"Dorf in der Stadt"

So gestalten Senioren ihren Alltag im Haus Ugental im Heidenheimer Westen

Selbstbestimmung und eine familiäre Atmosphäre prägen das Zusammenleben im Haus Ugental in direkter Nachbarschaft zum Talhof in Heidenheim. Isabella Stocker-Pfendert und Karin Amthor vom Verein Haus Ugental sprechen über den Alltag der Bewohner, die aktuelle Situation und neue Ideen.

Der Duft von frisch gekochtem Essen steigt dem Besucher des Hauses Ugental inmitten des Dorfes in der Stadt im Heidenheimer Westen beim Betreten in die Nase. Seniorinnen und Senioren leben dort in zwei Pflege-WGs, verteilt auf zwei Stockwerke - insgesamt 16 Menschen. Gemeinsam schnibbeln, kochen und backen bringt – das weiß jeder – Gemeinschaft und eine gewisse Form von Gemütlichkeit. Nicht nur deshalb heißt es von der Küche, dass sie ein Ort der Begegnung und des sozialen Miteinanders ist. Letzteres ist seit 2018 zentral im Haus Ugental. „Die Bewohner sind hier selbstständig und autark unterwegs“, sagt Karin Amthor vom zuständigen Verein. Es gehe aber nicht nur um Selbständigkeit, sondern auch um die Teilhabe vonseiten der Angehörigen. „Es ist schön, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen aufnehmen zu können und sie in das Miteinander hineinzunehmen“, ergänzt Isabella Stocker-Pfendert. Ihr 2019 verstorbener Vater Michael Stocker war der Bauherr des Hauses Ugental, das im "Dorf in der Stadt" entstanden ist. Er hatte bis zu seinem Tod zahlreiche Initiativen angestoßen und mit den ersten Mietern die Verträge abgeschlossen.

2018 konnte das Gemeinschaftsgebäude Haus Ugental inmitten des Dorfes eingeweiht werden. Platz ist dort für insgesamt 16 Seniorinnen und Senioren – verteilt auf zwei Stockwerke. Jedes Apartment, das übrigens größer ist als ein Zimmer im Pflegeheim, kann individuell eingerichtet werden. „Ob es das Lieblingssofa ist oder Bilder, die man sich gerne aufhängen würde – die Menschen sollen sich bei uns wohlfühlen“, sagte Isabella Stocker-Pfendert beim Rundgang durchs Haus. Die Bewohnerinnen und Bewohner der beiden Pflege-WGs sind mehr oder weniger selbstbestimmt: Eine übergeordnete Instanz gibt es nicht.

Autonom und aktiv bis ins hohe Alter

Die Seniorinnen und Senioren können beispielsweise selbst entscheiden, wie sie ihr Zimmer einrichten, haben Mitspracherecht, wer ins Stockwerk einzieht und wie sie ihre Freizeit gestalten. Außerdem können sie sich ihren eigenen Pflegedienst aussuchen – im Moment ist das Humanitas. Die aktive Teilhabe der Angehörigen sei zusätzlich essenziell, betont Karin Amthor. Warum? Weil die Pflege-WG vom Engagement der Bewohner lebt. Sollten die Bewohnerinnen und Bewohner nicht mehr in der Lage sein, sich einzubringen, sollten das die Angehörigen tun – ob bei der Betreuung, in der Küche oder bei verschiedenen Freizeitaktivitäten im Haus.

Die Vernetzung mit dem „Dorf in der Stadt“ und darüber hinaus sei wichtig und für beide Seiten ein Gewinn: Kinder aus dem Waldkindergarten „schauen ab und zu vorbei“, dazu gibt es unter anderem Besuch von der Freien Michaelschule oder dem Talhof. Isabella Stocker-Pfendert erinnert sich an den 11. November, als an Sankt Martin die Kinder gekommen sind und ihr gelerntes Lied mit den Senioren gesungen haben – „diese Dinge wärmen das Herz und bringen Leben ins Haus“, so Stocker-Pfendert. Dabei ist sie nicht allein, denn die Bespaßung der Senioren ist Familiensache. Ab und an bringe sie ihren Sohn mit. Mit seinem Bobbycar zaubere er den Seniorinnen und Senioren ein Strahlen ins Gesicht. Sie hat mit ihrem Mann einige Zeit im „Dorf in der Stadt“ gelebt und vermisse dieses Miteinander, das sie wieder aufleben lassen will.

Das Haus Ugental im Heidenheimer Westen bietet auf zwei Stockwerken Platz für 16 Seniorinnen und Senioren. Foto: Markus Brandhuber

Was sich allerdings nicht verwirklichen lässt, sind die Initiativen, die ihr Vater Michael Stocker vor seinem Tod 2019 angestoßen hatte – darunter das Projekt „Zeitraum“, dessen Ziel es war, beispielsweise Langzeitarbeitslose oder auch Menschen mit Behinderung eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten. Ob in der Küche, als Hausmeister oder im Garten: Es entstehe Gemeinschaft und Raum für Begegnung. „Das ist mit dem Tod meines Vaters zum Erliegen gekommen und ich habe schlichtweg die zeitlichen Kapazitäten nicht, um dies weiterzuführen.“

Ideen nach der Corona-Zeit aufleben lassen und in die Tat umsetzen

Nachdem während der Corona-Pandemie alles brachgelegen hatte, geht es jetzt für die Verantwortlichen um das Ehepaar Amthor Isabella Stocker-Pfendert mit neuem Elan weiter: Nach sechs Jahren sei hier eine schöne Zusammenarbeit mit dem Dorf gewachsen, die auch Vereine von außen anziehe. „Yogakurse gibt es hier ebenso wie die Möglichkeit, zu singen oder kreativ zu werden“, sagt Karin Amthor. Daran nehmen auch die Menschen aus dem Dorf teil – „eine Win-win-Situation also“, ergänzt Isabella Stocker-Pfendert mit Blick in die Zukunft. Gerne möchte sie wieder Vereine ins Haus Ugental einladen, um den Alltag der Senioren zu bereichern und abwechslungsreich zu gestalten. Andersherum geht es genauso: Bei Sommerfesten auf dem Dorfplatz oder anderen Events im Freien sind die Bewohner herzlich eingeladen.

Die Häuser um das Haus Ugental herum gehören zum „Dorf in der Stadt“ im Heidenheimer Westen. Foto: Markus Brandhuber

Offene Tür für Vereine und Initiativen

Im Sommer treffen sich die Dorfbewohner am Sonntagnachmittag zum Singen auf dem Dorfplatz. Dabei machen natürlich hier die Bewohner ihre Türen auf. Die Senioren kommen runter, singen mit und nehmen am Dorfleben teil. Was in Corona-Zeiten unmöglich war, soll wieder anlaufen. Oftmals reicht es, wenn ein Angehöriger oder auch Ehrenamtlicher kommt, der einen der Bewohner mitnimmt und spazieren geht. „Auch Konzertbesuche gehörten dazu“, erinnert sich Karin Amthor.

Die Ideale des Vereins sind das eine, die Realität ist das andere. Ein natürlicher Grund ist schlichtweg die Überalterung der Bewohner. „Wir sind eben zusammen gealtert in den letzten sechs Jahren, wissen aber, dass eine WG natürlich dann gut funktioniert, wenn man gemeinsam Dinge unternimmt“, sagt Isabella Stocker-Pfendert.

Langsam finde aber durch neue Mitbewohner eine Durchmischung statt, sodass alle WG-Bewohner wieder aktiver werden. Denn in der Pflege-WG gilt: Je mehr Bewohner sich einbringen, desto lebendiger und abwechslungsreicher gestalten sich die Tage im Haus Ugental und damit auch im gesamten Dorf.

Plätze in der Pflege-WG sind frei – was ist zu tun?

Zu einem Platz in der Pflege-WG kommt man über private Kontakte oder über den Verein „Haus Ugental“. Karin Amthor führt eine Warteliste und verschickt Informationsmaterial an interessierte Angehörige. Wichtig zu wissen ist, dass die besondere Form der WG auch Arbeit bedeutet. Das beginnt beim Auswählen der Waschmaschine bis hin zur Auswahl der Mitbewohner und der Mithilfe bei Veranstaltungen.

Ziel des Vereins „Haus Ugental“ ist die Begleitung, Förderung, Unterstützung und Entwicklung von alternativem Wohnen und Leben in Wohngemeinschaften für Senioren mit Pflege- und Unterstützungsbedarf. Weiterhin organisieren die Mitglieder kulturelle und soziale Veranstaltungen in den Wohngemeinschaften auf Wunsch der Bewohner.

Weitere Informationen gibt es unter www.verein-haus-ugental.de/ oder bei Karin Amthor unter Tel. 07321.49563 sowie per E-Mail an info@verein-haus-ugental.de.

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