Frida Lanksweirt, Liebmann Vollweiler, Frida Vollweiler, Friederike Gatter. Vier Namen, vier Schicksale. Den meisten bislang nicht bekannt. Unbeachtet. Jetzt aber kann jeder buchstäblich darüber stolpern: Ihre wichtigsten biografischen Daten sind ins Pflaster der Heidenheimer Innenstadt eingelassen. Dauerhaft präsent. Unübersehbar.
Auf den ersten Blick ist das Wetter an diesem 15. März 2024 fast unverschämt gut angesichts des ernsten Themas. Genau betrachtet können aber genau deshalb gar nicht genug Sonnenstrahlen die Veranstaltung begleiten, die mehr als 100 Interessierte zusammenbringt, unter ihnen viele Schüler. Immerhin geht es um nichts weniger, als vier Menschen ihre Identität zurückzugeben. Ihre Würde. Ein Erinnern ohne Ende.
Friederike Gatters Schicksal wurde totgeschwiegen
Betroffenen zu ihrem Recht zu verhelfen, kann lange dauern, wie das Beispiel Friederike Gatter zeigt, ermordet 1941 in Bernburg an der Saale. Dass einer der Heidenheimer Stolpersteine jetzt ihren Namen trägt, ist ihrem Großneffen Raimond Gatter zu verdanken. Und seinem Bemühen, Licht in ein dunkles Kapitel der Familiengeschichte zu bringen. Der Beginn war zäh: „Tote soll man ruhen lassen“, hieß es, und die Wahrheit über Friederikes Tod wurde totgeschwiegen. So steht es im begleitenden Text zu einem schmalen Büchlein, in dem Raimond Gatter die Ergebnisse seiner Recherchen zusammengefasst hat.
Zur Sprache kamen sie bei der von ihm auf den Weg gebrachten Verlegung des Stolpersteins. Dort, wo der Fußweg entlang der Theodor-Heuss-Straße Richtung Oststadt kurz nach der Feuchtinger’schen Unterführung nach rechts abzweigt. Dort, wo Friederike mit ihren Eltern wohnte.
Mit einer berührenden szenischen Lesung erinnerte die Theater-AG des Schiller-Gymnasiums an das gewaltsam ausgelöschte Leben der Friederike Gatter, die bei einem Unfall schwere Kopfverletzungen erlitten hatte und sich anschließend in verschiedenen Heilanstalten befand. An den brutalen Mord in einer Gaskammer, von den NS-Ideologen euphemistisch als Gnadentod für eine als lebensunwert herabgewürdigte Existenz bezeichnet.
Niemand weiß, wo die Asche der Toten geblieben ist. Raimond Gatter bezeichnete den Stolperstein daher als einen Platz des Gedenkens. Zugleich sieht er in ihm aber „ein Mahnmal für die Verbrechen der Vergangenheit und Ermahnung für unsere Zukunft“. An die Schülerinnen und Schüler gewandt, die rote Rosen an dem von ihm eigenhändig einbetonierten Stolperstein niederlegten, appellierte der 64-Jährige: „Denkt selbst und handelt menschlich.“ Er verwies damit auf die immer deutlicher wahrzunehmenden demokratiefeindlichen Gedanken, Worte und Taten in Deutschland.
Seine Antwort auf die Frage nach den Ursachen dieser Entwicklung: „Eine Diktatur ist bequem.“ Sie liefere einfache, wenngleich meist falsche Antworten, biete die Gelegenheit, Willkür auf Kosten anderer auszuleben. Die Demokratie hingegen sei unbequem. Sie müsse gelebt und verteidigt werden. Mitunter strenge das an, „denn wir sind auch verantwortlich für das, was wir geschehen lassen“.
Gatter lebt seit vielen Jahren in der Schweiz, ist aber regelmäßig in seiner Geburtsstadt Heidenheim zu Besuch. Er schäme sich für diese, sagte er an Oberbürgermeister Michael Salomo gewandt, weil hier „immer noch das unselige Denkmal steht für Hitlers Lieblingsgeneral, den Kriegsverbrecher und überzeugten Nazi Rommel“. Er machte sich für einen Abriss stark: „Auch heilige Kühe sind Rindviecher. Und diese hier ist schon längst schlachtreif.“
Plädoyer gegen das Vergessen
Gerhard Oberlader, der in Heidenheim zusammen mit Heiner Jestrabek und Rudi Neidlein das Verlegen von Stolpersteinen organisiert, würdigte die Veranstaltung als „Heidenheimer Variante der Demonstrationen gegen rechts“. Sich gegen das Vergessen zu stemmen, sei eine der Voraussetzungen für den Fortbestand der Demokratie.
Auch OB Salomo mahnte dazu, demokratische Verhältnisse nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten. Menschen, die Unrecht erfahren hätten, die gedemütigt und deportiert worden seien, dürften nicht in Vergessenheit geraten: „Schützen wir uns, schützen wir unsere Mitbürger davor, dass es solche Zustände wieder gibt.“
Zwei Stolpersteine an der Wilhelmstraße
Zwei weitere Stolpersteine befinden sich jetzt vor dem Gebäude Wilhelmstraße 11. Sie rufen dauerhaft die Erinnerung wach an Frida und Liebmann Vollweiler. Zuvor Mitglieder einer angesehenen jüdischen Familie, gerieten sie mehr und mehr ins Visier der Machthaber, wurden ihrer Rechte und ihres Eigentums beraubt. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs flohen sie 1939 in die USA.
Einen Ort des Gedenkens gibt es fortan zudem an der Schlossstraße hinter dem City-Parkhaus. Verewigt mit ihrem Namen ist dort Frida Lanksweirt. 1923 in die Heilanstalt Schussenried eingewiesen, wurde sie im Oktober 1940 in die Tötungsanstalt Grafeneck bei Münsingen gebracht und dort einen Tag später ermordet. Das Verbrechen geschah unter dem die Tatsachen verschleiernden Namen T4. Dahinter verbarg sich der Massenmord an Zehntausenden Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen.
Beginn vor fast drei Jahrzehnten
Das Verlegen von Stolpersteinen ist eng mit dem Namen des Künstlers Gunter Demnig verbunden. Seit 1996 erinnert er damit an Menschen, die der NS-Diktatur zum Opfer fielen. In Heidenheim gibt es jetzt 17 der kleinen Mahnmale. Im Februar wurden sechs Stolpersteine in Giengen, Burgberg und Sachsenhausen in Gehwege eingelassen.