Wie Heidenheim zu einem Kunstverein kam
Die Geburtsstunde schlug im Juni. Und dass sich, wenigstens dem Namen nach, auch ein König unter den Taufpaten fand, merken wir uns, um später noch einmal darauf zurückkommen zu können. Geburtsstunde also. Da ist ein Geburtstag vermutlich nicht weit. Und tatsächlich, sogar ein sogenannter runder. 50 Jahre Kunstverein Heidenheim.
Gefeiert wurde nicht im Juni. Und jetzt, im November? Eigentlich auch nicht. „Wir wollten keinen großen Akt, bei dem viel von Vergangenheit die Rede gewesen wäre“, sagt Dr. Hans Peter Schiffer, der Vorsitzende des Vereins. „Viel wichtiger ist die Zukunft.“ Oder die Gegenwart. Und da passt es doch gut, dass die in Sachen Kunstvereins als sehr spannend empfunden werden kann, weil just am heutigen Freitag der Kunstverein zum zweiten Mal den Kunstpreis „Kunst und Technik“ vergibt. „Bei der Gelegenheit kann man dann auch mal daran erinnern, dass es uns nun seit 50 Jahren gibt.“
1818 in Karlsruhe
Erinnern. Das Wort ist gefallen. Ganz ohne Vergangenheit funktionieren weder Gegenwart noch Zukunft. Insofern wollen wir an dieser Stelle ohne eine Rückblende gar nicht auskommen. Also, wie war das damals?
Heidenheim war nicht unbedingt früh dran mit der Gründung eines Kunstvereins. Die ersten Kunstvereine wurden zwischen 1800 und 1840 vom aufstrebenden Bürgertum gegründet, das Kultur und Kunst nicht länger dem Adel überlassen wollte. Zugleich konnte so neueste Kunst einem breiten Publikum vermittelt und damit die Demokratisierung der Kunstproduktion vorangetrieben werden. Der älteste Kunstverein im heutigen Baden-Württemberg dürfte der in Karlsruhe sein, der 1818 als Badischer Kunstverein gegründet wurde und auch noch heute so heißt.
1973 im "König Karl"
Adel, Karlsruhe? Wir kommen Heidenheim immer näher. Denn es geschah dort am 5. Juni 1973, einem Dienstag, dass im Hotel „König Karl“ in der Olgastraße der hiesige Kunstverein gegründet wurde. Heute findet man in dem Gebäude das Fotostudio Becker, und an den Württembergischen König Karl (und an dessen Gemahlin Olga) erinnert noch der Name der Apotheke gegenüber. Was, wenn man damals denn an so etwa gedacht hat, den Kunstverein und Karl ebenfalls näher in Verbindung hätte bringen können, wäre die Tatsache gewesen, dass dieser König es war, der 1864 die Vereinsfreiheit wiederherstellen hatte lassen. Auch die Pressefreiheit übrigens, was ihm womöglich ein bisschen leidgetan haben könnte, als diese sich gern am von einflusseichen politischen Kreisen losgetretenen Skandal im Zusammenhang mit der nicht gänzlich versteckt ausgelebten Homosexualität des Königs beteiligte.
"5/54" und Schwanengasse
In Heidenheim zumindest vielleicht schon angedeutet hatte sich ein Kunstverein in der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als in der Stadt von Künstlern selbst organisierte Ausstellungen im Konzerthaus, im Rathaus und in der Feuerwache stattfanden und eine relativ kleine bürgerliche Schicht ein relativ großes Bedürfnis zu empfinden begann, etwas für Kunst und Kultur zu tun.
Im Mai 1954 dann tat sich eine Gruppe junger Künstler zusammen, deren Anliegen es war, der zeitgenössischen Kunst mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Zu dieser Gruppe gehören Erich Herter, Helmut Knoll, Albrecht Kneer, Wolfgang Kühmstedt und Franklin Pühn. Später stießen zur mittlerweile so genannten „Gruppe 5/54“ noch Karl Arnold, Horst Braun, Hans Schweiger und Adolf Silberberger. Diesen Künstlern und Hermann Bauer, dem Leiter der Volkshochschule, sowie HZ-Chefredakteur Edgar Grueber war es damals zu verdanken, dass in Heidenheim ein durchaus lebendiges Ausstellungswesen entstand.
Fünf Vorsitzende
Im Lauf der Jahre nehmen die Aktivitäten der Kunstschaffenden und der Kunstfreunde weiter zu. So entstand 1970 in der Schwanengasse die Galerie „Akzent“, die von Arnulf Rall und Alfred Weichert initiierte Keimzelle des Kunstvereins, der, auch, um die Aktivitäten der Galerie in öffentlich-rechtlicher Form weiterzuführen, an eben jenem 5. Juni 1973 im „König Karl“ gegründet wurde. Anwesend dabei waren 26 interessierte Personen, von denen 21 sogleich die Satzung des Vereins unterschrieben und so zu dessen ersten Mitgliedern wurden. Zum provisorisch bis zur ersten Hauptversammlung amtierenden Vorsitzenden wurde Arnulf Rall gewählt.
Ihm folgten bis heute in 50 Jahren mit Franklin Pühn (27 Jahre lang), Wilfried Wörner, Dr. Franz Eibach und Dr. Hans Peter Schiffer vier weitere Vorsitzende. 1982 bezog der Kunstverein das „Türmle“ und wurde so zum Retter eines der wenigen erhaltenen Stücke von Alt-Heidenheim, das seinerzeit, schon relativ achtlos zwischen moderne Gebäudequader gequetscht, eher zukunftsloser Kandidat für einen Abriss war, als dass ihm jemand die Rolle als feine Adresse für zeitgenössische Kunst zugetraut hätte.
Kunst auf Bäumen
Doch so ist’s gekommen, so ist’s geblieben. Geblieben ist ebenso, selbst wenn selbstverständlich auch der Kunstverein in sich immer wieder wandelnden Zeiten lebt, dass er sich, was die Bandbreite der Kunst betrifft, nie irgendwelchen Einschränkungen unterworfen hat. Grenzen setzte hier vielleicht einzig sein Domizil. Denn im verwinkelten Türmle lässt sich nun einmal nicht alles präsentieren.
Doch auch davon lässt man sich nicht bremsen. Womit wir in der Gegenwart angekommen wären. Hans Peter Schiffer, Vorsitzender seit 2019, war damals nur unter der Prämisse bereit gewesen, anzutreten, „wenn sich was ändert“. Und zunächst mal ging man unter ihm mit der Kunst nach draußen. Mit Holzskulpturen vor das Rathaus und, während der Coronaeinschränkungen, mit Malerei auf die Bäume des Schlossbergs. Ende 2021 wurde dann, in Kooperation mit der Firma Voith und mit der Hanns-Voith-Stiftung, erstmals der Kunstpreis „Kunst und Technik“ vergeben. Unter dem Motto „Blick in die Zukunft“ holt man sich inzwischen einmal im Jahr Absolventen der Kunstakademie Stuttgart als Ausstellende ins Haus. Und einmal im Jahr auch präsentiert man eine Ausstellung in Kooperation mit dem Galeristen Cyprian Brenner, womit man Künstler engagieren kann, an die man sonst erst gar nicht herankäme.
140 Mitglieder
Lauter neue Wege und lauter neues Selbstbewusstsein im Wettbewerb mit vielem anderen, das es 1973 in Heidenheim noch nicht gab und von dem man damals sicher nicht einmal vermutet hätte, dass es das jemals in Heidenheim geben könnte. Hans Peter Schiffer formuliert es so: „Man braucht nicht nur einen langen Atem, sondern auch neue Ideen.“ Zumal man beim Kunstverein nicht einmal mehr in Sachen zeitgenössischer Kunst das Alleinvertretungsrecht in Heidenheim hat. „Mit der Eröffnung des Kunstmuseums hat sich 1989 über die Jahre die Landschaft doch noch einmal stark verändert und wurde die Hauptrolle neu besetzt.“
Im Verhältnis zum Kunstmuseum würde Hans-Peter Schiffer in Zukunft gern verstärkt auf Kooperation setzen. Wiederum ganz selbstbewusst: „Denn“, so ergänzt ihn Bettina Augustin, im Vereinsvorstand für das Ressort Kommunikation zuständig: „Es sind ja oft genug die kleinen Zellen, die als Kraftzellen des sozialen Lebens funktionieren.“
Im Juni 1973 versammelten sich 21 Mitglieder unterm Dach des Kunstvereins Heidenheim. Heute sind es 140. Es fehlt, wie in vielen anderen Vereinen ebenso, an jungen Mitgliedern. „Auch wenn es durchaus welche gibt“, wie Hans Peter Schiffer anmerkt. Es könnten aber mehr sein. Was man sicherlich auch über die 1350 Euro sagen kann, die der Kunstverein als Zuschuss von der Stadt Heidenheim erhält. Damit lassen sich nicht mal die Heizkosten fürs Türmle annähernd bestreiten. Das Geld fürs Jahresbudget von 7000 Euro bringen zu knapp 60 Prozent die Mitglieder und ansonsten diverse Sponsoren auf.
Ausstellung im Training-Center
Der Kunstpreis „Kunst und Technik des Kunstvereins Heidenheim wird am heutigen Freitag um 19 Uhr im Voith-Training-Center vergeben. Dort wird anschließend bis zum 17. Dezember auch die mit dem Kunstpreis verbundene Ausstellung zu sehen sein. Geöffnet sein wird diese, jeweils mit Führungen, mittwochs ab 16 und samstags ab 11.30 Uhr. Auch Sonderführungen für Gruppen sind möglich (mail@kunstverein-heidenheim.de).