Alltag im Ausnahmezustand

Zurück in Israel: Wie Jonas Engelhart aus Heidenheim den Krieg erlebt

Der Konflikt zwischen dem Staat Israel und der palästinensischen Hamas ruft in Deutschland viele Reaktionen und Kommentare hervor. Doch wie ist die Lage wirklich? Der Heidenheimer Jonas Engelhart kehrte zurück in das vom Krieg zerrissene Land. Wie erleben die Menschen die aktuelle Lage und wie blicken sie auf die weltweite Berichterstattung?

Der Krieg zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas beherrscht seit dem fruchtbaren Überfall vom 7. Oktober die Schlagzeilen. Auch in Deutschland sprechen viele über die entsetzlichen Verbrechen der Terroristen und die harten Gegenschläge des Militärs, doch wohl wenige können die Situation und den Hintergrund wirklich einschätzen. Einer, der mitten drin ist im Geschehen, ist der junge Heidenheimer Jonas Engelhart.

Der frühere Basketballer, der aus einer bekannten Sportlerfamilie stammt, hatte sich im Sommer entschlossen, zu seiner israelischen Lebensgefährtin Noga Maor zu ziehen und erlebte so den Kriegsbeginn vor Ort mit.

Kein Zweifel an der Rückkehr

Nach dem Angriff der Hamas reisten Engelhart, seine Freundin und deren jüngere Schwester auf eigene Faust nach Deutschland, doch dort wollten sie nicht lange bleiben. „Die Sehnsucht von Noga und ihrer Schwester nach der Familie war zu groß, aber auch für mich war klar, dass ich wieder nach Israel zurückkehre. Die Tage in Deutschland waren gut, um etwas den Kopf freizubekommen, aber eigentlich bekommst du ihn nicht frei – egal wo auf der Welt du bist“, berichtet der gerade 24 Jahre alt gewordene Heidenheimer.

Seither leben sie – so wie alle Israelis – in einem Spannungsfeld zwischen dem Verarbeiten und dem täglichen Kampf um ein bisschen Rückkehr zur Normalität. Wie schwierig dies ist, lässt sich kaum erahnen. „Jeder kennt jemanden, der selbst die Angriffe miterlebt hat oder dessen Freunde oder Verwandte dabei verletzt oder getötet wurden“, sagt Engelhart und fügt hinzu: „Und mittlerweile kennt auch jeder jemanden, der in irgendeiner Form in diesen Krieg verwickelt ist, vielleicht täglich sein Leben riskiert.“

So kennt er Geschichten von Piloten oder Einsatzkräften, die während der Nachtwache auch bei Alarm auf ihrem Posten bleiben müssen und über deren Köpfe dann die Raketen zischten. Und es gibt andere Auswirkungen: Im Sommer besuchten Noga und Jonas noch das wegen seiner weißen Kalkfelsen bekannte Rosch haNikra, mittlerweile ist das an der Grenze zum Libanon gelegene Dorf menschenleer, weil sich die Bevölkerung ins Landesinnere geflüchtet hat.

Jeder kennt jemand, der betroffen ist

Nach dem 7. Oktober wurde in Deutschland fast nur noch über die Angriffe des israelischen Militärs im Gazastreifen berichtet, aber wie Jonas Engelhart erzählt, geht der Raketenbeschuss von dort auf Israel fortwährend weiter. Dabei zielt die Hamas zum Teil auf Gebiete, in denen sich nur Zivilisten befinden, in denen Krankenhäuser stehen.

Das heißt nicht, dass es sich der Heidenheimer und die Familie seiner Freundin einfach machen würden. „Alle sehen die Situation der Zivilisten im Gazastreifen und alle sind sich einig, dass die Reaktion sehr heftig ist, vielleicht heftiger als erwartet. Aber die Anschläge waren eben auch heftig“, sagt Engelhart. Die rund 1200 Toten, über 5000 Verletzten und das Schicksal der Geiseln, von denen sich immer noch über 100 in der Hand der Hamas befinden, haben sich tief ins Bewusstsein der Israelis eingebrannt. Während auf der Welt schon wieder andere Diskussionen geführt werden, sagt Engelhart: „Den 7. Oktober wird hier keiner vergessen.“

Nicht nur einseitig informieren

Dabei versteht er die internationale Kritik angesichts der Bilder aus dem Gazastreifen. „Aber mich stört, wenn sich die Leute nur einseitig informieren. Viele hinterfragen einfach keine Nachrichtenquellen“, sagt Engelhart. Er sieht sich keinesfalls auf einer Mission, aber er sagt, was er täglich sieht und erlebt und wie andere vermisst er Lösungsvorschläge. Was passiert, wenn Israel jetzt einer Feuerpause zustimmt? Wie ginge es danach weiter? Solange die andere Seite nichts anderes als die Vernichtung Israels will, wird es seiner Ansicht nach keine Verhandlungslösung geben.

Es sind vor allem zwei Themen, die laut Engelhart derzeit die israelische Gesellschaft beschäftigen:  Die Sorge um die Geiseln und die Sorge, was im Norden des Landes passiert. Von dort, aus dem Libanon, droht die Hisbollah dem israelischen Staat – und die ist militärisch viel stärker als die Hamas.

Erste Schritte im Berufsleben

Und trotzdem gab es für den Heidenheimer keinen Zweifel daran, wieder in die Heimat seiner Lebensgefährtin zu reisen. Viele Freunde in Deutschland fragten ihn, ob er nicht irre sei, gerade jetzt nach Israel zurückzukehren. „Ich bin nicht blauäugig, was die Lage betrifft, aber letztlich sehe ich keinen Grund, nicht hier zu bleiben. Wir wollen uns hier ein Leben aufbauen“, betont Engelhart. Und dabei ist ihm ein erster großer Schritt gelungen, im Januar tritt er eine Stelle bei der Software-Firma Wix.com an, ist dort für die Betreuung der deutschsprachigen Kunden zuständig.

Im Sommer besuchten Nogar Maor und Jonas Engelhart noch Rosh HaNikra. Inzwischen ist das direkt an der Grenze zum Libanon liegende Dorf unbewohnt, da die Bewohner ins Landesinnere geflohen sind. privat

Zwar hatte er nach seinem Studium (American Studies und Political Studies) andere Pläne, wollte schon immer in den Journalismus, aber es ist ein Einstieg. „Für mich ist es wichtig, hier weiter anzukommen und gut Hebräisch zu lernen“, so Engelhart. Seine Lebensgefährtin kann nun mit ihrem Studium im Elektroingenieurwesen beginnen und so werden die beiden in den nächsten Tagen eine Wohnung im Norden von Tel Aviv beziehen.

Der große Wunsch ist Frieden

Für beide ist auch der Sport sehr wichtig, Noga Maor gehört dem israelischen Beachvolleyball-Nationalkader an, Jonas Engelhart spielte in Deutschland in der Regionalliga Basketball. So freuten sie sich sehr darüber, dass in Israel der Sport wieder seinen Betrieb aufgenommen hat, zum Teil Zuschauer zugelassen sind und sie bereits ein Spiel des Basketballklubs Maccabi Tel Aviv besuchen konnten.

Dies gehört zu den kleinen Schritten in Richtung Normalität, wirklich einkehren kann diese aber natürlich erst, wenn wieder Frieden herrscht, die Geiseln zurück zu ihren Familien dürfen. Die nächsten Tage werden für den Heidenheimer eher unspektakulär. In Israel, wo es vergangene Woche mit 20 Grad und Sonnenschein selbst für diese Gegend ungewöhnlich warm war, gilt ein anderer Kalender, so steht kein Jahreswechsel an. Und Weihnachten wird im Judentum nicht gefeiert, dafür Chanukka, das achttägige Lichterfest. Ganz unabhängig von allen Festen haben Jonas, Noga und ihre Familie aber einen großen Wunsch: Shalom (Frieden).