Wie in der Heidenheimer Michaelskirche der Pogromnacht gedacht wurde
„Wenn nur keiner die Feuerwehr ruft!“: Öfter hat man diesen Satz am Abend des 8. November vor der Michaelskirche gehört, die zu brennen schien. Nur Scheinwerfer und Nebelmaschinen von „Hellstone Fireworks“, aber ein weithin sichtbares Gedenken an jene Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, als gewalttätige Mobs auch in Heidenheim auf Häuser jüdischer Menschen losgingen. Im Gedenken an die Pogromnacht hatte die Heidenheimer Gruppe von „Omas gegen Rechts“ nicht nur an, sondern auch in die Michaelskirche geladen.
Dort erinnerte Lieselotte Hacker-Schwarz für die Organisatorinnen an die Entstehung der „Omas gegen Rechts“, an den Anlass des Abends und an die kleine Wanderausstellung aus zwei Dutzend Rollups, die einige Tage an jungen Widerstand gegen den Nationalsozialismus erinnern soll.
Künstler Rainer Jooß arbeitet an "Erinnerungswaage"
Unfallbedingt abwesend war der Heidenheimer Künstler Rainer Jooß, der jedoch eine kurze Videobotschaft sandte: Er arbeitet an einer Art „Erinnerungswaage“, ein Kunstwerk, mit dem schriftliches Gedenken an die Schrecken des Dritten Reiches gesammelt werden soll. In Zeiten, in denen immer weniger Zeitzeugen erzählen können.
Hauptredner des Abends war der Gerstetter Dr. Wolfgang Proske, bekannt als Initiator, Herausgeber und Mitautor der Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ über NS-Belastete aus dem ganzen Südwesten Deutschlands. Dringlicher, so der pensionierte Geschichtslehrer, könne die Erinnerung an den Horror der Nazi-Zeit gar nicht sein, wenn aktuell wieder „Judensterne“ auf Häuser geschmiert würden.
Trotz des Titels „Lokale NS-Täter aus Heidenheim“ war der Hauptgegenstand von Proskes Vortrag Siegfried Westphal (1902-1982), jener aus Leipzig stammende Wehrmachtsgeneral, Rommel-Vertraute und spätere Rüstungslobbyist, der Anfang der 1960er ganz entscheidend den Bau des umstrittenen Heidenheimer Rommel-Denkmals betrieb.
Einzelner Widerspruch aus dem Publikum
Bekannte Fronten also, und wenn Proske zum Stichwort „Rommel“ das Stichwort „Mörderkommando“ liefert, bleibt auch lauter Widerspruch eines einzelnen Zuhörers nicht aus. Proske kennt das, überhaupt hat er nach eigenen Worten mit viel Gegenwind zu kämpfen. Seine Vorträge, erzählt er, werden gerne mal per „Weisung von oben“ abgeblasen. Genaueres will er vor Publikum nicht sagen.
Westphal, dessen erstaunliche Karriere Proske schon vor vier Jahren beim Heidenheimer Heimat- und Altertumsverein vorstellte, schaffte nach und trotz seiner Wehrmachtslaufbahn, trotz eigentlich nachweisbarer Kriegsverbrechen, nicht nur eine Karriere in der Bundesrepublik, sondern setzte sich mit besten Beziehungen und gewaltigen Finanzmitteln auch für die beiden Gegenteile des Erinnerns ein. Denn was geschah, kann man nicht nur vergessen. Man kann es auch verdrehen. Mit anderen Nazi-Generälen feilte Westphal zeitlebens an dem Mythos einer unschuldigen, unpolitischen Wehrmacht. Eine Ikone dieses Mythos sollte der „edle Soldat und Widerstandskämpfer“ Erwin Rommel sein, und der wütende Protest seiner Anhänger gegen jede Kritik zeigt, dass das sogar bis heute funktioniert. Ohne den Verband der vormaligen Afrika-Kämpfer, so Proske, hätte es „diesen Klotz auf dem Zanger Berg“ nie gegeben.
Musikalische Umrahmung
Ein Höhepunkt des Abends war die musikalische Umrahmung durch Bezirkskantor Leonard Hölldampf und Vianna Kupfer, deren Violine die eisigen Temperaturen in der Michaelskirche nichts anzuhaben schienen. John Williams herzverbiegendes Thema aus „Schindlers Liste“, für Violine und Orgel – da bebte man nicht nur wegen der Kälte.