Montagnachmittag in der Bergschule. Kindergeplapper ist nicht zu hören, die Schüler haben bereits Unterrichtsschluss. Stattdessen ein lauter Knall. Und noch einer. Und noch einer. Töpfern kann auch laut sein. Das offenbart ein Blick in die Werkstatt im Untergeschoss des Schulgebäudes. Rings um den Tisch, an dem normalerweise die Schüler ihrer Kreativität freien Lauf lassen, sitzen an diesem Nachmittag im Januar sechs Frauen. Sie alle gehören zur Gruppe Caritativ-Kreativ, die sich zugunsten des Heidenheimer Hospizes regelmäßig zum gemeinsamen Basteln und Werkeln trifft.
Während eine der Damen Kreise aus einem Stück Filz herausschneidet, sind die anderen diesmal mit Töpfern beschäftigt. Um mögliche Luftbläschen herauszupressen, knallen die Frauen den Ton immer wieder auf die Arbeitsfläche. Erst dann wird ausgewellt, ausgestochen, verziert. Sterne, Elche, Taler, Engel – was die Ausstecherle halt so hergeben. Schon jetzt werde für den Verkauf auf dem Heidenheimer Weihnachtsmarkt vorgearbeitet, sagt Sabine Bodenmüller und fügt lachend hinzu: „Nach Weihnachten ist vor Weihnachten.“
Gesucht und gefunden: So kam es zur Gründung der Gruppe Caritativ-Kreativ
Bodenmüller ist die Gründerin der Gruppe. 2019 startete die langjährige Gemeinderätin über einen kleinen Artikel in der Heidenheimer Zeitung einen Aufruf. Gesucht waren Menschen, die sich auf kreative Weise für das Hospiz einsetzen wollten. „Zum ersten Treffen sind mehr als 20 Leute gekommen“, erinnert sich Bodenmüller, damals wie heute begeistert vom großen Zuspruch. Aktuell besteht die Gruppe aus 16 Mitgliedern aus dem gesamten Landkreis. Einige basteln, werkeln oder nähen alters halber von zu Hause aus, andere kommen zu den Treffen, die meist in der Bergschule stattfinden, im Sommer bei gutem Wetter aber auch mal in Bodenmüllers Garten.
„Es gibt aber keine Verpflichtung, zu kommen“, sagt die Heidenheimerin. Mal kämen zu den Treffen fünf Frauen, mal nur zwei, mal zehn. Zwanglos eben, sodass der Spaß im Vordergrund steht. Auch an diesem Montag wird in der Werkstatt viel gelacht. Darüber, dass rote Tonglasuren meistens ein bisschen übler riechen als die anderen. Dass man beim auf die Tischplatte Knallen des Tons wunderbar negative Emotionen loswerden kann. Dass alle auch deshalb froh sei über die Gruppe, weil das viele Gebastelte niemals im eigenen Zuhause Platz finden würde. Wohl aber in Bodenmüllers Keller, wo die Sachen darauf warten, schließlich verkauft zu werden.
Warum haben sich die Frauen der Gruppe angeschlossen?
„Wir basteln alle gern“, sagt eine der Frauen. Diesen Grund, sich der Gruppe anzuschließen, haben wohl alle gemeinsam. Darüber hinaus gibt es aber unterschiedliche Beweggründe für das ehrenamtliche Engagement. Eine Teilnehmerin hat Sabine Bodenmüller auf einem Konzert kennengelernt. Die Chemie stimmte. Eine andere wurde auf dem Weihnachtsmarkt auf die Gruppe aufmerksam und interessierte sich. Um deren soziales Engagement zu wecken, war eine Lehrerin der Eugen-Gaus-Realschule anfangs mit ihren Schülern beteiligt. Jetzt in Rente macht sie immer noch gern mit. Wieder eine andere Dame berichtet von der Begleitung eines Angehörigen im Ellwanger Hospiz. Diese habe sie als schön empfunden, sagt sie. „Da habe ich mir vorgenommen, dass ich in diesem Bereich unterstützen möchte, wenn sich die Gelegenheit bietet.“
Auch Sabine Bodenmüllers Intention für die Gruppengründung hat ihren Ursprung in Erfahrungen mit Krankheit und Tod. „Von meinem zehnten Lebensjahr an war ich mit Krebs konfrontiert“, berichtet die 60-Jährige. Damals habe sie durch die Erkrankung ihrer Mutter erstmals gemerkt, wie schnell man in einer solchen Situation Freunde verlieren kann. Später ergaben sich immer wieder Berührungspunkte mit der Palliativstation des Heidenheimer Klinikums, Bodenmüller verkaufte beispielsweise selbst gestaltete Karten zugunsten der Abteilung. „Und wie das Schicksal spielt, habe ich dann 2009 selbst die Diagnose Krebs bekommen.“
Sabine Bodenmüller berichtet von der Erfahrung mit einer sterbenskranken Frau
Eine Erfahrung aus der Zeit ihrer Krankheit ist Bodenmüller bis heute besonders in Erinnerung geblieben. Sie lag damals zur Behandlung in einer Münchner Klinik, gemeinsam mit einer weiteren krebskranken Patientin. Diese habe sich bei der Ankündigung des Klinikpersonals, dass aus Platzmangel nun noch eine junge sterbenskranke Frau in dem Patientenzimmer untergebracht werden sollte, selbst aus dem Krankenhaus entlassen. „Sie konnte das nicht ertragen“, vermutet Bodenmüller, die schließlich eine ebenso intensive wie prägende Woche mit der sterbenskranken Frau verbracht hat. „Ich wusste, dass ich dem Tod noch einmal von der Schippe springen werde“, sagt die 60-Jährige. Ihre Mitpatientin aber sei schließlich in ein Hospiz gegangen, um dort zu sterben. Lange hielten die beiden Frauen telefonisch Kontakt. Dann die Nachricht vom Tod der Krankenhausbekanntschaft.
In dieser Zeit entstand bei Bodenmüller stärker denn je der Drang, nach ihrer eigenen Erkrankung etwas zurückzugeben, etwas Sinnvolles zu tun, etwas zu bewirken. Bodenmüller ließ sich also zur Hospizhelferin ausbilden, kümmerte sich um gesunde Geschwisterkinder von Sterbenskranken. Nach ihrem Wiedereinstieg in den Beruf – Bodenmüller ist gelernte Keramikerin, unterrichtet derzeit Vollzeit eine Förderklasse an der Bergschule – war die Zeit für die Hospizarbeit allerdings knapp. Ihr Engagement ganz aufzugeben, kam aber nicht in Frage. Daher die Idee mit der Bastelgruppe.
Seit 2019 verkaufen die Frauen ihre Kunstwerke auf dem Heidenheimer Weihnachtsmarkt. Immer eine tolle Erfahrung mit vielen schönen Gesprächen. Seither ist der Rosenmarkt als Verkaufsmöglichkeit hinzugekommen. Außerdem bieten zwei Blumenläden das ganze Jahr über die Blumenstecker der Gruppe an. Das so eingenommene Geld kommt schließlich dem Heidenheimer Hospiz zugute. Beispielsweise in Form von Quarzleuchten oder Decken für die Zimmer. Mitfinanziert wurde zudem ein Materialwagen für eine Kunsttherapeutin. Bisweilen dürfen sich die Gäste im Hospiz auch etwas wünschen, etwa einen Musicalbesuch mit der Tochter oder ein Essen ihres Lieblingsrestaurants. Darüber hinaus werden von den Einnahmen auch Weihnachtsgeschenke für die Kinder im Heidenheimer Frauen- und Kinderschutzhaus beschafft. „Das ist unser zweites Steckenpferd“, sagt Bodenmüller.
Von ausgedienten Tischtennisbällen und Säcken voller Stoff
Selbst Spenden annehmen darf die Gruppe nicht. Jedenfalls keine Geldspenden. Wenn aber ein Verein ausgediente Tischtennisbälle vorbeibringt, plötzlich ein Sack voller Stoff an der Schultür hängt oder Wolle vor der Haustür liegt, ist die Freude bei der Gruppe groß. Dann kann es weitergehen mit Nähen, Schneiden, Häkeln, Kleben, Stricken, Filzen, Basteln. Mit gefalteten Bascettasternen, genähten Osterküken, Lavendelherzen und Knopfraupen, getöpferten Schalen und Kronen, bestickten und bemalten Postkarten, gestrickten Socken, mit Wichteln und Zwergenhäuschen.
Immer wieder probieren die Frauen etwas Neues aus. Gemeinsam haben sie einen Filzkurs belegt, bald steht ein Buchbinderkurs an. Wie es denn dazu kam, fragt eine der Frauen. Bodenmüller berichtet. Und schon entspinnt sich ein angeregtes Gespräch über handgeschöpftes Papier und mögliche Buchbindermethoden. Über bisher belegte Kurse und umgesetzte Projekte. Ein Lächeln hier, eine Anekdote da. Während ringsum wieder der Ton auf die Arbeitsfläche knallt.
Kann man sich beteiligen?
Bei der Gruppe Caritativ-Kreativ sind immer neue Mitglieder willkommen. Übrigens nicht nur Frauen, sondern auch Männer. Ohne die, geht es laut Sabine Bodenmüller ohnehin nicht. Schon jetzt stehen ihr Mann und die der anderen bereit, wenn Hilfe nötig ist. Interessierte können sich bei Bodenmüller per E-Mail an sabantolu@t-online.de melden.
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