Frust auf Seiten der Bauern – überwiegend Verständnis dafür auf Seiten der Politiker. Die Bauernversammlung am Lichtmessmarkt in Herbrechtingen hat Tradition, aber so emotional wie im Grünen Baum am Samstag dürfte sie selten gewesen sein. Der Grund ist bekannt. Seit Wochen demonstrieren die Landwirte gegen Agrarkürzungen. Namentlich ging es darum, dass sie für landwirtschaftliche Fahrzeuge künftig Kfz-Steuer zahlen sollen, was aufgrund der Proteste von der Bunderegierung bereits zurückgenommen wurde, und um den Abbau von Steuerentlastungen beim Agrardiesel, für den der Bundestag am Freitag grünes Licht gegeben hat.
Diese Kürzungen seien der in der Debatte der bereits viel bemühte Tropfen oder auch Liter, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, schilderte Hubert Kucher, der Kreisvorsitzende des Bauernverbandes Ostalb-Heidenheim vor den rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Politik wolle hohe Standards bei den Lebensmitteln, aber zu möglichst günstigen Preisen. „Wir können nicht die Preise auf dem Markt erzielen, die wir brauchen. Wir brauchen die staatliche Unterstützung. Wir brauchen dieses Einkommen. Wir streiken nicht für mehr Geld, sondern damit wir das bekommen, was wir brauchen. “
Martin Grath: "Die Probleme in der Landwirtschaft sind 25 Jahre alt"
„Es war nicht gerechtfertigt, die Landwirtschaft übermäßig zu belasten“, sagte der Landtagsabgeordnete Martin Grath (Grüne). Das sei auch die Meinung von Bundelandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gewesen, die er gleich nach Bekanntwerden der Kürzungspläne kundgetan habe. „Die Ampel ist seit zwei Jahren dran, die Probleme der Landwirtschaft sind aber 25 Jahre alt.“ Es gehe aber nicht nur um die Kürzungen. „Es geht um die Wertschätzung ihrer Arbeit und die ist wiederum wichtig, um junge Menschen für den Beruf noch begeistern zu können.“
Die Entscheidungen, die im Dezember getroffen wurden, seien keine guten gewesen, sagte auch der Landtagsabgeordnete Andreas Stoch (SPD) selbstkritisch. „Auch, weil man mit dem Betroffenen nicht vorher gesprochen hat.“ Der Frust habe sich über Jahre angestaut. „Ich verstehe, dass man ihn dann mal rauslässt.“ Mit den Kürzungen habe man den Bogen überspannt. Doch bei allem Verständnis, warnte er auch: „Ich weiß von Abgeordneten, die bedroht werden und die sich nicht mehr aus dem Haus trauen. Das darf nicht sein.“
Andreas Stoch: "Keine Lebensmittel zu Dumpingpreisen"
Man müsse daran arbeiten, die familiengestützte Landwirtschaft im Süden zukunftsfähig zu machen, so Stoch weiter. „Ich kann ihnen da aber keine einfache Lösung anbieten, wir müssen darüber diskutieren, wie wir das hinkriegen.“ Es schmerze ihn, wenn Lebensmittel zu Dumpingpreisen angeboten würden, die nicht mal die Herstellungskosten decken würden. „Da müssen wir ran, wir brauchen einen Mindestpreis für Lebensmittel.“
Roderich Kiesewetter: "CDU hat lange genug zum Desaster beigetragen"
Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter (CDU) lobte die selbstkritischen Töne seiner Vorredner. Und auch er gab sich selbstkritisch: „Ich bin zwar in der Opposition, aber wir haben lange genug zum Desaster in der Landwirtschaft beigetragen.“ Und Kiesewetter nahm Bezug auf die Rede von Cem Özdemir beim Kalten Markt in Ellwangen Anfang Januar. „Was er da gesagt hat, war ehrlich und lässt aber auch tief blicken.“ Demnach haben der Kanzler, der Wirtschafts- und der Finanzminister über die Kürzungen entschieden, ohne den Fachminister zu konsultieren. „Das war eine Nacht- und Nebelaktion. Das ist kein Stil und auch kein Umgang.“
Dem stimmten auch Redner aus dem Publikum zu. „Wenn der Finanzminister den Landwirtschaftsminister nicht um seine Meinung fragt, dann stimmt es doch hinten und vorne nicht.“ Aber „der Habeck“ brauche sich nicht zu wundern, wenn er nicht von der Fähre komme, weil den Landwirten der Kragen platzt. Dass Cem Özdemir die Blockierer der Fähre kritisiert habe und ihnen „feuchte Träume vom Umsturz“ unterstellt habe, sei eine Unverschämtheit.
Freihandelsabkommen und Flächenstilllegungen
Es ging um Freihandelsabkommen, die den Bauern Schwierigkeiten machen, weil Lebensmittel in anderen Ländern unter geringeren Standards produziert würden, man sich aber dennoch im direkten Wettbewerb mit ihnen befinde. Und um Flächenstilllegungen, die man sich nicht leisten könne, auf die die EU-Kommission laut einem aktuellen Beschluss verzichten will. Man hoffe, dass Deutschland hier nachziehe.
Überwiegend war die Debatte sachlich, aber nicht nur. Es ging auch nicht nur um die Belange der Bauern, sondern auch darum, was gefühlt gerade falsch läuft im Land. Was einen Cem Özdemir als Sozialpädagogen dazu befähige, den Bauern zu sagen, wie sie ihre Arbeit machen sollen, wurde gefragt. Kritisiert wurde auch, dass viele Politiker überhaupt keine Ausbildung hätten. „Sie können sicher sein, die meisten haben eine Ausbildung“, entgegnete Andreas Stoch. Und verwies auf seinen eigenen Werdegang. „Ich war Kultusminister und bin Jurist. Manche sagen, es wäre besser, da würde ein Lehrer sitzen. Andere sagen, das wäre das Schlimmste, was passieren könnte.“ Überhaupt bringe so eine Diskussion niemanden weiter. „Politik ist nie eine One-Man-Show.“ Man hole den Rat von Fachleuten ein, um sich ein Bild zu machen und dann eine vernünftige Entscheidung zu treffen. „Das wird auch in den Rathäusern so gemacht. Die wenigsten Bürgermeister sind Bauingenieure.“
Kritisiert wurde auch die Höhe des Bürgergeldes und überhaupt, dass Deutschland zwar Rekordsteuererträge verzeichne, aber das Geld nicht im Land investiere, sondern in die Welt hinausblase. Roderich Kiesewetter dazu: „Mit so einem Denken verarmen wir. Wir brauchen Partner in der Welt.“ Und Martin Grath ergänzte: „Deutschland und Baden-Württemberg leben vom Export.“ Durch Entwicklungshilfe gebe man anderen Ländern die Chance, hier einzukaufen.
„Die heutigen Probleme sind komplex und schwierig“, sagte Stoch. „Fachkräftemangel, Demografie – es ächzt an allen Ecken und Enden. Diese Probleme lassen sich aber nicht auf Knopfdruck lösen, sondern nur im Dialog. Dass es einfache Lösungen gibt, wollen ihnen die Populisten weismachen, aber die gibt es nicht.“ An die anwesenden Landwirte erging dann auch ein einstimmiger Appell, sich politisch einzubringen und etwa bei der Kommunalwahl im Juni zu kandidieren.