Wie Fidelius Muhammas aus Syrien zum Heidenheimer Friseurmeister wurde
Wer kann schon von sich sagen, dass ihm ein Friseur mit Philosophie- und Literturstudium die Haare schneidet? Die Kunden von Fidelius Muhammed: Er ist 33 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von sechs und acht Jahren. Anfang Mai hat er die Heidenheimer Innenstadt um den Friseur-Salon „Fidelius Hair and Beauty“ bereichert.
Fidelius – der offziell Fidel heißt – wohnt mit seiner Familie in Heidenheim, kommt aber ursprünglich aus Syrien. Dort ist er aufgewachsen, dort hat er studiert und: Dort wollte er bleiben. Selbst als 2011 der Krieg ausbrach. „Ich habe die ersten fünf Jahre des Kriegs miterlebt, konnte mir aber nicht vorstellen meiner Heimat den Rücken zu kehren,“ sagt der 33-Jährige. Außerdem hatte er bereits einen Bachelor in Englischer Literatur und Philosophie absolviert und wollte weiterstudieren. Auch die Partnerin des Syrers – Nour Kaddori – wollte in Syrien bleiben. Kennengelernt hatten sich die beiden als Kommilitonen an der Universität. Alles änderte sich, als sie schwanger wurde. „Wir wollten nicht, dass unser Kind im Krieg aufwächst, zwischen Bomben und Trümmern und ohne Kindheit,“ sagt Fidelius.
Zwischen damals und heute liegen knapp acht Jahre und eine beeindruckende Geschichte. Den Entschluss, die Heimat zu verlassen, hat das Paar nicht leichtfertig getroffen. Ihn in die Tat umzusetzen war ebenfalls nicht leicht. Es galt viele Fragen zu klären. Die Lage war undurchsichtig. Eines wurde dabei schnell deutlich: Der Zufluchtsstätte Deutschland kann man sich nur peu a peu nähern beziehungsweise Antrag für Antrag.
Frau blieb zurück, er ging voraus
„Für einige Zeit mussten meine Frau und ich getrennte Wege gehen“, erzählt Fidelius. Als das Paar Syrien verlassen und die erste Etappe nach Istanbul geschafft hatte, war Nour bereits hochschwanger. In Erwartung des Kindes blieb sie zunächst in Istanbul. Fidelius ging allein voraus, um die Lage in Deutschland abzuklären.
„Die ersten drei Jahre waren hart“, sagt der 33-Jährige heute. Als der Syrer 2015 nach Deutschland kam, war er Student. Zwar hatte er während des Studiums in Syrien stets nebenher gearbeitet – etwa bei seinem Baba im Friseursalon. Oder als Teamleiter in einer Filiale des großen Telekommunikationsunternehmens MTN.
„In Deutschland braucht man für alles Papiere“
Aber, sagt Fidelius: „In Deutschland braucht man – anders als in Syrien – für alles Nachweise und Papiere.“ Sein Können allein brachte dem jungen Mann nichts. „Ich wollte aber direkt anfangen zu arbeiten.“ Also begann er als Dolmetscher. „Deutsch konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gut sprechen. Aber mit Kurdisch, Arabisch und Englisch konnte ich den Behörden und Geflüchteten als Übersetzer helfen.“
Gleichzeitig besuchte Fidelius an der Dualen Hochschule in Heidenheim selbst einen Deutschkurs und erlangte das C1-Sprachniveau. Nur ein Niveau darüber gibt es noch: Muttersprachler-Niveau. Fidelius: „Ich bin heute noch dankbar. Der erste und wichtigste Baustein war die Sprache. Sie zu lernen, hat mir die Hanns-Voith-Stiftung ermöglicht, die den Sprachkurs bezahlt zahlt.“
Zerbombte Heimat, zerplatzte Träume
Damit war die erste große Hürde genommen. Sogar an das Schwäbisch hatte er sich gewöhnt. Also Sprache gut, alles gut? Nein. Es folgten weitere Herausforderungen. Nach dem Sprachkurs wollte Fidelius weiterstudieren. Doch sechs Monate vergingen und auf alle seine Bewerbungen an den Hochschulen folgten nur Absagen. Also stand er da: allein in einem fremden Land, hinter ihm die zerbombte Heimat, hinter ihm auch sein altes Leben, sein hinterbliebener Vater, seine Familie. Vor ihm: eine gänzlich ungewisse Zukunft und zerplatzte Träume.
Der perfekte Zeitpunkt, um den Kopf in den Sand zu stecken? Nicht für den Syrer, in dessen Brust eindeutig ein schaffiges, schwäbisches Herz zu schlagen scheint. „Zum Erfolg führen mehrere Wege. Dann musste es eben anders weitergehen,“ sagt er heute.
Im September 2016 begann Fidelius an der Maria-von-Linden-Schule seine Ausbildung zum Friseur. Ausbildungsbetrieb war der Syrgensteiner Friseur-Salon von Tanja Ruf und Andreas Gerich. Um die Fahrten zu finanzieren und die Familie zu ernähren, die mittlerweile in Deutschland angekommen war, nahm er noch einen Minijob als Lieferant an.
Über die Hilfe, die er bekam: „Kleine Gesten machen viel“
Der Alltag ging so: Arbeiten, Schule, Lernen, Familie, Arbeiten, Schlafen und wieder von vorn. „Wir waren drei Jahre lang Roboter“, sagt er heute, auch stellvertretend für seine Frau. „Ohne meine Frau, die in dieser Zeit auf die mittlerweile zwei Kinder aufgepasst hat, wäre das nicht möglich gewesen,“ sagt der 33-Jährige. Ihr sei er vorneweg am dankbarsten für alles. Aber auch allen anderen, die ihm geholfen haben, ist der Heidenheimer Syrer sehr dankbar. Fidelius: „Kleine Gesten machen viel. Viele Leute haben mir geholfen und an mich geglaubt, noch bevor ich es selbst getan habe.“
Der heutige Meister-Friseur erinnert sich zum Beispiel an seine Kunden aus Syrgenstein, die meisten von ihnen ältere Seniorinnen und Senioren: „Als ich meine Abschlussprüfungen hatte, haben sie alle in der Kirche für mich gebetet. Das war so schön und hat mir sehr viel Motivation und Halt gegeben.“
Weiterbildung zum Meister draufgesetzt
Seine Abschlussprüfungen hat Fidelius gut abgeschnitten. Als Corona alles lahm legte und er nicht arbeiten konnte – nicht als Friseur und wegen der Kurzarbeit auch nicht in Firmen – setzte er noch einen drauf:
An der Deutschen Friseur-Akademie in Neu-Ulm und Augsburg hat er sich zum Meister weitergebildet. Als einer von fünf der insgesamt 28 Meister-Lehrlingen hat Fidelius alle vier Prüfungsabschnitte auf Anhieb bestanden. Dafür und für seinen guten Noten-Durchschnitt verlieh ihm die Ulmer Handwerkskammer die Meisterprämie in Höhe von 1500 Euro. Und seine Frau, Nour Kaddori? Sie hatte am Montag vor zwei Wochen ihre letzte Abschlussprüfung als angehende medizinische Fachkraft und weiß bereits, dass ihr Betrieb sie übernehmen wird. Fidelius ist stolz. „Ich finde es wichtig, dass auch sie ihr Potential entfalten kann. Und dass ich sie unterstütze, wie sie mich unterstützt hat.“ Wie das alles mit den Kindern geklappt hat? Der Heidneheimer lächelt: „Wenn man will, kann man.“