Heidenheimer Amtsgericht verurteilt 31-jährigen Bolheimer wegen falscher Notrufe
Montagnachmittag, 16. Mai 2022: Mehr als ein Dutzend Einsatzfahrzeuge sind ausgerückt. Rettungskräfte sammeln sich an der Voith-Arena, halten sich bereit. An der Paul-Hartmann-Straße in Mergelstetten trifft ein Großaufgebot der Polizei ein, darunter Beamte in voller Schutzmontur, ausgestattet mit Maschinenpistolen. Schnell ist in Heidenheim von einer Bedrohungslage die Rede, ein möglicher Schusswaffengebrauch steht im Raum.
Dann die Entwarnung: An der Paul-Hartmann-Straße gab es an diesem Tag weder einen Schusswaffengebrauch, noch eine Bedrohungslage. Sehr wohl aber eine Straftat. Jemand hatte den Notruf missbraucht, sprich einen Hilferuf abgesetzt, obwohl keine Gefahr bestand. Und damit Polizeibeamte und Rettungskräfte gebunden, die so für einen echten Notfall womöglich nicht zur Verfügung gestanden hätten.
Gasleck, Schusswaffen, Atemstillstand: Ein Bolheimer hat mehrfach den Notruf missbraucht
Heute steht fest, dass ein 31-jähriger Bolheimer den falschen Notruf – Schießerei mit 20 beteiligten Personen und fünf Verletzten – abgesetzt hat. Und nicht nur den: Weitere drei Mal hatte er im April und Mai 2022 über die Notrufapp Nora Alarm geschlagen. Einmal meldete er ein Gasleck in Sontheim/Brenz, einmal den Atemstillstand eines Kleinkinds in Herbrechtingen, einmal ebenfalls einen Schusswaffengebrauch mit 20 Beteiligten und fünf Verletzten.
Für seine Taten musste sich der 31-Jährige, der in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen des Missbrauchs von Notrufen verurteilt worden ist und deswegen zum Tatzeitpunkt und aktuell unter Bewährung steht, jetzt vor dem Heidenheimer Amtsgericht verantworten. Dort zeigte sich auf Nachfrage von Richter Dr. Christoph Edler zwar, dass der Angeklagte keine Erinnerung an vier Taten hat. Gestanden hatte sie der Bolheimer allerdings in einer ersten Vernehmung durch die Polizei, die ihm trotz Verschleierung der Telefonnummer schließlich auf die Spur gekommen war.
Auch auf den Auslöser für seine Taten kann sich der 31-Jährige, der zuletzt als Lagerist gearbeitet hat und aktuell arbeitssuchend ist, heute keinen Reim mehr machen. Jedenfalls sei er zu diesem Zeitpunkt glücklich gewesen, einen Job und eine Freundin zu haben, eigenständig zu leben. "Ich habe gedacht, ich komme ohne Medikamente zurecht", teilte der Angeklagte vor Gericht mit.
Das sagt eine Gutachterin über die Gesundheit des 31-jährigen Bolheimers
Keine Erinnerung an Taten und Motiv? Für die forensisch-psychiatrische Gutachterin Dr. Heidi Durst durchaus glaubhaft. Diagnostiziert sei bei dem 31-Jährigen eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, die mit narzisstischen Anteilen und emotionaler Instabilität einhergehe. Bereits als Kind seien dem Bolheimer wegen eines sehr seltenen genetischen Defekts Medikamente verschrieben worden. Heute habe er mit einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit zu kämpfen, seine Gefühle könne der 31-Jährige schlecht reflektieren.
Ein niedergelassener Psychiater könne, so die Gutachterin, im Fall des Bolheimers eher nichts ausrichten. Vielversprechend sei aber eine deliktpräventive Therapie an einer Fachambulanz. In ihren Plädoyers unterstützten Staatsanwaltschaft und Verteidigung diesen Vorschlag der Expertin. Zudem sahen beide angesichts der einschlägigen Vorstrafen eine Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, als unausweichlich an. Das Urteil lautete letztlich: sechs Monate Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung. Darüber hinaus geht mit dem Schuldspruch die Weisung einher, dass der 31-Jährige binnen sechs Monaten bei einer forensischen Ambulanzpsychiatrie vorstellig werden und dem Gericht später regelmäßig Bericht über die Behandlung erstatten muss.
Dass die Haftstrafe wieder zur Bewährung ausgesetzt wurde? Die Sozialprognose für den 31-Jährigen sei günstig, erklärte Richter Edler. Außerdem ergebe sich durch die organische Persönlichkeitsstörung und dadurch beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten eine Verschiebung des Strafrahmens. In anderen Worten: Die Gesellschaft müsse die Verfehlungen des 31-Jährigen länger ertragen, als es bei gesunden Menschen der Fall sei. Dennoch forderte Edler den Angeklagten auf: "Löschen Sie diese Apps. Tun Sie uns den Gefallen."
Paragraf 145
Wer absichtlich oder wissentlich den Notruf oder Notzeichen missbraucht oder vortäuscht, dass wegen eines Unglücksfalls, gemeiner Gefahr oder Not die Hilfe anderer erforderlich ist, macht sich nach Paragraf 145 des Strafgesetzbuchs strafbar. Das Strafmaß bewegt sich zwischen einer Geldstrafe und einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.