Aus der Erkenntnis, dass nichts bleibt, wie es war, hat Hannes Wader ein einst sehr bekanntes Lied gemacht. Die Erkenntnis gilt übrigens auch für Ausstellungen. Also für Kunst. Und ebenso auch für Kunst und Ausstellungen gilt darüber hinaus, dass nichts bleiben muss, was es ist. Aber davon später mehr. Erst kommt der Rückblick.
Im Schlossmuseum hatte man sich im Verlauf der vergangenen drei Jahre daran gewöhnt, dass eine Ausstellungsreihe in gewissem Sinne zunahm, während die Exponate immer leichter wurden. Das mag geheimnisvoll klingen, ist aber schnell erklärt. Es geht um die im Jahr 2021 von und mit dem Kunstmuseum begonnene Ausstellungsreihe „Kunst im Schloss“. 2022 folgte die zweite, 2023 die dritte Schau – und drei wogen schwerer als eine oder zwei. So viel zum Zunehmen.
Der vierte Streich
Was das Abnehmen betrifft, könnte man das tatsächlich in Gramm und Kilogramm dokumentieren. Denn führte die erste Ausstellung noch den Titel „Eisenwege“ und hatte zeitgenössische Stahlplastiken präsentiert, so war Holz der schon etwas leichtere Werkstoff der zweiten Schau und „Holzwege“ deren Namen gewesen. Die dritte Ausstellung thematisiert unter dem Titel „Paperworks“ Papier als Ausgangsmaterial für Skulpturen.
Nun folgt der vierte Streich. Und allein mit Material oder Gewicht kommt man ab sofort nicht mehr weiter. Wieder gibt’s Skulpturen zu erleben, insofern bleibt hier die Linie ungebrochen. Aber woraus sind diese Skulpturen diesmal? Aus allem. Und das ist nicht gelogen. „Re.Use“ lautet der Titel der Schau – und „Kunst aus allem“ der Untertitel.
Alles ist Kunst
Dieser Zusatz spielt selbstverständlich ein wenig damit, dass auch alles Kunst sein kann, ein Gedanke, den man hierzulande nicht zuletzt mit Joseph Beuys in Verbindung bringt, der aber auch in der italienischen „Arte Povera“ anderswo in Europa und dort, in Form von Marcel Duchamps „Ready Mades“, sogar schon vor dem Zweiten Weltkrieg Gestalt angenommen hatte. In Verbindung mit der Gewissheit, dass auch in kunstfernen Objekten und Gegenständen oder Materialien ein ästhetisches Potential steckt, gilt aber ebenso die Erkenntnis, dass es schon auch die gestalterische Fähigkeit von Künstlerinnen und Künstlern braucht, dem Alltäglichen und scheinbar Wertlosen eine neue Gestalt zu geben, es zu transformieren, „auf“, wie Marco Homes, der Direktor des Kunstmuseums es sagt, „eine Ebene darüber hinaus zu tragen“.
Alles ist Kunst also. Und Kunst aus allem. Das eröffnet einen ganzen Kosmos von Möglichkeiten. Dementsprechend vielfältig sind inzwischen die künstlerischen Ansätze. Marco Hompes: „Während es einigen Kunstschaffenden um Texturen und deren Kombination geht, denken andere stärker vom bekannten Objekt und dessen Bedeutungen und Zuschreibungen. Mal wird ein Alltagsobjekt zweckentfremdet und verändert, dann wieder bleibt es in seiner Ursprungsgestalt erhalten.“
Marke schlägt Mythologie
Die Ausstellung im Schlossmuseum setzt dabei auf Assemblagen und „Mixed-Media“-Werke, wobei hier der Fokus auf bereits gebrauchten Gegenständen und Werkstoffen liegt, die, miteinander kombiniert, eine neue Bildsprache entwickeln. „Diese kann“, so Marco Hompes, „rein ästhetisch, aber auch erzählerischer Natur sein und beim Publikum die Entdeckungslust wecken.“ Denn: „Einmal herausgelöst aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, können manche der verwendeten Objekte erst bei genauerer Betrachtung identifiziert werden. Und im Subtext fragen die Werke auch nach dem Umgang mit Ressourcen, ob es notwendig ist, neue Materialien zu produzieren oder nicht sinnvoller, bereits Vorhandenes wiederzuverwenden.“
So kann, womit wir bei der eingangs aufgestellten Behauptung angelangt wären, dass nichts bleiben muss, was es ist, zum Beispiel Müll schön werden. Etwa in den Arbeiten von Nándor Angstenberger, der alltäglichen Gebrauchsmaterialien wie Teelöffel oder Ohrenstöpsel, die längst ihre Funktion verloren haben, gewissermaßen ein neues Leben einhaucht, indem er mit ihnen und vielem anderen mehr neue „Welten“ baut. Zum Beispiel eine Art Wolkenkratzer, in dessen zahlreichen Details man sich regelrecht verlieren und dabei womöglich deren inneren Kern übersehen kann, nämlich zwei Sportschuhe der Marke „Nike“. Der Turm um sie herum trägt den Namen Victoria, also den Namen der Siegesgöttin der römischen Mythologie, was als dezenter Hinweis darauf gedeutet werden kann, dass beim Namen der Göttin, die bei den alten Griechen für den Sieg zuständig war, heute alle Welt an Sportschuhe denkt. Marke schlägt hier längst Mythologie.
Bär und Bahn
Mit Angela Ender, Michael Johansson, Hyunjeong Ko, Julia Miorin, Guido Weggenmann und Umut Yasat führen im Schlossmuseum sechs weitere Künstler sechs weitere künstlerische Positionen und Strategien vor Augen. Wobei auch der Humor nicht zu kurz kommt. Keineswegs nur, um wenigstens noch zwei weitere Werke dieser ebenso aufregenden wie anregenden Schau anzusprechen, in den auch kinetischen Arbeiten von Guido Weggenmann und Hyunjeong Ko.
Der Kemptener setzt Fragmente eines abgeliebten Plüschbären auf einen längst aus der Mode gekommenen Hometrainer und somit, durchaus etwas zynisch, die Kindheit übergangslos in die Tretmühle. Die Koreanerin wiederum verarbeitet verschiedenste Altmaterialien aus der Mobilitätsecke zu einem sich raschelnd bewegenden und dabei glasklar erzählenden Ganzen, das wohl von dem Schock kündet, den unsere längst als Gewohnheit akzeptierte Art vom Funktionieren des Öffentlichen Personennahverkehrs einer gänzlich anderes und sogar Pünktlichkeit gewohnten Asiatin versetzen muss. Der Titel der Arbeit jedenfalls spricht Bände: „Die Bahn fährt heute nicht.“
Eintrittskarte gilt auch fürs Kunstmuseum
Die Ausstellung „Re.Use – Kunst aus allem“ im Heidenheimer Schlossmuseum wird am Sonntag, 2. Juni, mit einer Vernissage ab 11 Uhr eröffnet und bis zum 8. September von Dienstag bis Samstag von 11 bis 16 Uhr und sonn- und feiertags von 11 bis 17 Uhr zu sehen sein. Mit Eintrittskarten für die Schau gelangt man am selben Tag übrigens auch ins Kunstmuseum. Die erste öffentliche Führung im Schlossmuseum beginnt am Sonntag, 9. Juni, um 11.15 Uhr.