Ärztemangel

In Herbrechtingen fehlt eine Hausarztpraxis – das rät die Kreisärzteschaft

In Herbrechtingen hat eine von sechs Hausarztpraxen ohne Nachfolge geschlossen – von den übrigen fünf nimmt nur eine Praxis neue Patienten auf. Was rät die Kreisärzteschaft Menschen, die einen Hausarzt suchen?

Die Hausarztsituation in Herbrechtingen hat sich eklatant verschlechtert: Dr. Anna Gajda hat ihre Praxis auf der Hohen Wart geschlossen, eine Nachfolge konnte nicht gefunden werden. Damit verbleiben für Herbrechtingen noch fünf Hausarztpraxen, von denen aber nur Dr. Axel Meyer in Bolheim noch neue Patientinnen und Patienten aufnimmt. "Ich tue das den Patienten zuliebe", sagt der Bolheimer Hausarzt. Allerdings werden bei ihm auch nicht alle Menschen aus der Praxis Gajda unterkommen - und nicht jeder kann oder will von Herbrechtingen in den Teilort fahren. „Wir haben sogar Anfragen aus Heidenheim“, berichtet Hauärztin Dr. Vera Kommer aus ihrer Praxis in Herbrechtingen. Die Situation ist im ganzen Landkreis angespannt: „Es ist wie eine Lawine, die ins Rollen kommt“, beschreibt es Kommer.

Die Kreisärzteschaft hat diese Situation zwar im Blick, ihre Handlungsmöglichkeiten sind aber beschränkt, denn es fehlt schlichtweg an jungen Ärztinnen und Ärzten, die eine Praxis übernehmen wollen. So bleibt der Kreisärzteschaft nur, sich um Aufklärung über die Situation zu bemühen. „Wir wollen wachrütteln“, sagt Dr. Stefan Wolf, Vorsitzender der Kreisärzteschaft. Er hoffe, dass die betroffenen Patientinnen und Patienten mit dem Problem auch an die Politik herantreten. „Die niedergelassenen Ärzte sind an ihren Kapazitätsgrenzen“, ergänzt Dr. Axel Bürger, ebenfalls im Vorstand der Kreisärzteschaft. Eine zusätzliche Verteilung der Patienten auf die Praxen sei nicht mehr möglich. „Den größten Unmut ziehen sich die Mitarbeiterinnen zu, die Patienten am Telefon abweisen oder sogar aus der Praxis wegschicken müssen, obwohl diese erkennbar ein Problem haben“, so Bürger.

Die Idee der Notfallsprechstunde

Vera Kommer hat in Herbrechtingen versucht, zumindest temporär Abhilfe zu schaffen: „Ich wollte für Patienten ohne Hausarzt überbrückend eine offene Notfallsprechstunde anbieten“, erzählt die Hausärztin. So einfach wie sie sich das vorgestellt hat, ist das aber aufgrund der gesetzlichen Vorgaben und der relativ komplizierten Abrechnung über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) nicht möglich.
Hausärzte müssen mit einem Budget arbeiten, innerhalb dessen sie ihren Patientinnen und Patienten Medikamente verschreiben dürfen. Die zusätzlichen Patienten aus der Notfallsprechstunde wären zunächst von ihrem Budget abgezogen worden, im Nachhinein hätte sie dann gegen die Abrechnung Widerspruch einlegen können, um eine Erhöhung des Budgets zu erreichen. Oder einfacher gesagt: Zusätzlich zur Mehrarbeit durch die Notfallsprechstunde hätte es für die Herbrechtinger Ärztin auch einen erheblichen bürokratischen Aufwand bedeutet, um auch eine entsprechende Honorierung zu bekommen.

Mit der Idee einer Notfallsprechstunde für Patienten in Herbrechtingen ist Hausärztin Dr. Vera Kommer an der Bürokratie gescheitert. Foto: Rudi Penk

„Die Budgetierung verhindert die Problemlösung“, fasst Dr. Wolf das Problem für die niedergelassenen Ärzte zusammen. Oder noch deutlicher ausgedrückt: „Man wird als Arzt durchs Budget bestraft.“ In diesem Punkt gibt es von der Kreisärzteschaft auch deutliche Kritik an der Kassenärztlichen Vereinigung, der man die Situation in einem Beschwerdebrief dargelegt hat. Besonderen Ärger verursacht unter den Hausärzten die Tatsache, dass die Budgetierung eigentlich aufgehoben werden sollte, nun aber wieder in Kraft tritt, und dies rückwirkend bis zum vierten Quartal 2023.

Der Hausarztmangel nimmt immer mehr zu, stellt der Vorsitzende der Kreisärzteschaft Dr. Stefan Wolf fest. Foto: Rudi Penk

Die Kritik weist die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg allerdings zurück: „Die Budgetierung ist ja keine Maßnahme der KVBW, sondern gesetzlich so vorgeschrieben“, so der KV-Pressesprecher. Nicht zuletzt sei es auf die intensive Intervention der Kassenärztlichen Vereinigungen hin gelungen, dass die Entbudgetierung der Hausärzte in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. „Jetzt ist diese Maßnahme auch Gegenstand eines Gesetzentwurfes, der aktuell im Deutsche Bundestag beraten wird.“ Leider komme das Gesetz später, als es erforderlich gewesen wäre, „aber es soll kommen“.

Großer Druck auf die verbliebenen Praxen

Vera Kommer betont, dass die Ärzte sich nicht aufgrund ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation beklagen: „Uns geht es gut, darum geht es nicht.“ Vielmehr sehe man das Problem der Patientinnen und Patienten, die nicht versorgt werden können, und würde das gerne ändern. Zudem entstehe großer Druck auf die Praxen, die keine Patienten mehr annehmen können, ergänzt Stefan Wolf.

Für das Hausarztproblem in Herbrechtingen ist so schnell keine Lösung in Sicht, im Gegenteil: „Es wird von Praxisschließung zu Praxisschließung schwieriger“, so der Vorsitzende der Kreisärzteschaft. Auch mit Bürgermeister Daniel Vogt gab es bereits mehrere Gespräche. „Die Strukturen und Zuständigkeiten sind extrem komplex“, sagt Vogt. Die Kommune wolle versuchen, die noch bestehenden Praxen bestmöglich zu unterstützen. Allerdings seien die Einflussmöglichkeiten der Stadt bei dieser Thematik sehr begrenzt. „Ich hoffe, dass sich Ansätze finden, um die Situation zu ändern“, so Vogt.

Was tun ohne Hausarzt?

Patientinnen und Patienten, die keine Hausarztpraxis haben, rät die Kreisärzteschaft, sich an die Nummer 116117 zu wenden. Außerdem kann man sich an die ärztliche Notfallpraxis im Klinikum (nicht zu verwechseln mit der Zentralen Notaufnahme) wenden. Diese ist geöffnet montags, dienstags und donnerstags von 19 bis 21 Uhr, mittwochs von 16 bis 21 Uhr, freitags von 17 bis 21 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 8 bis 20 Uhr.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar