Zwei Preisfragen gilt es zu lösen, ehe diese Geschichte beginnt. Beide passend zum Herbstwetter. Die leichte zuerst: Wo kann ein Heidenheimer schnell Sonne tanken, während zu Hause der Nebel um den Hellenstein wallt? Die Antwort kennt jeder, auch wenn sie mit dem eigentlich Unaussprechlichen einhergeht: in Aalen. Nun aber wird’s schwierig, ja beinahe unglaublich: Gibt es einen Ort, der selbst dann noch im Nebel versinkt, wenn sogar in Heidenheim die Sonne scheint? Es gibt ihn: Mainz.
Den unwiderlegbaren Beweis dafür haben dieser Tage HZ-Recherchen vor Ort ergeben. In Mainz unterwegs waren nämlich Kultur-Redakteur Manfred Kubiak und Online-Redakteur Arthur Penk. Auf Einladung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz. Denn das hält es so: einmal Preisträger, immer Preisträger. Es lädt alle Jahre wieder alle je von ihm mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichneten Persönlichkeiten zur Preisverleihung ein. Und so machten sich auch Penk und Kubiak, die 2018 den Journalistenpreis für ihre Serie „Heiliger Bimbam“ über historische Glocken im Landkreis Heidenheim erhalten hatten, wieder auf den Weg. Diesmal nach Rheinland-Pfalz, nicht zuletzt in der frohen Erwartung neuer Kontakte, Einblicke und Anregungen.
Der Platz im Städtealphabet
Mainz also. Drei Tage am Rhein statt an der Brenz, die bekanntlich in die Donau mündet und deshalb mit keinem einzigen Tropfen daran beteiligt ist, dass der Rhein bei Mainz, zumindest in den Augen von an hiesige Flussansichten gewöhnter Menschen, einen doch schon sehr stattlichen Eindruck machen kann. Ist das eine schlechte Nachricht? Wir werden sehen.
Und wir werden zum Beispiel auch fragen, was denn wohl von einer Reise nach Mainz in Verbindung mit dem Landkreis Heidenheim zu bringen sein könnte? Den Nebel hatten wir ja schon. Aber es geht gerade mal so weiter. Denn eine Stadt, in der einer, kaum, dass er das Hotel verlassen hat, in die Zanggasse stolpert, atmet eine gewisse Nähe zu Heidenheimer Landen ja geradezu aus.
Und dann die Sache mit den Römern. Denn nicht nur Mainz, einst Mogontiacum gerufen, kann sich als Stadt eines römischen Namens rühmen. Auch Heidenheim kann das und rangierte als Aquileia im römischen Städtealphabet viele, viele Plätze weiter vorn. In Sachen Fußball indes, dem Gladiatorensport in nachrömischer Jetztzeit, agieren Heidenheim mit dem FC und Mainz mit seinem FSV im Hinblick auf die Tabelle in etwa auf Augenhöhe in der Bundesliga, wobei hier Heidenheim noch keines der direkten Duelle gegen Mainz verloren hat.
Blaue und rote Straßen
Erstklassig spielen beide Städte übrigens auch, was die oft diskutierte Hässlichkeit ihrer Rathäuser anbelangt. Und hier wie dort präsentieren sich die Verwaltungstempel derzeit wie in stummer Absprache eingerüstet und im Zustand der Wiederaufbereitung. Wären die Rathäuser, sagen wir mal, konkurrierende Eistänzer, würde wohl, denn die internationale Architektengemeinde spricht hier von einem herausragenden Beispiel für den Brutalismus, aufgrund der höheren B-Note das Mainzer Monstrum, im Volksmund Beamtengefängnis genannt, den Sieg davontragen. Buchstäblich Ansichtssache hingegen ist, in welcher Stadt das Ungetüm auf milderndere Umstände hoffen kann. Dreht man nämlich in Heidenheim dem Rathaus den Rücken zu, sieht man bloß die Grabenstraße. Tut man es in Mainz, erblickt man immerhin den Rhein.
Man merkt schon: Wir kommen vor lauter Gemeinsamkeiten gar nicht zu unserer Geschichte. Oder aber wir erzählen, bis hierher völlig unbemerkt, schon längst eine Geschichte der Gemeinsamkeiten. Denn sogar Heidenheims Stadtfarben Rot und Blau spielen in Mainz eine sofort ins Auge fallende Rolle. Dort in der Innenstadt gibt es sowohl blaue als auch rote Straßenschilder; und zwar sind die blauen denjenigen Straßen vorbehalten, die parallel zum Rhein verlaufen, die roten wiederum führen, je niedriger die Hausnummer, desto näher, zum Rhein hin. Um zu verhindern, dass, im Falle des Falles, noch mehr geschluckt werden müsste, gibt man Ortsfremden in Mainz deshalb gern einen guten Rat mit auf den Weg: Wer blau ist, sollte rote Straßen meiden.
Schal statt Hut
Fehlte jetzt zum Beispiel nur noch, dass Mainz, wie Heidenheim auch, einen kulturell genutzten Marstall hätte. Und Mainz hat. Hier, im ehemals kurfürstlichen Marstall, ist das Landesmuseum untergebracht, wohin Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringens Kulturminister und Staatskanzleichef sowie Präsident des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, die aus allen Himmelsrichtungen angereisten Gäste zu einer Abendgesellschaft geladen hatte.
Der nächste Morgen begann dann mit der Erkenntnis, dass digital viel, aber längst noch nicht alles geht. Wobei die Heidenheimer Denkmaldelegation zunächst im Mainzer Nebel stocherte und Arthur Penk gleichzeitig dank modernster Technik via Smartphone und den dorthin übermittelten Livedaten seiner PV-Anlage beweisen konnte, dass in Heidenheim parallel die Sonne schien. Da es freilich der Fortschritt immer noch nicht möglich macht, dass man sich einen digitalen Hut aufsetzen kann, der Nebel gleichzeitig aber nicht so dicht war, um Manfred Kubiak vollständig unsichtbar zu machen, musste sich dieser, um den bereits im Hochmittelalter angelegten Judensand, einen der ältesten jüdischen Friedhöfe in Europa, betreten zu dürfen, von einer hilfsbereiten Dame und deren leihweise als Kopfbedeckung zur Verfügung gestellten Schal retten lassen.
Erfolgreiche Krakeeler
Was es nicht gibt in und um Heidenheim herum, in Mainz aber schon, sind frei fliegende Papageien. Ungelogen. Und zwar handelt es sich bei den Vögeln um Halsbandsittiche. Wer schon einmal in Wiesbaden war, also auf der aus Mainzer Perspektive anderen, der falschen Seite des Rheins, hat diese wegen ihrer Lautstärke mitunter als Unsittiche betrachteten grünen Gesellen womöglich schon einmal erleben können. Zum Beispiel auf dem Platz vor der Oper, wo sie schon seit Jahrzehnten in einer regelrechten Kolonie krakeelen. Mittlerweile also haben es die längst ans vergleichsweise milde rheinische Klima angepassten Nachkommen erfolgreicher Gefangenschaftsflüchtlinge auch über den Fluss von der hessischen in die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt geschafft. Lebenskünstler eben.
Von bunten Vögeln am Morgen zu narrenhaft Buntem am Abend ist es in Mainz nur ein kleiner gedanklicher Schritt. Wenn man nämlich mal die Austragungsstätte der Preisverleihung 2024 betrachtet. Diese ging im Großen Saal des Kurfürstlichen Schlosses über die Bühne, einem Ort, an dem, möchte man fast behaupten, beinahe auch jeder Heidenheimer schon einmal gewesen ist. Wenigstens via Fernsehen. Denn von hier aus wird die Meenzer Fassenacht auf Deutschlands Wohnstuben losgelassen. Seit 1955. Zeitweise gab es aus der Stadt der zwei mittelalterlichen Dome, weil es nun, sogar unter unmittelbarer Mainzer Beteiligung, zwei Fernsehsender in Deutschland gab, sogar zwei Fernsehprunksitzungen, von denen die eine „Mainz wie es singt und lacht“ hieß und die zweite „Mainz bleibt Mainz“.
Rote und grüne Männchen
Heute kennt man die von den beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten längst abwechselnd ausgestrahlte eine Sendung folgerichtig als „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“. Närrische Heimsuchungen wie 1964, als Ernst Neger, der singende Dachdecker, „Humba Täterä“ uraufführte und die Sendezeit um eine Stunde überzogen wurde, weil sich das Publikum nicht beruhigen wollte und einfach weitersang, kann sich inzwischen wohl selbst der hartgesottenste Fernsehkonsument nicht mehr vorstellen.
Überbleibsel aus solch grauer Vorzeit der Television sind die seit 61 Jahren und damit von Beginn an im zweiten Programm aktiven Mainzelmännchen. Die kennt wahrscheinlich ebenfalls so ziemlich jeder Heidenheimer. Als Figuren auf Fußgängerampeln findet man sie allerdings nur in der Mainzer Altstadt, deren anheimelndste Ecke sicher der „Kirschgarten“ darstellt. Dieser wiederum hat nichts mit Anton Tschechows Theaterschaffen zu tun. Ebenso wenig übrigens wie Heidenheims Schwanengasse, um sich mit einer diesmal leicht hinkenden Gemeinsamkeit aus diesem von Anfang bis Ende nun gar nicht so ungleichen Städtevergleich zu stehlen.
Preisgekrönte Serie weiterhin online
Alle 17 Folgen der HZ-Serie über historische Kirchenglocken im Landkreis Heidenheim, für die Manfred Kubiak und Arthur Penk 2018 mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz ausgezeichnet wurden, sind hier zu sehen: