Plateaustiefel, Klamotten wie Glamour-Hippies, eine gezackte Gitarre, eine – für damalige Verhältnisse – wilde Bühnenshow und ein Song mit einer der größten Niederlagen der Geschichte im Titel: So gewann ABBA im Jahr 1974 den Grand Prix Eurovision de la Chanson. Und am Freitagabend im Konzerthaus hatten sich jede Menge Besucher eingefunden, die die Show damals am Bildschirm zumindest verfolgt haben könnten. Und auch solche, die den Wettbewerb nur als Eurovision Song Contest kennen. Ob jung oder jung geblieben, ob männlich oder weiblich – letztlich wurden alle im voll besetzten Konzerthaus mitgerissen, tanzten, sangen, klatschten, jubelten, und hätte es eine Stimmabgabe à la Eurovision Song Contest gegeben, so hätte es von wohl allen Seiten "Zwölf Punkte", die legendäre Höchstpunktzahl, geheißen.
Der Grund? Plateaustiefel, Klamotten wie Glamour-Hippies, eine gezackte Gitarre und eine rundum perfekte Show. Die lieferte „ABBA Gold – The Concert Show“ mit vier Briten als Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid, und sie ließen sie abermals sprühen, die Magie der Hits der vier Schweden, und sie zeigten damit, dass der Zauber nach wie vor ungebrochen ist. „Voulez-Vous“, der Disco-Song, bei dem das „Aha“ immer sofort mitgedacht wird, machte den Anfang, mit dem langgezogenen „Aha“ in „Knowing me, knowing you“ ging es weiter und schon war der bunte Reigen voller Kracher eröffnet. Das Quartett ließ die „Super Trouper“ leuchten, bat „Take a chance on me“ und „Gimme! Gimme! Gimme! A man after midnight“, besang natürlich „Mamma Mia“ und „Dancing queen“, sang „Lay all your love on me“ und das Publikum war nur allzu bereit, exakt das zu tun.
Tanzbereit und textfest
Bei all diesen Upbeat-Nummern war es schwer bis unmöglich, die Füße stillzuhalten, zumal in der Moderation immer wieder zum Aufstehen animiert und sogar gewisse Gesten – wie auch die beiden Sängerinnen von ABBA sie aus den bekannten Videos zeigten – vorgegeben wurde. Glücklich, wer im Publikum die Außenplätze ergattert hatte, dann ließ sich am besten die Sitzreihen verlassen, um ganz ohne Begrenzung den unbestuhlten Zuschauerraum zum Dance-Floor zu machen, was nicht selten geschah. Wer textfest war, und das waren nicht wenige, sang kräftig mit, und beileibe nicht erst, als die Aufforderung von der Bühne kam.
So blieb es denn auch bei den langsameren Liedern nicht still im Saal: „Chiquitita“ bewies Zugkraft wie eh und je, der „Eagle“ hob sich in die Lüfte und für „I have a dream“ gab es sogar eine kleine Karaoke-Show, denn der Text wurde unter der Discokugel auf der Bühne eingeblendet und so konnte der gesamte Saal singend teilhaben und den Traum mitträumen. In der Pause mag sich mancher noch gefragt haben, wie es denn in der zweiten Hälfte wohl weitergehen würde, wenn schon so viele Hits zu hören waren. Doch auch nach der Pause ging es Schlag auf Schlag, Hit auf Hit weiter – die Schweden haben ja schließlich ein großes Repertoire geschaffen, aus dem sich die Bühnenshow sehr wirkungsvoll bediente.
Weit mehr als stimmige Kostüme
Nun machen Plateauschuhe noch keine Show, aber das Ensemble bot weitaus mehr als die passende Outfits, von denen sie auch die legendären Katzen- und Dreieckskostüme parat hatten. Die Zutaten stimmten insgesamt: Die Stimmen der Sängerinnen, auch wenn sie nicht exakt wie Agnetha und Anni-Frid klangen, bewiesen jene Bandbreite, die es bei aller Eingängigkeit für die Songs braucht und lieferten den Harmoniegesang, der dann eben doch einen hohen Wiedererkennungswert ausmachte, wozu auch die gefälligen Choreografien ganz nach dem Vorbild der Schwedendamen beitrugen. Die beiden Sänger erwiesen sich perfekt in Gitarre, Klavier und im Background mit „Superper Trouperper“ und die beiden bestritten ein sehr rockiges „Does your mother know“. Und schließlich war da auch noch die Band, die hervorragende Arbeit leistete. Selbst die Auftrittsmusik, das Instrumentalstück „Arrival“, war in die Show integriert, die von Video-Einspielern und gekonnten Lichteffekten abgerundet wird, die seit nahezu 20 Jahren europaweit, aber auch außerhalb von Europa gezeigt wird, und das in immer neuen Programmen. Das in Heidenheim gezeigte trug den Titel „The time of your life“ nach einer Textzeile aus „Dancing queen“ – und die Stimmung im Publikum belegte, dass es mit diesem Abend tatsächlich eine sehr gute Zeit hatte.
undefinedundefinedWer nicht ohnehin schon zum Tanzen aufgestanden war, tat es spätestens zum Schlussapplaus, der lang und mit Begeisterungsrufen durchmischt war. Und kaum dass das letzte Lied im Programm verklungen war, ertönte schon der Ruf nach Zugabe. Der blieb nicht unerhört: Dem „So long“ folgte „Thank you for the music“, ein Dank, den das Publikum wohl gerne zurückgab. Selbstverständlich war auch der Song im Programm, mit dem vor 50 Jahren alles begann: „Waterloo“, für ABBA der Auftakt zur Weltkarriere, für Schweden, mittlerweile mit Irland Rekordgewinner, der erste Sieg beim Eurovision Song Contest. Und das Publikum in Heidenheim hatte längst mental die Plateauschuhe übergestreift und schwelgte in Melodien, Texten und Rhythmen, die gleichzeitig Klassiker und Souvenirs aus der Jugend sind. Da lag schon etwas Besonderes in der Luft in dieser Nacht. Um es mit Fernando zu sagen.
Knapper Sieg vor 50 Jahren
Bereits im Vorjahr hatte sich ABBA für den Grand Prix Eurovision de la Chanson mit dem Titel "Ring, Ring" beworben. Er fiel allerdings bereits in der Vorauswahl durch. Mit "Waterloo" klappte es im Jahr 1974 - allerdings knapper, als es die Legende aus heutiger Sicht glauben lassen könnte. Nur sechs Punkte Vorsprung lagen zwischen Schweden und Italiens Gigliola Cinquetti mit 18 Punkten. Deutschland wurde damals von Cindy und Bert vertreten. Ihre "Sommermelodie" erhielt drei Punkte und landete damit neben Norwegen, Schweiz und Portugal auf dem 14. Platz - dem letzten. ABBA wurde letztlich zum größten schwedischen Exportartikel - neben Ikea und Knäckebrot.