Das Ziel: Lernbegleiter an allen Heidenheimer Grundschulen
Kein Wort spricht die Erstklässlerin, als Silke Jakob-Haag das Mädchen erstmals an der Schule trifft. Kein Wunder, denn das Mädchen spricht ungarisch und versteht kaum ein Wort Deutsch. „Wie soll es die Hausaufgaben machen, wenn es die Aufgabenstellung nicht lesen kann“, sagt Silke Jakob-Haag, die einer der 25 Lernbegleiterinnen im Bildungsnetz Heidenheim ist, das der Kinderschutzbund Heidenheim im Mai 2022 gestartet hat.
Die Heidenheimerin, eigentlich gelernte Bauingenieurin, trifft die Schülerin einmal pro Woche und bringt Geduld und Lernmotivation mit, das Vertrauen wächst ebenso wie der Erfolg. Ein Jahr später ist die Schülerin nicht wiederzuerkennen. Sie spricht, ist in der Klasse integriert und macht ihre Hausaufgaben eigenständig. „Sie ist in der Schule angekommen.“
Die Anfänge: Lerntreff des Kinderschutzbundes ist schnell rappelvoll
Kinder wie diese gibt es viele an allen Heidenheimer Schulen, die aus sozialen und kulturellen Gründen die Unterstützung vom Elternhaus nicht bekommen, berichtet Britta John, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Heidenheim. Familienpaten beobachten diese immer größer werdende Kluft durch ihre Arbeit. Deshalb richtete der Kinderschutzbund zunächst in den eigenen Räumen einen Lerntreff ein. Zu den eingangs betreuten Kindern von der Ostschule aus zwei Familien kamen schnell viele weitere hinzu. Schließlich wurden in neun Räumen 20 bis 30 Kinder betreut, von acht Lernbegleitern. „Wir stießen an unsere Grenzen“, sagt Britta John.
„Und dann kam Corona und es wurde plötzlich zur Volkskrankheit, dass Kinder immer mehr abgehängt wurden.“ Als Folgen von Corona beobachte sie Zurückgezogenheit sowie fehlendes Selbstvertrauen. Die sozialen Fähigkeiten hätten gelitten, Aggressivität habe zugenommen, sagt Silka Jakob-Haag. Und John fügt an, die Wissensspanne der Kinder gehe immer weiter auseinander, eine einzelne Lehrkraft im Unterricht könne dem nur schwer gerecht werden.
Jedes halbe Jahr zwei weitere Heidenheimer Grundschulen
Heute sind im Bildungsnetz Heidenheim 25 Lernbegleiter an mittlerweile sechs Schulen aktiv: Grundschule im Heckental, Rauhbuchschule, Ostschule, Arthur-Hartmann-Schule, Christophorus-Schule und Hirscheckschule. Ziel sei es, dass jedes halbe Jahr zwei weitere Schulen hinzu kommen im Bildungsnetz, berichtet Projektleiterin Kerstin Krieger. Mittelfristig wäre die Ausweitung auf Grundschulen im gesamten Landkreis wünschenswert, meint John.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, zumal es dazu mehr Lernbegleiter braucht. Was müssen Menschen mitbringen für diesen Job? „Spaß, mit Kindern zu arbeiten und Wissen weiterzugeben“, sagt John. Welche Aufgaben man übernimmt, ob man mit den Kindern lieber liest oder gezielt Lernlücken schließt und Hausaufgaben betreut, das sei individuell. Ebenso sei die Zeit flexibel, an denen man an der Schule ist, vormittags oder nachmittags. Minimum sind 45 Minuten, manche betreuen auch 90 Minuten.
Bauingenieurin wird zur Lernbegleiterin
Silke Jakob-Haag ist eine der Lernbegleiterinnen der ersten Stunde. Die gelernte Bauingenieurin wäre selbst gerne Lehrerin geworden und hat für die Betreuung der eigenen beiden Kinder eine Berufsauszeit genommen. „Ich mag es, Kindern etwas beizubringen.“ Sie begleitet meist Kinder in Einzelstunden über längere Zeit und freut sich über Erfolge, so wie bei einem Grundschüler mit Matheschwäche, dem das individuelle Lernen geholfen hat, das Klassenziel zu erreichen.
Seit Frühjahr dabei ist Raphael Fechter, der in Vollzeit im Vertriebscontrolling tätig ist. Er verbringt jeweils mittwochs vor dem Arbeitsstart eine Stunde an der Christophorusschule, wo ihm ein Lehrer je nach aktuellem Bedarf Schüler zuweist. Die Aufgaben erhält er jeweils vom Lehrer, mal kann das Lesen sein, mal ein Arbeitsblatt. „Die Kinder machen keine Probleme“, berichtet er. „Sie scheinen es zu schätzen, wenn sich jemand um sie kümmert.“ Auch Motivationsprobleme tauchen seiner Erfahrung nach weniger auf. Selbst die Klassenclowns verhielten sich tadellos. Allerdings merke er, dass Kinder schnell erschöpft seien, zum Beispiel nach einer ordentlichen Portion Lesestoff.
Unterstützt werden die Lernbegleiter bei pädagogischen und didaktischen Fragen von Projektleiterin Kerstin Krieger, die Bildungswissenschaftlerin ist. Vierteljährlich lädt sie die Lernpaten zum Austausch ein, wobei sie auch immer Impulsschulungen zu Themen wie Konzentrationsübungen oder didaktischen Methoden zu schwierigen Lerninhalten anbietet. Im Team seien auch pensionierte Lehrerinnen dabei, die ebenfalls Tipps gäben.
Wie wird das Bildungsnetz Heidenheim finanziert?
Beim Ziel des flächendeckenden Ausbaus des Bildungsnetzwerks ist nicht zuletzt die Finanzierungsfrage wichtig. Die Pilotphase wurde durch Spenden finanziert, an der die Aktion Schneeflocke sowie die Hanns-Voith-Stiftung einen wesentlichen Anteil hatten. Die Lernbegleiter bekommen zehn Euro Aufwandsentschädigung pro Stunde, einige spendeten das Geld zurück. Zudem muss die personelle Koordination finanziert werden, sowie die Anschaffung von Lernmaterial.
Wie wird man Lernbegleiter?
Eine Ausbildung zum Lernbegleiter ist nicht erforderlich. Allerdings sollte der Interessiert Spaß daran haben, Kinder zu fördern und sich in schulische Lernprozesse einzudenken. Voraussetzung für eine Bewerbung ist ein erweitertes Führungszeugnis. Vorab findet auch immer ein Gespräch statt. Kontakt: Projektleiterin Kerstin Krieger, Telefon 07321-3552105, kerstin.krieger@kinderschutzbund-hdh.de