Rehkitze getötet: Ist die Suche vor dem Mähen verpflichtend?
Es war nur eine kurze Polizeimitteilung: Ein 66-Jähriger bewirtschaftete eine Grünlandfläche im Bereich „Hinter dem Hasenloch“ bei Herbrechtingen. Dabei soll er beim Mähen zwei Rehkitze getötet haben. Zeugen informierten die Polizei, weil der Verdacht im Raum stehe, dass der Mann, bevor er mähte, keine Maßnahmen zur Wildtierrettung getroffen hat. Was laut der Polizeimeldung geschehen hätte müssen, um keine Tiere zu verletzen oder zu töten. Und es folgte ein Hinweis in eigener Sache: „Die Polizei setzt sich für das Tierwohl ein und ermittelt, ob bei vermeidbarem Tod von Wildtieren Menschen Verantwortung übernehmen müssen.“ Die Polizei Giengen nahm nach der Anzeige die Ermittlungen auf.
Wie ist die rechtliche Lage genau? Ist die Suche nach Rehkitzen vor der Mahd verpflichtend? Dazu Tobias Mayer, Pressesprecher im Landratsamt: „2002 wurde der Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen. Das bedeutet, dass Schutzmaßnahmen, soweit möglich, bei der Mahd zu ergreifen sind.“
Staatsanwaltschaft Ellwangen: Der Vorsatz ist strafbar
Was bedeutet aber „soweit möglich“ und wann liegt ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vor? Maximilian Adis, Pressesprecher bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen, spricht von einer Vielzahl von zu berücksichtigenden Faktoren. „Das Tierschutzgesetz ist im Paragraf 17 zwar eindeutig: Es heißt, dass die Tötung eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund verboten ist.“ Die Tötung sei relativ leicht nachzuweisen. „Strafbar ist aber nur das vorsätzliche Handeln“, so Adis weiter. „Die Frage ist also, ob der Landwirt den Tod eines Rehkitzes oder eines anderen Tieres billigend in Kauf genommen hat.“
Die Staatsanwaltschaft Ellwangen habe in solchen Fällen schon mehrfach ermittelt. Und das ist laut Adis gar nicht so einfach. „Es kommt auf die Jahreszeit an, auf die Witterungsbedingungen, auf die Sichtverhältnisse und die zu mähende Örtlichkeit.“ Teilweise sei es ausreichend, die Fläche abzulaufen, in manchem Fällen sei der Einsatz von Wärmebildkameras und Drohnen notwendig. Zum konkreten Fall in Herbrechtingen kann Adis nichts sagen, da der Vorgang der Staatsanwaltschaft noch nicht vorliege.
Das Strafmaß und Urteile bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz
Wie ist denn das Strafmaß bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz angesetzt? Laut der Polizei sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor – oder eine Geldstrafe. Eine Internet-Recherche zeigt, dass es offenbar gar nicht so unüblich ist, dass Gerichte zumindest Geldstrafen verhängen. So wurde im vergangenen Jahr etwa ein Landwirt aus dem Kreis Osnabrück zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro verurteilt, weil er vor Mahdbeginn die Wiese nicht nach Kitzen abgesucht habe und durch sein Mähwerk drei Kitze getötet hatte. Und das Amtsgericht Weinheim verurteilte Anfang Juni einen Wiesen-Pächter zu einer Geldstrafe in Höhe von 3500 Euro. Er hatte laut Gericht vor dem Mähen die Information erhalten, dass sich Rehkitze auf der Wiese befänden und diese Info aber nicht weitergegeben.
Wie sieht es konkret im Landkreis aus? Werner Mayer ist Pressewart der Kreisjägervereinigung Heidenheim. „Wir haben in diesem Jahr mithilfe von drei mit Wärmebildkameras ausgestatteten Drohnen 104 Kitze vor dem Mähtod gerettet.“ Rund 150 Einsätze bedeutete das – organisiert und auch durchgeführt vom ehrenamtlichen Drohnenteam des Hegering Alb um Wolfgang Straub und Marc Baier.
Werner Mayer erklärt die Hintergründe: „Von Mitte Mai bis Mitte Juni ist die sogenannte Setzzeit der Rehe. Die Ricken legen die Kitze dann vornehmlich in hochstehenden Wiesen ab, um für ihre Deckung zu sorgen.“ Die Kitze seien geruchlos und würden dort von Füchsen nicht entdeckt. Das Problem: Eben in der Setzzeit beginnt auch die Wiesenmahd. „Die Tiere können in den ersten Tagen nicht laufen und sie ducken sich instinktiv bei der Gefahr des anrückenden Mähwerks. Meistens bedeutet das ihren sicheren Tod.“
Es sei denn, die entsprechenden Maßnahmen würden eben ergriffen. „Die Zusammenarbeit mit den Landwirten im Kreis funktioniert weitgehend gut“, sagt Werner Mayer. „Die Landwirte melden sich einen oder zwei Tage vor dem Mähen der Wiesen beim jeweiligen Jagdpächter und die geben das dann an die Suchteams weiter.“ In einigen Orten, beispielsweise in Steinheim, wende man sich auch direkt an die Teams. „Die Landwirte wissen, dass das verpflichtend ist“, so Mayer weiter. „Die meisten halten sich daran, nur wenige einzelne nicht. Vermutlich aus Bequemlichkeit, aber das kann dann eben eine Anzeige nach sich ziehen.“ Dabei ergebe sich für den Landwirt kein Nachteil. „Die Suchteams kommen in den frühen Morgenstunden, suchen die Wiese mit den Drohnen ab und bringen die Rehkitze in Sicherheit.“ Angefasst werden dürfen sie allerdings nicht mit den Händen, sondern nur mit Grasbüscheln. „Sonst würden sie den menschlichen Geruch annehmen und das wäre auch ihr sicherer Tod, weil sie die Mutter dann nicht mehr erkennen bzw. nicht mehr annehmen würde.“
Die Meinung des Kreisbauernverbands Ostalb-Heidenheim
Wie stehen die Landwirte zu den Rettungsaktionen? Hubert Kucher, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Ostalb-Heidenheim: „Der Austausch mit den Jagdpächtern und den Teams funktioniert. Ich selbst schreibe einfach eine kurze Whatsapp ein paar Tage vorher und melde, welche Wiese gemäht wird.“ Man rede miteinander und die Zusammenarbeit funktioniere. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen, bei denen es nicht ganz optimal laufe, gibt Kucher zu.
Kreisjägervereinigung Heidenheim: „Jeden Tag um halb vier aufstehen“
Werner Mayer von der Kreisjägervereinigung ist jedenfalls voll des Lobes für den ehrenamtlichen Einsatz der Helferinnen und Helfer. „Kitzrettung heißt, jeden Tag vor der Arbeit um halb vier aufstehen. Und das einen Monat lang. Da gehört schon etwas dazu.“ Die Suche müsse so früh beginnen. „Denn wenn die Umgebung zu warm wird, sieht man auf den Wärmebildkameras keinen Unterschied mehr zwischen Kitz und Wiese.“
Mayer zählt ein paar der Helferinnen und Helfer namentlich auf: „Mit Christian Schilk, Franziska Kaufmann, Sandra Pietschmann, Monika Bialas vom Hegering und den Mitgliedern der Rettungshundestaffel Heidenheim mit Armin und Sabine Bönisch, Daniela Roth, Daniela Heszler, Werner Heltge, Sven Schierle und Thomas Werber hat sich unser Team erheblich verstärkt, sodass die weit mehr als 150 Einsätze in diesem Jahr auf mehrere Schultern verteilt werden konnten. Dafür haben die Freiwilligen eigens einen Drohnenführerschein gemacht.“ Auch im Hegering Heidenheim Süd sei eine Drohne mit Wärmebildkamera angeschafft worden. „Das Team um Hegeringleiter Wolfgang Hieber konnte 22 Kitze in Sicherheit bringen.“
Kreisjägervereinigung: in einem Monat 104 Rehkitze gerettet
Ist der ganze Aufwand denn gerechtfertigt? Mayer hat dazu eine eindeutige Meinung: „Das ist wahnsinnig wichtig“, sagt er. „Und die Zahl spricht ja für sich. In nur einem Monat haben wir 104 Kitze vor dem Tod gerettet.“ Es sei ein Vorurteil, dass es den Jägerinnen und Jägern nur um das Schießen von Wildtieren gehe. „Das macht nur einen Bruchteil unserer Arbeit aus. Wir tun viel für den Erhalt der Arten und den Schutz von Pflanzen und Tieren.“ Eine Anmerkung hat er noch in Richtung Landwirte: „Wenn sich im kommenden Jahr alle Landwirte beteiligen, dann können wir im Kreisgebiet künftig wirklich flächendeckend die Rehkitze vor den Messern der Hächsler schützen.“
Und Hubert Kucher vom Kreisbauernverband antwortet auf dieselbe Frage nach der Notwendigkeit: „So ein Kitz zusammenzumähen, ist wirklich das Schlimmste, was einem bei der Arbeit passieren kann. Das ist nicht schön und deshalb wollen die allermeisten es auch richtig machen.“