Sonaten von Beethoven

Georg Michael Grau im Kloster Herbrechtingen: Wenn Pianist und Klavier verschmelzen

Der Pianist Georg Michael Grau hat sich vorgenommen, sämtliche Klaviersonaten Beethovens in neun Konzerten zu spielen. Sein Auftritt im Kloster Herbrechtingen markiert die Halbzeit des Projekts – und macht ganz klar Lust auf mehr.

Nahezu jedes freie Fleckchen im Karlsaal des Kulturzentrums Herbrechtingen musste am Sonntagabend nachbestuhlt werden. Anlass waren die zahlreichen Besucherinnen und Besucher, die Georg Michael Graus Konzert lauschen wollten. Sämtliche Klaviersonaten Ludwig van Beethovens gibt der Musiker seit Anfang 2024 zum Besten. Dieses Mal stand „Waldstein“ auf dem Programm.

Der Pianist begann mit der Klaviersonate in G-Dur op. 79, die als Einzige von Beethoven als „Sonatine“ bezeichnet wurde. Obwohl dieses etwas kleinere und von Grau liebevoll „Sonätchen“ genannte Werk inhaltlich weniger anspruchsvoll ist als die im Programm folgenden Sonaten, bezauberte er seine Zuhörer mit seinem gefühlvollen Vortrag der humorvollen, tänzerischen Passagen und träumerischen Melodien in den drei Sätzen.

Nicht nur vom Notenblatt leiten lassen

Die folgende Klaviersonate B-Dur op. 22 markiert das Ende der frühen Schaffensphase des Ludwig van Beethoven und entstand um 1800. In seiner Interpretation arbeitete Grau die Spannungsbögen und die innere Dynamik besonders im ersten Satz auf bemerkenswerte Weise heraus. Der Wechsel zwischen kraftvoll gespielten, ausdrucksstarken Motiven und harfenähnlichen Bewegungen gelang hervorragend und mit höchster Präzision.

Und dennoch schien es, wenn man den nicht umsonst international ausgezeichneten Pianisten bei seinem leidenschaftlichen Spiel beobachtete, als ob er sich nicht von einem Notenblatt leiten ließ, sondern die Musik aus ihm entspringen würde und er förmlich mit seinem Instrument verschmolz. Mal tanzten die Finger in atemberaubender Geschwindigkeit und gleichzeitig federleicht in schnellen Tonfolgen über die Tasten, mal erfüllte sein kraftvolles Forte den Saal bis ins höchste Gebälk und mal entlockte er dem von der Musikschule zur Verfügung gestellten Steinway-Stutzflügel ganz behutsam kleine, zerbrechliche Melodien.

Von Anfang 2024 bis Ende 2025 will Georg Michael Grau sämtliche Klaviersonaten Beethovens in neun Konzerten präsentieren. Foto: Oliver Vogel

Damit war das Bergfest, also die Halbzeit der Konzertreihe erreicht: 16 der 32 von Beethoven komponierten Sonaten waren gespielt. In der zweiten Hälfte des Abends präsentierte Grau zunächst die Klaviersonate in g-Moll. Sie ist die erste von zwei Sonaten des Opus 49 und fällt durch ihre unübliche Form in nur zwei Sätzen auf. Beethoven selbst ordnete das Werk angeblich als „leicht von Dilettanten zu bewältigen“ ein. Alles andere als dilettantisch war jedoch die brillante Ausführung von Georg Michael Grau, der die verschiedenen Klangfarben der mal harmlos und leicht und dann wieder kraftvoll oder später recht heiter erklingenden Themen eindrucksvoll herausarbeitete.

Als Abschluss und Höhepunkt des Abends schloss sich die sogenannte „Waldsteinsonate“ an. Eine Klaviersonate in C-Dur (op. 53) in drei Sätzen, die als Namensgeberin des Abends auftrat und die einem Freund und Gönner Beethovens, nämlich dem Grafen Waldstein, gewidmet ist.

Resümee der Zuschauer: „Wahnsinn“

Die Waldsteinsonate besticht im ersten Satz durch ihre Virtuosität, ihr zum Teil hohes Tempo und ihre beinah orchestrale Klangfülle. Grau gelang es meisterhaft, nach ruhigen Passagen das rasche und etwas launig anmutende Thema sofort wieder aufzunehmen und blitzschnell zwischen den verschiedenen Charakteren der Motive zu wechseln. Dabei schien er die 88 Tasten der Klaviatur komplett ausreizen zu müssen – ein in die kurze Stille zwischen den ersten beiden Sätzen gehauchtes „Wahnsinn“ aus den Zuschauerreihen brachte die Leistung des Solisten auf den Punkt.

Der zweite Satz stand dem in nichts nach: Mit hoher Präzision schwebten Graus Hände scheinbar mühelos über die Tasten und ließen perlenschnurartige Motive mit kraftvollen Abschnitten mischen. Fast unbemerkt erfolgte schließlich der Übergang in den dritten und letzten Satz, nach dessen letztem Akkord die Leistung des Virtuosen durch kräftigen, anhaltenden und anerkennenden Applaus honoriert wurde. Mit der Träumerei aus Robert Schumanns Kinderszenen als Zugabe verabschiedete sich Georg Michael Grau schließlich sehr gefühlvoll von seinem beeindruckten Publikum.

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