Reisen wie früher

1.600 Kilometer, 18 PS und ein beleidigter Rücken

Franco Graziano aus Bolheim hat sich einen langgehegten Traum erfüllt: Er ist mit einem mehr als 50 Jahre alten Fiat 500 nach Kalabrien gefahren. Ob das Auto durchgehalten und wie er die Fahrt erlebt hat.

1.600 Kilometer, 18 PS und ein beleidigter Rücken

Wenn Franco Graziano von Italien erzählt, gerät er regelrecht ins Schwärmen. Aber der Bolheimer ist wählerisch. Seine kalabrische Heimat schildert er in bunten Farben – das Meer, den Sand, den frischen Fisch und die plaudernden Männer, die Netze reparieren. Eine Touristenregion wie Rimini dagegen? „Da gibt es nur Sonnenschirme, wie kann man da Urlaub machen?“, fragt er regelrecht verständnislos.

Graziano hat sich Italien gerade erst wieder angeschaut, ganz genau. Er hatte ja Zeit dazu, denn im Sommer ist er von Bolheim in den kalabrischen Küstenort Schiavonea gefahren – in einem Fiat 500, Baujahr 1969. Der Motor leistet 18 Pferdestärken, das Auto wiegt leer nicht einmal eine halbe Tonne. Mit heutigen Autodimensionen im Kopf mag der Fiat 500 kaum wie ein Auto wirken. „Es hat drei Schalter: Licht, Instrumentenbeleuchtung und Scheibenwischer“, sagt der Besitzer. Dafür hat der Fiat unterwegs sehr viel Aufmerksamkeit erregt.

Denn, immerhin, der Fiat 500 fährt. Vier Tage brauchte Graziano für 1.600 Kilometer, schmerzender Rücken inklusive. „Ich bin in Rente, es ist ja wurscht, wie lange ich brauche“, sagt er.

Deutsch lernte Franco Graziano auf dem Straßen von Schnaitheim

Franco Graziano war drei Jahre alt, als er nach Schnaitheim kam, als Kind eines Gastarbeiters. „Ich musste mich durchhauen, auch in der Schule“, erinnert er sich. „Ich kam aus einem behüteten Umfeld in ein kaltes, fremdes Land, wo ich weder die Sprache noch die Leute verstand und wo die ganze Zeit Schnee lag“, erzählt er. Wie er Deutsch lernte, weiß er nicht so recht. Es flog ihm wohl auf der Straße zu, denn als einziger Italiener unter den Schnaitheimer Kindern blieb ihm nichts Anderes übrig, als zu lernen. Heute spricht er quasi Schwäbisch mit gerolltem „R“, und wenn er beim Erzählen die Augenbraue lupft, blitzt für einen Moment die Mimik von Robert de Niro auf.

Vollbepackt und trotzdem schmales Gepäck: Im Fiat 500 gibt es nicht viel Stauraum. Franco Graziano

Zunächst seien die Rollen klar verteilt gewesen. Der kleine Franco war der „Spaghettifresser“, er schalt Schwabenkinder als „Kartoffelklauber“. Gleichstand. So gewann er eine gewisse Zähigkeit, die ihm auch beim Geldverdienen helfen sollte. Mit sechs oder sieben Jahren nahmen ihn andere Italiener als Dolmetscher mit aufs Amt, so kamen die ersten paar Mark in seine Taschen. Später suchte er einer Gastarbeiterfamilie eine Wohnung, für die Provision von 50 Mark. Graziano wurde Automechaniker, betrieb viele Jahre in Bolheim einen Autohandel, vor der Rente arbeitete er als Konstrukteur.

Wenn Graziano einen Fiat 500 sieht, kann er nicht widerstehen

Die Faszination für die winzigen Fiats entwickelte Graziano sehr früh. „Das erste Auto meines Vaters in Italien war ein Fiat 500“, sagt er. Und auch wenn die Familie bald einen Opel Rekord kaufte, mit dem man im Konvoi mit anderen Italienern im Sommer den mühsamen Weg in die Heimat auf sich nahm, ließen ihn die kugeligen Kleinwagen nicht los. „Ich hatte einen 500er-Spleen“, gibt Graziano zu. Wenn irgendwo einer angeboten wurden, kaufte er ihn sofort. „Ich habe zu meiner Frau gesagt, irgendwann fahre ich mit dem Fiat 500 nach Italien.“

Wie viele Autos seiner Generation hat der Fiat 500 den Motor im Heck. Rudi Penk

Im Frühsommer war es soweit: Graziano stopfte sein Gepäck und seine Verpflegung in den begrenzten Stauraum – und tuckerte los. Sein Plan: Die Route nehmen, die auch sein Vater immer gefahren war, als es die A7 noch gar nicht gab. Also bog er in Herbrechtingen auf die B19 ein und folgte ihr nach Süden, arbeitete sich über Innsbruck auf die alte Brennerstraße vor, wo er sich mit seinem funzeligen Licht durch den Regen kämpfte. Am Gardasee übernachtete Graziano, fuhr am nächsten Tag nach Bologna weiter. „Da war ich dann schon zwei Tage unterwegs und hatten keine Lust mehr auf Landstraßen“, sagt er. Gänzlich entspannt sei das Fahren auf der Autobahn dann aber auch nicht gewesen, denn die bestens motorisierten Lastwagen klebten förmlich an der Stoßstange des Fiats. „Ich bin dann immer brav auf den Seitenstreifen ausgewichen“, sagt Graziano schmunzelnd.

Unterwegs wurden der Bolheimer und sein Fiat zur Attraktion

So normal die niedlichen Fiats einst im Straßenbild waren – heute sind sie eine Attraktion: „An jeder Tankstelle waren die Leute begeistert“, sagt Graziano. Und natürlich musste er immer wieder die Geschichte erzählen, warum er sich mit dem Mini-Auto auf die lange Reise machte. Irgendwo umrundete ein Trupp von Harleyfahrern den Fiat. Beeindruckt war Graziano von ihnen nicht: „Ich hab‘ auch zwei Zylinder und kann laut sein“, sagt er und lacht.

Nach vier Tagen Fahrt hatte der Bolheimer Franco Graziano den Strand seiner kalabrischen Heimat erreicht. Franco Graziano

Nach vier Tagen hatte er Kalabrien erreicht, noch vor der Touristensaison. „Kilometerweit war am Strand einfach nix“, erzählt er. Dort anzukommen verschaffe ihm immer wieder eine Gänsehaut. „Das Meer habe ich immer vermisst“, gesteht Graziano. Dafür gab es in der Stadt etliche HDH-Kennzeichen, weil etliche Italiener aus Heidenheim dort ihren Ruhestand verbringen. Den Rückweg absolvierte er binnen zwei Tagen, er schlief zusammengekauert im Auto. Der Fiat hielt übrigens durch, am Ventildeckel habe er ein bisschen Öl gelassen, aber Graziano hatte sich vorher schon mit Werkzeug und den wichtigsten Ersatzteilen eingedeckt.
Seinen Traum hat sich der Bolheimer nun erfüllt, nochmals will er die Strapazen weder sich noch seinem Rücken zumuten. Aber mal in Etappen an den Gardasee zu fahren, kann er sich gut vorstellen.