Seit vielen Jahren stellt die Firma Carl Stahl in Herbrechtingen Schmalbandgewebe wie Gurte und Bänder für technische Anwendungen her – speziell für die Automobilindustrie. Nun befindet sich das Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Anfang Februar wurde ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Im Rahmen eines Sanierungsplanes will sich die Firma jetzt grundlegend neu aufstellen. Allein: Die Umsetzung wird stark kritisiert.
Als Auslöser der wirtschaftlichen Krise des Unternehmens nennt Geschäftsführer Dr. Werner Boysen die hohe Abhängigkeit von wenigen Kunden für Autosicherheitsgurtband – einem zu Weltmarktpreisen gehandelten Standard-Artikel, dessen Produktion auf der Schwäbischen Alb zu teuer geworden sei.
Um das Unternehmen wieder auf Erfolgskurs zu bringen, plant die Geschäftsführung eine strategische Neuausrichtung und Investitionen in Spezialanwendungen.
Zusätzliche Investitionen in neue Maschinen sowie eine effizientere Produktion sollen dabei helfen. Auch in den Vertrieb will das Unternehmen verstärkt investieren, so der Geschäftsführer. „Das Geschäft soll perspektivisch gesund wachsen und wie bisher Umsatzerlöse im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich erwirtschaften.“ Aktuell wird das Unternehmen restrukturiert und saniert, der Betrieb wird währenddessen weitergeführt. Erklärtes Ziel ist es, das Insolvenzverfahren zur Jahresmitte abzuschließen. Doch zu welchem Preis?
Stellenabbau: 26 Mitarbeiter betroffen
Die Restrukturierung geht jedenfalls nicht ohne Einschnitte. „Der unvermeidliche Personalabbau soll noch im Februar durch Abschluss eines Sozialplans umgesetzt werden“, verkündete der Geschäftsführer am Mittwoch, 19. Februar, in einer Pressemitteilung an die HZ.
Von den 92 Mitarbeitenden, die vor der Insolvenz für Carl Stahl tätig waren, hätten vier das Unternehmen bereits verlassen. Weitere 26 Beschäftigte sollen in der kommenden Woche im Rahmen eines Sozialplans betriebsbedingt gekündigt werden. Besonders betroffen seien die Weberei und die Thermofixierung. „Die Konfektion bleibt erhalten und wird perspektivisch ausgebaut“, so Boysen. Betroffene Mitarbeiter sollen durch Abfindungen im Rahmen der Insolvenzordnung unterstützt werden.
Ein Teil der Belegschaft wird also gehen müssen – 62 Arbeitsplätze sollen jedoch erhalten bleiben. Boysen zeigt sich optimistisch: „Ich bin zuversichtlich, dass uns die nachhaltige Sanierung des Unternehmens im Rahmen der Insolvenz in Eigenverwaltung gelingen wird“, schrieb er. Sowohl für die Kunden, Lieferanten, als auch für die Mitarbeiter und Gesellschafter werde Carl Stahl ein attraktives Unternehmen mit hoher Produktentwicklungskompetenz sein.
Doch während die Geschäftsführung optimistisch in die Zukunft blickt, üben sowohl der Betriebsrat als auch die Gewerkschaft IG Metall scharfe Kritik an den geplanten Maßnahmen.
Überraschende Kündigungen und angespannte Stimmung
Die Stimmung in der Belegschaft sei „sehr angespannt“, berichtete der Betriebsrat am Freitag, 21. Februar. Besonders brisant: Die betroffenen Mitarbeitenden wüssten noch nicht, dass sie in der kommenden Woche ihre Kündigung erhalten werden. „Dies erfahren sie erst mit Übergabe der Kündigung nächste Woche“, kritisiert der Betriebsrat.
Die IG Metall, die sich für die Rechte der Beschäftigten einsetzt, kritisiert nicht nur die Art und Weise, wie die Kündigungen erfolgen, sondern auch die fehlenden sozialen Abfederungen. Katja Kalkreuter betreut die Firma Carl Stahl in ihrer Funktion als Gewerkschaftssekretärin der IG Metall. Unter anderem kritisiert sie, dass die neue Eigentümerin von Carl Stahl, Familie Oppermann, ihrer sozialen Verantwortung als Arbeitgeber nicht gerecht werde. „Das Lohngefüge in dieser Branche ist ohnehin nicht hoch“, so Kalkreuter. Familie Oppermann lehne jedoch sämtliche Maßnahmen zur Unterstützung der Beschäftigten ab.
Streit um Sozialplan und Abfindungen
Besonders umstritten ist der Umgang mit den betroffenen Mitarbeitenden nach der Entlassung. Die IG Metall fordert die Einrichtung einer Transfergesellschaft, die den Gekündigten beim Übergang in neue Jobs helfen soll, sowie die Nutzung von Fördermaßnahmen der Agentur für Arbeit zur Weiterbildung. „Alle diese Maßnahmen haben wir der Arbeitgeberin mitgeteilt“, betont Kalkreuter. Die Geschäftsführung lehne dies jedoch kategorisch ab.
Auch die Abfindungen sorgen für Empörung. Laut Tobias Bucher, dem Ersten Bevollmächtigten und Kassierer der IG Metall Heidenheim, würden sich diese auf zweieinhalb Monatsgehälter belaufen, schätzungsweise 5600 Euro brutto. „Das ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig“, kritisiert Bucher. Der Betriebsrat bestätigt, dass die Geschäftsleitung keinerlei Bereitschaft gezeigt habe, über bessere Abfindungen zu verhandeln. In einem Gespräch sei das Anliegen „sofort im Keim erstickt“ worden, zitiert der Betriebsrat die Geschäftsführung: „Das wird es nicht geben.“
Rolle des Betriebsrats: Eingeschränkt, aber beteiligt
Der Betriebsrat war in die Verhandlungen zum Sozialplan einbezogen und konnte zumindest Einfluss auf die Sozialauswahl nehmen. „Die wichtigen Punkte wie Alter, Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Anzahl der Kinder und Schwerbehinderung wurden berücksichtigt“, heißt es aus Betriebsratskreisen. Dennoch seien die Verhandlungen unter Zeitdruck und mit begrenztem Spielraum geführt worden. „Der Betriebsrat wurde spät informiert, und es wurden nur die aus Sicht der Geschäftsleitung notwendigen Unterlagen vorgelegt“, bemängelt das Gremium. „Die Belegschaft ist verängstigt. Es wurde eine friedliche gewerkschaftliche Aktion vorbereitet, die dann durch Missverständnisse nicht stattgefunden hat.“
Strategische Neuausrichtung zum Firmenerhalt
Trotz Insolvenz bleibt der Geschäftsbetrieb bestehen. Das Unternehmen setzt auf eine strategische Neuausrichtung, um sich auf margenstärkere Spezialanwendungen zu konzentrieren. Künftig will Carl Stahl verstärkt auf innovative Produkte setzen, etwa Gewebekordeln zur Befestigung von Airbags, Batteriehaltegurte oder neue, designorientierte Rollladengurte für hochwertige Immobilien. Auch der Bereich persönliche Schutzausrüstung (PSA) soll ausgebaut werden.