der Kinder stetig steigt. Im kommenden Schuljahr braucht es sogar eine zusätzliche Klasse. Warum das so ist und wie die Förderung wirkt, darauf geben Schulleiterin Heike Mack und ihre Stellvertreterin Lisa Kraft Antworten.

Immer mehr Kinder besuchen die Arthur-Hartmann-Schule. Wie groß ist der Zuwachs?

Heike Mack: Wir sind mit 87 Schülerinnen und Schülern im September 2023 ins Schuljahr gestartet, mittlerweile sind es aufgrund der Quereinsteiger mehr als 90. Für das kommende Schuljahr 24/25 rechnen wir mit mindestens 106 Schülerinnen und Schülern, was einem Zuwachs um 22 Prozent entspricht.

Woher kommt dieser starke Zustrom?

Heike Mack: Der Zustrom an den SBBZ (Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren) ist überall steigend. Wir haben eine gute Frühförderung in den Kindergärten. Die Fachkräfte können schnell einschätzen, ob die Defizite durch Logopädie behoben werden können oder ob es tiefer sitzende Dinge sind, die besonderen Unterricht brauchen. Sie empfehlen dann, die Kinder zu uns zu schicken.

Lisa Kraft: Eine eindeutige Erklärung, warum die Zahlen steigen, haben wir nicht. Aber eine mögliche Herleitung ist: Die neuen Erstklässler waren genau während der Corona-Zeit im Kindergarten und viel vom Lockdown betroffen. Bei manchen Kindern hat sich das ausgewirkt, bei anderen nicht. Diejenigen, die schon Probleme hatten, bei denen haben sie sich womöglich verstärkt.

Mack: Die Bildungspolitik reagiert stark darauf, dass Kindern immer mehr die Basisfähigkeiten fehlen. Deshalb geht der Fokus auf den frühkindlichen Bereich, um das aufzufangen. Kinder kommen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule. Früher kamen zu uns überwiegend Kinder, die in allen Bereichen altersgerecht oder sogar schon weiter entwickelt und unbelastet waren, nur die Sprache war beeinträchtigt. Jetzt haben wir kaum mehr Kinder, die nur Sprachförderbedarf haben. Defizite gibt es auch bei der Konzentration, Aufmerksamkeit und Motorik.

Das Schulleiterinnen-Duo der Arthur-Hartmann-Schule in Heidenheim: Lisa Kraft (links) und Heike Mack. Rudi Penk

Sie sagen, die neuen Erstklässler waren während der Corona-Zeit im Kindergarten. Hat das Spuren hinterlassen?

Mack: Die Erzieherinnen hatten weniger Kontakt als sonst, konnten vielleicht die Eltern nicht immer auf Defizite in der Entwicklung hinweisen. Es fand auch keine Ergotherapie statt. Aber dass Kinder vermehrt psychosoziale Belastungen haben, die auf die Corona-Zeit zurückzuführen sind, das können wir bei uns nicht bestätigten. Es gibt Kinder, die mit der häuslichen Situation zu kämpfen haben, aber das hatten wir schon immer, das hat sich durch Corona nicht verändert. Es sind eher die Dinge, die im Leben vorkommen, ein Todesfall, eine Trennung, Umzüge.

Die Heidenheimer Schulleiterin Heike Mack, Rudi Penk

Kann es am Elternhaus liegen, dass Sprache verkümmert?

Mack: Wir haben tolle Familien, die sich vorbildlich um ihre Kinder kümmern und wo ein Kind dennoch schwer sprachgestört ist. Das Zentrum für Entwicklung und Lernen in Heilbronn hat es einmal so anschaulich gemacht: Sprache lernen ist wie ein innerer Werkzeugkasten. Die meisten Kinder können ihn intuitiv benutzen, andere nicht. Wenn Eltern fragen, was sie falsch gemacht haben, kann man ihnen die Angst nehmen. Es ist bis heute wissenschaftlich nicht erfasst, woher eine Sprachstörung kommt.

Kraft: Da muss schon vorher etwas sein, dass ein Kind die Werkzeuge nicht nutzen kann. Förderung und aktive, zugewandte Beschäftigung sind immer förderlich für die Entwicklung. Wenig Anregung im Elternhaus verstärkt dann die Problematik.

Wenn man zudem viel miteinander unternimmt, dann hat man auch viel, worüber man sich unterhalten kann.

Heike Mack, Schulleiterin

Mack: Es gibt auch Untersuchungen, die belegen, dass Menschen anders reagieren und sprechen, wenn sie ein sprachgestörtes Kind vor sich haben. Sie sprechen dann besonders wenig oder besonders klar, auch das kann die schlechte Sprachentwicklung verstärken. Was den Kindern am meisten hilft, ist eine normale Kommunikation. Wenn man zudem viel miteinander unternimmt, dann hat man auch viel, worüber man sich unterhalten kann. Deshalb achten wir in der Arthur-Hartmann-Schule darauf, dass wir auch kulturelle Veranstaltungen besuchen. Wir sehen, wie gut es den Kindern tut. Das hat in der Corona-Zeit gefehlt.

Kraft: Wenn wir zum Beispiel das Naturtheater oder die Junge Oper besuchen, dann fällt es Kindern schwer, die Geschichte rein auditiv aufzunehmen. Deshalb bereiten wir solche Besuche im Unterricht vor, besprechen den Wortschatz vorher.

Lisa Kraft ist seit vorigem Jahr stellvertretende Schulleiterin der Arthur-Hartmann-Schule in Heidenheim. Rudi Penk

Beschreiben Sie, welche Sprachprobleme Kinder haben, die zu Ihnen kommen.

Kraft: Wenn es nur ein paar Laute betrifft, empfehlen wir Logopädie. Wenn die Grammatik oder auditive Verarbeitung betroffen ist, dann kann man sagen, das wird mit nur Logopädie und Regelgrundschule schwierig werden. Dann sind die Kinder besser bei uns aufgehoben.

Mack: Es gibt Kinder, denen fehlt der Wortschatz, andere stottern. Je nachdem, wie das Kind mit dem Stottern umgeht, ist es bei uns besser aufgehoben, denn hier hat jedes Kind eine sprachliche Baustelle. Da ist das nicht schlimm, wenn jemand anders spricht.

Sie sind eine Durchgangsschule mit dem Ziel, dass die Kinder wieder an der allgemeinen Schule teilnehmen können. Wie gut gelingt das?

Mack: Bei den allermeisten gelingt es gut. Wir bekommen auch die Rückmeldung, das sage ich nicht ohne Stolz, dass die Kinder ein gutes Sozialverhalten haben und sich gut eingliedern können. Wir versuchen den Übergang individuell sanft zu gestalten, mit Hospitationen, haben die Eltern im Boot. Wenn Kinder Hilfe benötigen, können wir über den Sonderpädagogischen Dienst an den Schulen noch immer präsent sein durch Gespräche, Diagnostik und Beratung der Lehrkräfte, was im Unterricht helfen kann. Wenn Kinder Schwierigkeiten haben, dann ist es nicht auf die Sprachstörung zurückzuführen, sondern da liegen die Probleme im häuslichen Umfeld.

Wir können uns unterhalten, während ein Radio läuft. Die Kinder können das nicht differenzieren oder ausblenden.

Lisa Kraft, stellvertretende Schulleiterin

Kraft: Manchmal tut es schon ein Kopfhörer, weil die Kinder Schwierigkeiten mit der auditiven Verarbeitung haben und nicht filtern können, welcher akustische Reiz relevant ist. Wir können uns unterhalten, während ein Radio läuft. Die Kinder können das nicht differenzieren oder ausblenden. Wenn sie den Kopfhörer aufsetzen, schalten sie die akustischen Reize aus und können besser arbeiten.

Wie lange bleiben die Kinder bei Ihnen?

Mack: Die meisten verlassen uns nach der vierten Klasse, einige gehen aber auch schon nach der zweiten Klasse, das ist individuell. Quereinsteiger brauchen meistens noch Zeit nach der Grundschule und bleiben bis zur fünften und sechsten Klasse. Aber eine Regel gibt es hierfür nicht.

Wohin gehen die Kinder?

Mack: Wir haben Kinder, die auf die Werkrealschule wechseln, viele Kinder, die auf die Gemeinschaftsschule gehen, einige auf die Realschule, vereinzelt auch aufs Gymnasium. Auch die kommen gut zurecht. Wir sind nichts anderes als eine kleine Grundschule, allerdings zusätzlich mit einem speziellen Bildungsplan auch für Kinder mit Sprachentwicklungsproblemen.

Die Pistoriusschule in Herbrechtingen hat so starken Zulauf, dass sie um einen Anbau erweitert werden muss. Wie kommen Sie hier damit klar, dass immer mehr Kinder kommen?

Mack: Unser Computerraum muss dran glauben und wird ein zusätzliches Klassenzimmer, das können wir verkraften, da die Kinder mit eigenen Tablets arbeiten. Aber wenn wir die Schülerbücherei, die Lesewerkstatt oder den Motorikraum aufgeben müssten, das täte weh.

Sie feiern Jubiläum, 50 Jahre Arthur-Hartmann-Schule. Wenn Sie sich zum Geburtstag etwas wünschen dürften, was wäre das?

Mack: Uns würde es freuen, wieder ausreichend Lehrkräfte zu haben. Der Lehrermangel trifft die SBBZ mehr als andere Schulen, wobei wir an der Arthur-Hartmann-Schule momentan noch zurechtkommen. Wir haben ein motiviertes Kollegium, das vieles auffängt und mehr macht als notwendig, um die Lücken zu füllen.

Das Führungs-Team der Arthur-Hartmann-Schule

Heike Mack ist gebürtige Heidenheimerin, studierte in Schwäbisch Gmünd Grund- und Hauptschullehramt, wechselte nach Reutlingen für ein Aufbaustudium der Sonderpädagogik. Schon damals entschied sie sich für den Schwerpunkt der Sprachheilpädagogik. 17 Jahre lang arbeitete sie als Lehrkraft an der Christophorusschule in Heidenheim, war danach seit 2014 Konrektorin an der Arthur-Hartmann-Schule und ist seit 2022 deren Schulleiterin.

Lisa Kraft kommt aus Heilbronn und studierte in Weingarten Grund- und Hauptschullehramt. Nach einem Aufbaustudium der Sonderpädagogik in Reutlingen, dem zweiten Staatsexamen und dem Referendariat in ihrer Heimat Heilbronn trat sie vor zehn Jahren die Stelle als Klassenlehrerin an der Arthur-Hartmann-Schule an. Heidenheim ist für sie und ihre Familie Heimat geworden. Seit einem Jahr ist sie stellvertretende Schulleiterin und gibt dazu Förderstunden am Schulkindergarten.

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