Sehen und Nichtsehen in der Stadtbibliothek Heidenheim
Die Stadtbibliothek sowie die Nikolauspflege Heidenheim, eine Einrichtung für blinde, sehbehinderte und mehrfach behinderte Menschen, vermittelten anlässlich der „Woche des Sehens“ wie es sich anfühlt, stark eingeschränkt oder auch gar nichts zu sehen.
Die Mitarbeiterinnen der Nikolauspflege hatten in der Stadtbibliothek zehn Stationen aufgebaut, an denen die Besucherinnen und Besucher, kleine wie große, ausprobieren und sich vorstellen, wie es ist, wenn man nicht über den gesamten Sehsinn verfügt.
So wurde der Margarete-Hannsmann-Saal zum Hindernisparcour – und wenn man nach vielem Krabbeln und langsamem Ertasten die Augenbinde abnahm, wirkte der Raum völlig anders als gedacht. Blinde und sehbeeinträchtigte Menschen nehmen einen Raum nicht als Ganzes wahr, sondern müssen sich diesen immer Stück für Stück erschließen. Es braucht viel Übung und Erfahrung, vor allem Geduld, um sich gefahrlos zu bewegen. Eine relativ neue Technik ist das Klick-Sonar, bei dem geübte Menschen mithilfe von klickenden Gaumengeräuschen in der Art wie Fledermäuse den Raum um sich und Abstände einschätzen können.
Stationen fordern die Sinne
An anderen Stationen konnten eine Schreibmaschine, mit der man in Braille schreiben kann, Lupen und Lesegeräte erkundet werden, die das Lesen auch bei starken Seheinschränkungen erheblich erleichtern. Es gab Spiele zum Fühlen, Dinge zu riechen und zu schmecken, Alltagsgegenstände konnten blind ertastet werden, anderes musste man hören.
Viele Familien und Besucher waren extra gekommen, um sich mit dem Thema zu beschäftigen. Die verschiedenen Simulationsbrillen gaben eine Vorstellung davon, wie es sein muss, mit grauem Star, mit nur punktförmigem Sehen oder großen dunklen Flecken im Blickfeld umzugehen und den Alltag zu meistern.
15-Jähriger über Leben mit starken Seheinschränkungen
Der größte Experte war der 15-jährige Elias aus Ellwangen, der in Heidenheim im Internat lebt und dies als seine „zweite Familie“ bezeichnet. Er gab Einblicke, was er in seinem jungen Leben bereits gemeistert hat: Er musste schon sehr früh lernen, mit starken Seheinschränkungen umzugehen. Zunächst trug er noch eine Brille, dann kamen Lupen und Lesegeräte hinzu, die mit viel Licht und Kontrasten arbeiten, und schließlich stieg er um auf die Blindenschrift Braille sowie den Langstock, mit dem er durch die Bibliothek spazierte.
Nächstes Jahr ist Elias mit der Schule fertig und geht dann nach Stuttgart in die berufsvorbereitende Ausbildung, wo er viele Bereiche ausprobieren kann. In der Stuttgarter Ausbildungsstätte der Nikolauspflege werden Hauswirtschaft, IT, klassische Büroarbeit und viele weitere Berufe unterrichtet.
Die anwesenden Sonderschullehrerinnen und die Orthoptistin, deren Tätigkeitsbereich vor allem die Prävention, Diagnostik und Therapie von Sehschwächen im frühen Kindesalter ist, betonten, dass jeder sehbehinderte Mensch, ob jung oder alt, individuell diagnostiziert, begleitetet und mit entsprechenden Hilfsmitteln versorgt werde.
Was ist die Nikolauspflege?
Die Nikolauspflege ist eine überregionale Einrichtung mit verschiedenen Standorten für blinde, sehbehinderte und mehrfach behinderte Menschen aller Altersgruppen. In Heidenheim bietet die Nikolauspflege frühkindliche Förderung, Schulunterricht, ein Internat, eine Wohngruppe, eine Werkstatt sowie Freizeit- und Kulturangebote.