Premiere

Zwischen Smartphone und Schiller-Sprech: So war „Wilhelm – Tell Me Your Story“ im Naturtheater Heidenheim

Mit „Wilhelm – Tell Me Your Story“ feierte am Freitag im Naturtheater Heidenheim eine modernisierte Version des Schiller-Dramas Premiere. Das Stück versucht sich an einem Balanceakt zwischen Klassiker und gegenwärtiger Inszenierung. Schafft es das?

Ob das Kanton Schwyz um 1300 wohl schon Meme-Content gepostet hat? Ist der Apfelschuss woke? War Friedrich Schiller ein Insta-Baddie? Klassische Dramen lassen sich aus heutiger Sicht auf vielfältige Art und Weise betrachten. Man kann sie zelebrieren, sezieren, kritisch mustern oder ihnen wahlweise auch einen neuen Anstrich verpassen. Für letztere Methode hat sich das Naturtheater entschieden. Zum 100-jährigen Bestehen der Heidenheimer Freilichtbühne hat der Verein Schillers „Wilhelm Tell“, das allererste auf diesen Brettern aufgeführte Stück, einmal mehr inszeniert. „Wilhelm – Tell Me Your Story“ hatte am Freitagabend Premiere.

Die Story, die hier erzählt wurde, sollte eine stark komprimierte, und um einige Kilo abgespeckte Version sein. Was lässt man da weg? Wo fängt man an? Das sind Fragen, die sich nicht nur das geneigte Publikum stellte. Es sind Fragen, die das Naturtheater selbst aufwarf – und direkt beantwortete.

Nach dem Apfelschuss: (von links) Wilhelm Tell (Ingo Schneider), Walther Tell (Jonathan von Fürich), Walther Fürst (Manuel Meiswinkel), Reichsvogt Gessler (Norbert Sluzalek) und der Erzähler (Klaus-Peter Preußger). Foto: Oliver Vogel

Mit Klaus-Peter Preußger betrat zu Beginn ein Erzähler die Bühne, der während des Stücks nicht nur regelmäßig die Lücken der gestrichenen Handlungsteile ausfüllte, sondern gleichzeitig eine Einordnung anbot. Direkt ans Publikum gerichtet und die vierte Wand regelmäßig einreißend.

In erster Linie wurde im Naturtheater aber natürlich „Tell“ gespielt. Darin erhebt sich bekanntermaßen das Schweizer Volk gegen die österreichische Herrschaft. Der Titelheld Wilhelm Tell, souverän und rechtschaffen dargestellt von Ingo Schneider, erkennt widerwillig an, dass er sich nicht länger aus dem Befreiungskampf seines Heimatlandes heraushalten kann und stellt sich schließlich dem Tyrannen und Reichsvogt Gessler (Norbert Sluzalek).

Es macht Sinn, angesichts des Jubiläumsjahres das erste Freilichtbühnenstück aus der Schublade zu kramen. Und es macht Sinn, dieses nicht nur einfach trocken und unreflektiert aufzuführen. Glücklicherweise entgeht das Naturtheater mit dieser Version einer Falle, in die so manche modernisierte Klassiker nur allzu gerne tappen. Nicht selten wollen sich diese durch eine verchromte, auf Hochglanz polierte und gerade deswegen bisweilen sterile Inszenierung vom Ausgangsstoff abheben.

Neu geschriebene Fassung speziell fürs Naturtheater Heidenheim

Die von Oliver von Fürich inszenierte und von Marion Schneider-Bast geschriebene Fassung verwebt Moderne und Klassik, sie kombiniert Sprache von heute mit Schiller-Sprech. Tell trägt Armbrust und Jeans. Gessler kommt in Leder-Trenchcoat gekleidet mit einem Cabrio angerauscht. Die Schergen des Tyrannen bugsieren ihre Motorräder über die Bühne. Und das Publikum wird per LED-Bildschirm über die neusten Breaking News in Schwyz, Uri und Unterwalden informiert.

Überhaupt integrieren sich die beiden Bildschirme wunderbar in die Inszenierung. Sie dienen wahlweise als Videokulisse, als Live-Schalte oder auch als überdimensioniertes Smartphone. Die „Tell-App“ zeigt Chat-Nachrichten der Charaktere, sie informiert über aktuelle Vorkommnisse im Lande („#GesslerSucks“) und sie inszeniert den Gesslerhut auf Instagram. Selbst der berühmte Rütlischwur wird bei „Wilhelm – Tell Me Your Story“ per Zoom-Konferenz abgehalten – inklusive Emojis und Abstimmungstool.

Der zweite der beiden LED-Bildschirme fungierte primär als überdimensioniertes Smartphone. Foto: Oliver Vogel

Aller Neuerungen zum Trotze steckt in diesem Stück ein gehöriges Maß an Geschichte und Tradition, welches bisweilen knapp unter der Oberfläche schwelt, nur um sich im nächsten Moment direkt vor der Nase des Publikums breitzumachen. Zum einen ist „Tell“ natürlich ein Jubiläumsstück, zum anderen ist es eine Rückbesinnung des Naturtheaters auf das klassische Sprechtheater. In den vergangenen Jahren musste dieses Gerne auf dem Schlossberg zurückstecken, den Publikumszahlen nach zu urteilen stehen andere Sparten höher im Kurs. Dieser Trend zeigte sich auch bei der „Tell“-Premiere, die mit 550 Zuschauerinnen und Zuschauern gerade einmal zu 50 Prozent ausgelastet war.

Immerhin hatten diese 550 Menschen das Glück, neben dem gestandenen Naturtheater-Ensemble einige Ehemalige auf der Freilichtbühne zu erleben. Neben Rudi Neidlein und Lars Helfert in kleineren Rollen waren das in erster Linie Norbert Sluzalek, bei dessen sardonisch-grausamen Gessler einem bisweilen das Blut in den Adern gefror, sowie Dieter Junginger, der als Freiherr von Attinghausen mit bemerkenswerter Präsenz agierte und damit ohne Frage die beste schauspielerische Leistung des Abends an den Tag legte.

„Wilhelm Tell“-Aufführung mit Umfrage und Quiz

Der Fokus dieses „Tell“ lag letztlich auf etwas Altem, das verschnörkelt und mit Schleife verpackt einem neuen Publikum präsentiert wurde. Klaus-Peter Preußger tat das auf eine durchweg charmante Art und Weise. Er erzählte von einer Umfrage, mit der ermittelt werden sollte, welche Zitate man mit „Wilhelm Tell“ in Verbindung brachte (Spoiler: so einige). Und er veranstaltete zu Beginn der zweiten Hälfte ein kleines Quiz, bei dem das Publikum ebenjene Zitate erraten und im Gegenzug Preise erhalten sollte (Spoiler: Es gelang ihm).

Bei allem Charme stellte sich dennoch eine Frage: Braucht es all diese Elemente – welche die Dramaturgie der Handlung letztlich immer wieder unterbrechen –, um Theaterbesuchern im Jahr 2024 einen Klassiker schmackhaft zu machen? Lautet die Antwort darauf ja, ist das eine traurige Erkenntnis. Doch wenn das schon sein muss, kann man sich eine Seite vom Naturtheater abschneiden. Denn dieser „Tell“ schafft den Balanceakt: Schiller-Fans wird diese abgespeckte Version keinesfalls zu plump erscheinen. Und wer Sprechtheater skeptisch gegenübersteht, wird hier an der Hand genommen und zu abschließender Erkenntnis geführt: So schlimm ist es gar nicht. Im Gegenteil.

Nur noch zwei Aufführungen im Naturtheater Heidenheim

Das Jubiläumsstück „Wilhelm – Tell Me Your Story“ wird noch zwei weitere Mal aufgeführt: am Freitag, 27. September, und am Samstag, 28. September, jeweils ab 19.30 Uhr. Tickets gibt es unter anderem im Pressehaus in Heidenheim sowie unter laendleevents.de.

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