Wahrheitsfindung vor Gericht ist oftmals eine schwierige Angelegenheit. Im Fall einer jetzt vor dem Heidenheimer Schöffengericht verhandelten Anklage wegen sexueller Nötigung blieb trotz aller Bemühungen am Ende offen, was tatsächlich im Dezember 2023 in der Wohnung einer 32-jährigen Frau passiert ist. Während die junge Frau angab, dass der Angeklagte sie gegen ihren Willen unsittlich berührt und sogar versucht habe, sie zu vergewaltigen, bestritt der Mann den Vorwurf vehement. Beide verstrickten sich in ihren Aussagen in widersprüchlichen Angaben. Am Ende wurde der Angeklagte freigesprochen.
Kennengelernt hatte sich das Paar im Internet. Ob sie sich tatsächlich erst wenige Tage kannten (laut ihrer Aussage) oder schon drei Monate (seine Aussage), blieb, wie vieles andere, offen. Sicher ist nur, dass die junge Frau den 42-jährigen Angeklagten zu sich nach Hause einlud, um ihn besser kennenzulernen.
Eine Verständigung war nur schwierig möglich
Erst am späten Abend kam der Mann aus Landsberg in Bolheim an, wo man zunächst zusammen mit einem Mitbewohner der Wohngemeinschaft zu dritt in der Küche saß. Die Verständigung lief schleppend, denn die Frau spricht nur wenig Englisch, ihr Besucher, der aus Nigeria stammt, dagegen kaum Deutsch. Später gingen die beiden ins Zimmer der Frau. Weil es so spät gewesen sei, habe sie ihm auch erlaubt, bei ihr zu übernachten, berichtete sie vor Gericht.
Von diesem Punkt an aber unterschieden sich die Schilderungen der beiden komplett. Der Angeklagte gab mittels einer Dolmetscherin an, dass er mit der Frau im Bett gelegen habe und sie sich mithilfe von Google-Translate unterhalten hätten. Plötzlich sei sie sauer auf ihn geworden, sei hinausgerannt und habe zu ihrem Mitbewohner gesagt, dass er sie vergewaltigen habe wollen. Er könne sich das nicht erklären und habe sie weder an der Brust noch im Genitalbereich berührt.
Die Frau wirkte beim Eintreffen der Polizei traumatisiert
Der Angeklagte betonte immer wieder, dass er sich mit Pulli und Jeans ins Bett gelegt habe. Erst auf mehrmaliges Nachhaken der Staatsanwältin gab er zu, nur mit T-Shirt und Boxershorts bekleidet gewesen zu sein. Die Polizei, die der Mitbewohner alarmiert hatte, traf den Mann in Shorts und mit nacktem Oberkörper an.
Die 32-jährige Frau hatte in der Nacht gegenüber der Polizei ausgesagt, dass der Angeklagte und sie zusammen im Bett gelegen hatten. Sie habe schlafen wollen, aber der Angeklagte habe versucht, sie zu küssen. Sie habe ihm deutlich gemacht, dass sie das nicht wollte. Er soll sich dann auf sie gelegt, an der Brust berührt und auch versucht haben, sie im Genitalbereich anzufassen. Sie habe sich gewehrt, und als sie laut nach ihrem Mitbewohner gerufen habe, hätte der Angeklagte von ihr abgelassen und sie sei geflüchtet. Sowohl eine Polizeibeamtin als auch ein Kollege beschrieben, dass die Frau bei ihrem Eintreffen auf sie traumatisiert gewirkt habe. Auch die beiden Mitbewohner berichteten, dass die 32-Jährige gezittert habe und verängstigt gewesen sei.
Zu Irritationen führte es, dass die 32-Jährige zu den Vorfällen in dieser Nacht unterschiedliche Angaben machte. So schilderte sie vor Gericht plötzlich, dass der Mann sie rückwärts aufs Bett geworfen habe und versucht habe, sie zu vergewaltigen.
Frau wurde bereits als Kind sexuell missbraucht
Die Verlesung des Berichtes einer Gerichtshelferin offenbarte, dass die junge Frau, bei der eine psychische Behinderung vorliege, wohl bereits in Kindheit und Jugend sexuell missbraucht wurde. Sie mache sich selbst Vorwürfe, dass sie den Angeklagten in ihr Zimmer gelassen habe. Nach Einschätzung der Gerichtshelferin habe der Vorfall zu einer Retraumatisierung der alten Wunden aus der Kindheit geführt.
„Ich habe in meinem Leben nur Missbrauch und Gewalt erlebt“, sagte die junge Frau vor Gericht aus und schilderte verschiedene Erlebnisse. Unter anderem auch, dass sie ein Bekannter in seiner Wohnung in Geislingen eingesperrt, misshandelt und missbraucht habe. Die Polizei habe sie dort schließlich herausgeholt, aber sie nie dazu vernommen. Die Frau löste mit ihren Schilderungen einerseits Betroffenheit aus, säte mit teilweise schwer glaubhaften Angaben aber auch Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Ein DNA-Gutachten mit Spuren, die die Polizei in der Tatnacht gesichert hatte, konnte keine eindeutigen Beweise erbringen.
Nach vielen Stunden der Verhandlung fasste Amtsgerichtsdirektor Rainer Feil zusammen, dass die Schilderungen der Geschädigten im Prozess in „eklatanter Weise“ von denen bei der Polizei abwichen. Es spreche extrem viel dafür, „dass da etwas gewesen ist“, doch, wenn Aussage gegen Aussage stehe und es in wesentlichen Aspekten widersprüchliche Angaben gebe, könne laut dem Bundesgerichtshof eine Verurteilung nicht allein auf die Aussage der Geschädigten gestützt werden.
Auch die Staatsanwältin zeigte sich überzeugt, dass in besagter Nacht etwas vorgefallen sei. Der Angeklagte sei nicht glaubwürdig, aber, so schlimm das für die Geschädigte sei, aus rechtlichen Gründen bleibe ihr keine andere Wahl, als einen Freispruch zu beantragen. Selbst der Verteidiger gestand zu, dass sich der Angeklagte der Frau vermutlich „angenähert“ habe. Er glaube aber auch, dass sich der Vorfall bei der Frau mit Erlebnissen aus ihrer Vergangenheit überlagere. Das Schöffengericht sprach den Angeklagten schließlich frei. Zurück bleibe ein „absolut unbefriedigendes Gefühl“, so Richter Feil.
Später Feierabend für das Schöffengericht
Erst nach 20 Uhr gingen nach dieser Verhandlung die Lichter im Gerichtsaals des Heidenheimer Schöffengerichts aus. Eigentlich hatte die Sitzung schon zeitig am Morgen starten sollen. Der Angeklagte war aber nicht erschienen und musste erst von der Polizei aus Landsberg gebracht werden. Laut seinem Verteidiger hatte sein Mandant die Ladung nicht erhalten.