Der Mai steht vor der Tür und damit auch die Wiesenmahd. Ausgerechnet dann, wenn die Landwirte ihre Wiesen mähen, haben Rehe ihre sogenannte Setzzeit. Das heißt, sie gebären Kitze und legen sie im hohen Gras ab, um für ihre Deckung zu sorgen. Die großen Mähmaschinen bringen die Rehkitze dann in Lebensgefahr.
Werner Mayer ist Pressewart der Kreisjägervereinigung Heidenheim und erklärt weiter: „Die Kitze können noch nicht so weit laufen wie die Muttertiere. Sie bleiben also an Ort und Stelle liegen und ducken sich instinktiv bei der Gefahr des anrückenden Mähwerks. Meistens bedeutet das ihren sicheren Tod.“
Es sei denn, es werden Maßnahmen dagegen ergriffen. Im vergangenen Jahr wurden laut Werner Mayer mithilfe von drei mit Wärmebildkameras ausgestatteten Drohnen des Hegerings Alb 104 Kitze vor dem Mähtod gerettet. „Die Zusammenarbeit mit den Landwirten im Kreis funktioniert weitgehend gut“, sagt Mayer. „Die Landwirte melden sich einen oder zwei Tage vor dem Mähen der Wiesen beim jeweiligen Jagdpächter, und die geben das dann an die Suchteams weiter.“ In einigen Orten, beispielsweise in Steinheim, wende man sich auch direkt an die Teams.
„Die Landwirte wissen, dass das Absuchen verpflichtend ist“, so Mayer weiter. „Die meisten halten sich daran, nur wenige einzelne nicht. Vermutlich aus Bequemlichkeit, aber das kann dann eben eine Anzeige nach sich ziehen.“ Dabei ergebe sich für den Landwirt kein Nachteil. Die Suche erfolgt ehrenamtlich und ist für die Landwirte und Jagdpächter kostenfrei. „Die Suchteams kommen, suchen die Wiese mit den Drohnen ab und bringen die Rehkitze in Sicherheit.“ Angefasst werden dürfen sie allerdings nicht mit den Händen, sondern nur mit Grasbüscheln. „Sonst würden sie den menschlichen Geruch annehmen und das wäre auch ihr sicherer Tod, weil sie die Mutter dann nicht mehr erkennen bzw. nicht mehr annehmen würde.“
150 Einsätze hatte der Hegering Alb im vergangenen Jahr
Rund 150 Einsätze hatte das 15-köpfige Kitzrettungsteam des Hegerings Alb 2023 zwischen Anfang Mai und Mitte Juni – organisiert und auch durchgeführt vom ehrenamtlichen Drohnenteam um Wolfgang Straub und Marc Baier. Letzterer ist bei fast allen Kitzrettungen dabei. Und nimmt dafür einiges in Kauf, denn damit die Wärmebildkameras einen Unterschied zwischen Kitz und Wiese ausmachen können, beginnen die Rettungsaktionen in den frühen Morgenstunden. Während der vier bis sechs Wochen Mäh- und Setzzeit stehen die freiwilligen Helferinnen und Helfer um 4 Uhr auf.
„Man zahlt schon einen gewissen Preis dafür“, gibt Marc Baier zu. „Aber ich mache das aus Überzeugung.“ Er sei selbst Jäger, aber es gehe eben nicht nur ums Schießen. „Der Mensch nimmt sich viel von der Natur und mit dem Einsatz möchte ich ihr etwas zurückgeben“, sagt der 23-Jährige. „Das hat etwas mit Respekt und Ethik zu tun.“ In der Hochphase der Rettungszeit nimmt der Werkzeugbauer, der es irgendwie auch noch schafft, nebenher seinen Industriemeister zu machen, Urlaub bei seinem Arbeitgeber. „Und ich versuche, im Vorfeld Überstunden anzuhäufen, damit ich an Einsatztagen erst um 7 oder 8 Uhr mit der Arbeit anfangen muss.“ Lange dauert so ein Einsatz mit der Drohne nicht. „Für einen Hektar Wiese braucht man maximal fünf Minuten. Das geht schnell.“ Dementsprechend seien auch mehrere Einsätze an einem Tag möglich.
Dieses Jahr kann mit vier Drohnen gesucht werden
Die Kitzrettung hat vor drei Jahren der stellvertretende Kreisjägermeister und Hegeringleiter Wolfgang Straub ins Rollen gebracht. Er hofft, dass in der kommenden Saison noch mehr Kitze gerettet werden können als 2023. Und dafür hat er auch gute Gründe: „Wir haben eine vierte Drohne angeschafft. Wenn wir am Ende der Saison an 150 gerettete Tiere rankommen würden, wäre das super.“
Werner Mayer ist noch ein weiteres Thema wichtig: Hunde bzw. deren Halter. „Die Rehgeißen sind jetzt hochträchtig, deshalb ist es wichtig, dass Hunde an der Leine geführt werden“, erklärt er. „Wenn die Tiere in dieser Phase von Hunden gejagt werden, erleiden sie eine Fehlgeburt und sterben qualvoll. Das kann sich über Tage hinziehen, das haben wir schon oft erlebt.“ Und auch ein nur spielerisches Interesse eines Hundes an einem Rehkitz kann das Jungtier gefährden, weil die Muttertiere ihren Nachwuchs aufgrund des fremden Geruchs dann oft nicht mehr annehmen. Was noch dazu kommt: Auch die am Boden brütenden Vogelarten wie Kiebitz oder Lerche beginnen jetzt zu brüten. Und auch sie brauchen in den nächsten Wochen Ruhe und keine Störungen durch Hunde.
Ist die Suche nach Rehkitzen Pflicht?
Ist die Suche nach Rehkitzen vor der Mahd Pflicht? Dieser Frage ging die HZ bereits im vergangenen Jahr nach und befragte zuständige Behörden. Etwa Tobias Mayer, Pressesprecher im Landratsamt: „2002 wurde der Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen. Das bedeutet, dass Schutzmaßnahmen, soweit möglich, bei der Mahd zu ergreifen sind.“
Was bedeutet aber „soweit möglich“ und wann liegt ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vor? Maximilian Adis, Pressesprecher bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen, nennt eine Vielzahl von zu berücksichtigenden Faktoren. „Das Tierschutzgesetz ist im Paragraf 17 zwar eindeutig: Es heißt, dass die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund verboten ist.“ Die Tötung sei relativ leicht nachzuweisen. „Strafbar ist aber nur das vorsätzliche Handeln“, so Adis weiter. „Die Frage ist also, ob der Landwirt den Tod eines Rehkitzes oder eines anderen Tieres billigend in Kauf genommen hat.“ Die Staatsanwaltschaft Ellwangen hat in solchen Fällen schon mehrfach ermittelt. Dabei kommt es auch auf Faktoren wie Witterungsbedingungen und Sichtverhältnisse an. Teilweise ist es laut Adis ausreichend, eine Fläche vor dem Mähen abzulaufen, in manchem Fällen sei der Einsatz von Wärmebildkameras und Drohnen aber notwendig.
Und wie ist denn das Strafmaß bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz? Laut der Polizei sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor – oder eine Geldstrafe. Dass Gerichte zumindest eine Geldstrafe verhängen, ist gar nicht so unüblich. So wurde 2022 etwa ein Landwirt aus dem Kreis Osnabrück zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro verurteilt, weil er vor Mahdbeginn die Wiese nicht nach Kitzen abgesucht habe und durch sein Mähwerk drei Kitze getötet hatte. 2023 wurde ein Landwirt im Rhein-Neckar-Kreis zu einer Geldstrafe von 3500 Euro verurteilt, weil er notwendige Maßnahmen zur Kitzrettung unterlassen hatte.