Wie sich der Krieg auf Firmen im Landkreis Heidenheim auswirkt
Sanktionen gegen Russland hat die Europäische Union (EU) schrittweise seit 2014 als Reaktion auf die rechtwidrige Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim verhängt. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor einem Jahr hat der Westen eine Reihe von zusätzlichen restriktiven Maßnahmen beschlossen – derzeit wird von der (EU) das zehnte Sanktionspaket vorbereitet –, mit dem vorrangigen Ziel, die russische Wirtschaft und damit auch die Finanzierung des Krieges weiter zu schwächen.
In welchem Umfang hiesige Unternehmen dadurch betroffen sind, lässt sich offenbar nicht genau überblicken: Laut Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwürttemberg lassen sich die Handelsbeziehungen zwischen Firmen aus der Region und Russland bezüglich des Umsatzvolumens der Ausfuhr beziehungsweise der Einfuhr nicht genau quantifizieren.
Export aus Ostwürttemberg halbiert
Auf ganz Baden-Württemberg bezogen, ist der Export nach Russland im Jahr 2022 um fast die Hälfte eingebrochen, wie das Statistische Landesamt Anfang der Woche mitteilte. Die Importe sind mengenmäßig um 9,2 Prozent gesunken
Den Rückgang des Handels hier in der Region kann man lerdings an den Ursprungszeugnissen ablesen, die die IHK für nach Russland ausgeführte Waren aus Ostwürttemberg ausstellt. Ursprungszeugnisse lassen sich als „Geburtsurkunden“ von Waren beschreiben. Einige Länder, darunter Russland, verlangen dieses Dokument vom Exporteur der Waren. 2021 stellte die IHK Ostwürttemberg noch 1584 solcher Ursprungszeugnisse aus, 2022 hat sich deren Zahl auf 791 halbiert.
Gemäß Firmendatenbank des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages unterhielten zu Beginn des Krieges noch 61 Firmen aus der Region außenwirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Angesichts von knapp 29.000 Mitgliedsbetrieben in der IHK Ostwürttemberg war dies eine überschaubare Anzahl. Von den 61 Unternehmen, darunter auch große Konzerne, sind manche stärker von den Einschränkungen betroffen, manche nur marginal.
Für Schuck aus Steinheim einst bedeutend
Nicht auf der Liste dürfte etwa die Firma Schuck aus Steinheim stehen, obwohl Russland einst ein bedeutender Handelspartner für das im Pipeline-Bau tätige Unternehmen darstellte. Nach 2014 kamen die Geschäfte mit dem Land durch die verhängten Sanktionen komplett zum Erliegen, so der frühere Geschäftsführer Michael Schuck auf Nachfrage der HZ. Damals habe der Umsatz knapp 15 Millionen Euro im Jahr betragen. Im November 2022 wurde der Armaturenhersteller an die Max Valier Holding mit Sitz in München und Bozen (Südtirol) verkauft. Daran, dass die Schuck Group den russischen Markt nicht Eins zu Eins mit anderen Regionen kompensieren könne, hat sich nichts geändert. Dies hat laut dem jetzigen Geschäftsführer Hannes Mahlknecht letztendlich zu einem Umsatzrückgang geführt. Inzwischen sei die Organisation entsprechend angepasst worden.
Der Heidenheimer Konzern Hartmann hat infolge der Sanktionen ebenfalls umdisponieren müssen, wie Pressesprecher Dominik Plonner mitteilt. Mit dem ersten internationalen Sanktionspaket im Frühjahr 2022 stellte das Unternehmen den Handel und die Lieferung nicht-medizinischer Produkte, beispielweise Kosmetikprodukte, in und nach Russland mit sofortiger Wirkung ein. Darüber hinaus wurden lokale Marketingmaßnahmen wie auch Investitionsprojekte umgehend gestoppt. Vor dem Hintergrund, dass die Gesundheitsversorgung von der UN-Menschenrechtscharta als Grundrecht eingestuft und der Handel mit Medizinprodukten deswegen von Sanktionen und Embargos grundsätzlich ausgenommen ist, sehe sich Hartmann – wie alle international tätigen Gesundheitsunternehmen – in der Pflicht, die Verfügbarkeit jener Produkte auch für Russland zu sichern und damit der Verantwortung gegenüber den Patienten vor Ort gerecht zu werden. Daher beschloss Hartmann, den russischen Markt ausschließlich mit Medizinprodukten zu beliefern und die Herstellung von Wundversorgungsprodukten in Moskau aufrechtzuerhalten. Letztgenannte Entscheidung war laut Plonner nicht geschäftlich motiviert. Zum Zeitpunkt des ersten Sanktionspakets habe das Geschäft keinen Gewinn erzielt. „Neben Einbußen durch das reduzierte Sortiment kam es zeitweise zu Produktionsstillständen aufgrund verzögerter Rohstofflieferungen.“
Hartmann und Zeiss: nur Medizinprodukte
Auch Zeiss hat nach eigener Auskunft sämtliche Aufträge, Lieferungen und sonstige Leistungen nach Russland unverzüglich und bis auf Weiteres gestoppt – mit Ausnahme der erlaubten Lieferungen im medizinischen Bereich. Bei Zeiss betrifft dies Produkte der Neurochirurgie und Ophthalmologie (Augenmedizin). Die daraus resultierenden Gewinne seien für humanitäre Zwecke in den vom Krieg betroffenen Regionen gespendet worden, so Pressesprecherin Sarah Hailer. Russland sei nicht unter den zehn wichtigsten Märkten für den Konzern mit Sitz in Oberkochen.
Zu den hiesigen Arbeitgebern, die von den Sanktionen gegen Russland kaum tangiert werden, gehören die Heidenheimer Voith Group und AMS Osram AG, die ein Werk in Herbrechtingen betreibt. Beide Unternehmen haben in der Vergangenheit weniger als ein Prozent ihres Umsatzes in Russland erwirtschaftet. „Daher ist der Einfluss als vernachlässigbar zu betrachten“, so Hilary McGuinness-Fernholz von AMS Osram. Lieferungen nach und Geschäftsaktivitäten in Russland und Belarus habe das Unternehmen mit Sitz in Österreich bis auf Weiteres eingestellt. Laut einer Voith- Sprecherin verfolgt der Technologiekonzern aktuell kein Anlagen-Neugeschäft in Russland.
Russische Wirtschaft schrumpft
Angesichts eines immer noch tobenden Krieges fragt man sich zwangsläufig, ob all die Sanktionen der EU und weiterer Länder überhaupt den erhofften Nutzen haben. Nach unabhängigen Analysen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) war 2022 ein schlechtes Jahr für die russische Wirtschaft. Bis Ende 2022 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Russlands zwischen 3,4 Prozent und 4,5 Prozent gesunken sein. Für dieses Jahr prognostizieren der IWF, die Weltbank und die OECD ein Minus beim BIP von mindestens 2,3 Prozent und bis zu 5,6 Prozent. Die deutsche Wirtschaft ist 2022 hingegen um 1,8 Prozent gewachsen und soll auch 2023 zulegen.