Diesen Lohn bekommen Menschen in Behindertenwerkstätten im Landkreis Heidenheim
Aufstehen, zur Arbeit gehen, Kollegen treffen, Feierabend machen und am Monatsende dafür entlohnt werden: Was sich für die meisten Heidenheimer nach einem normalen geregelten Tagesablauf anhört, ist für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen im Landkreis eine große Hürde, die viele nicht überwinden können. Damit einige von ihnen diesen geregelten Tagesablauf erfahren dürfen, bieten im Landkreis Heidenheim die Arbeiterwohlfahrt (Awo) und die Lebenshilfe Werkstätten, Cafés und weitere Einrichtungen an, in denen Menschen mit Behinderungen den Arbeitsalltag erfahren können. Überregional steht jedoch derzeit der Werkstattlohn in harter Kritik. Demnach sei das Taschengeld, welches die Beschäftigten in den Werkstätten bekommen, zu gering. Dass über die Höhe der Entlohnung aber nicht die Organisationen selbst entscheiden, sondern diese vom Gesetzgeber so vorgeschrieben ist, wird dabei meistens vergessen.
Reicht der vorgeschriebene Umsatz als Bezahlung?
Bernd Kluge, Leiter der Marie-Juchacz-Werkstatt der Awo, sieht diesen Aufruhr als unnötig und versteht den Zeitpunkt nicht. „Es geht gerade eine Welle an negativer Berichterstattung durch die Medien, die keinen wirklichen Auslöser hat“, sagt Kluge. Da die Awo eine bundesweite Gesellschaft ist, werden die Beschäftigten in den Werkstätten gleich bezahlt wie in anderen Landkreisen und Bundesländern. Dabei beläuft sich das Grundgehalt auf durchschnittlich 160 Euro im Monat. Die Bezahlung wird dabei aber nicht von den Geldgebern und Sponsoren der Behindertenwerkstätten ausgeschüttet, sondern wird allein vom Umsatz der Werkstatt genommen. Vom Gesetzgeber ist vorgegeben, 70 Prozent des Umsatzes an die Beschäftigten abzugeben, wobei diese Forderung meist von den Werkstätten sogar doppelt oder dreifach ausgegeben wird, damit jeder Beschäftigte leistungsgerecht bezahlt wird.
Den erzielten Umsatz kann eine Werkstatt nicht selbst steuern und ist auf Angebote und Anfragen angewiesen. Da in einer Behindertenwerkstatt langsamer gearbeitet wird als in einer Fabrik, ist die Auftragsentlohnung entsprechend geringer.
Nicht nur das Grundgehalt sollte betrachtet werden
Neben dem Grundgehalt, das offiziell Taschengeld genannt wird, bekommt jeder Beschäftigte inklusive Arbeitsförderungsgeld, Grundsicherung und Sozialversicherungsbeiträgen ein Brutto-Einkommen von rund 1750 Euro. Dies ist nur 200 Euro weniger als ein theoretisches Gehalt eines Sozialgeförderten bei einer 35-Stunden-Woche. In einer Behindertenwerkstatt werden die Beschäftigten anders als in einem Wirtschaftsunternehmen rund um die Uhr versorgt und dürfen in ihrem eigenen Tempo arbeiten. Das wäre in einer normalen Fabrik nicht möglich, so Awo-Sozialdienstmitarbeiterin Luisa Bertnik: „Eigentlich sollte das Thema Inklusion gerade das brisante Thema sein.“
Die meisten Beschäftigten können und vor allem wollen gar nicht auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln
Ingomar Kieback, Werkstattleiter der Lebenshilfe Heidenheim
Das beschäftigt auch die Lebenshilfe Heidenheim. Denn sowohl bei der Awo als auch bei der Lebenshilfe ist es schwierig, die Beschäftigten der Werkstätten auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen. Werkstattleiter Ingomar Kieback gibt an, dass es im Schnitt nur alle drei bis vier Jahre gelingt, einen Beschäftigten nachhaltig an den Arbeitsmarkt zu vermitteln: „Die meisten Beschäftigten können und vor allem wollen gar nicht in den ersten Arbeitsmarkt wechseln“.
Vorteile bei der Rentenausschüttung
Jörg Schneider, Geschäftsführer der Lebenshilfe Heidenheim, stärkt die These seiner Kollegen von der Awo und beschreibt die derzeitige Diskussion als zu emotional. „Die Debatte muss versachlicht werden“, sagt Schneider. Er weist vor allem auf den Aspekt der Rente hin, die nach 45 Beitragsjahren bei Beschäftigten in einer Werkstatt bei rund 400 Euro mehr liegt als die Altersrente nach 45 Beitragsjahren in einem Beruf mit Mindestlohn. Ein Vorteil für die Werkstattbeschäftigten. „Wenn man uns und das Thema kritisiert, sollte man zuerst über den Tellerrand hinausschauen und sich nicht bei den durchschnittlich 160 Euro Entgelt aufhängen“, sagt Schneider.
Angebot an Werkstätten im Heidenheimer Landkreis
Die Marie-Juchacz-Werkstatt der Arbeiterwohlfahrt an der Neuffenstraße 5 in Heidenheim bietet für über 80 Menschen mit psychischen Erkrankungen einen geschützten Arbeitsraum. Die Lebenshilfe Heidenheim hat ihre Zentrale an der Waldstraße 5 und beschäftigt zusammen mit den Außenstellen über 300 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Über 200 Pfleger und Betreuer sind dafür in den Werkstätten und den Wohnheimen für Behinderte angestellt.