Kühe im Sprint. Das sieht man selten. Aber wenn es nach den langen Wintermonaten im Stall zum ersten Mal auf die Weide geht, ist Schluss mit der Gemächlichkeit und es kommt Schwung in die Herde. Mit Bocksprüngen stürmten die rund 70 Milchkühe der Biotal-Hofgemeinschaft in dieser Woche die Weide. Vor Übermut vollführten sie regelrechte Tänzchen, rannten um die Wette, rempelten ihre Artgenossen an und fochten gleich erste Rangkämpfe aus. Gut beraten ist, wer ihnen bei ihrem Sprint nicht im Weg steht: Mit ihren rund 500 Kilo können sie es auf beachtliche 27 Kilometer pro Stunde schaffen.
Dass der erste Tag auf der Weide für die Tiere ein besonderer Moment ist, war jedenfalls nicht zu übersehen. Und offenbar ist er das auch für Menschen, die täglich mit den Kühen zu tun haben. Fast die gesamte Mannschaft der Biotal-Hofgemeinschaft wohnte dem freudigen Spektakel bei. Auch Biolandbauer Christoph Bosch. Seit gut 35 Jahren gibt es den Betrieb und so hat er Kühe am ersten Weidetag schon zig mal gesehen. Freut er sich trotzdem noch über ihre ausgelassene Stimmung? „Ja, natürlich“, sagt er. „Es ist jedes Mal schön.“

Mehr Agrarromantik kommt bei Bosch aber naturgemäß nicht auf, denn: „Weidehaltung ist viel Arbeit, aber wir machen das aus Überzeugung.“ Von Mitte November bis Mitte April bleiben die Tiere im Stall. „In der Zeit, in der in unseren Breitengraden kein Gras wächst“, erklärt der Landwirt. Ab jetzt dürfen sie täglich raus. Und dafür muss die Herde auf verschiedene Grünflächen im Eselsburger Tal getrieben und auch wieder heim in den Stall geholt werden. Natürlich muss man die Weiden kontrollieren, Zäune auf- und abbauen, täglich Wasser ausfahren. Gemolken wird morgens und abends. Nach dem Abendmelken müssen die Kühe nicht im Stall bleiben, bis November können sie jetzt auch nachts nach Belieben ihren Auslauf neben dem Hof aufsuchen.
Die Kühe in Eselsburg fressen nur Gras und Heu
Die Tiere der Hofgemeinschaft sind Mischlinge. Verschiedene Rassen, wie Holsteiner, Fleckvieh und norwegisches Rotvieh, wurden über die Jahre miteinander gekreuzt. Letztere ist eine genetisch hornlose Rasse, deshalb haben die Tiere der Herde keine Hörner. Pro Jahr geben die Eselsburger Kühe zwischen 5000 und 6000 Liter Milch. Sogenannte Hochleistungskühe geben doppelt so viel. Dafür brauchen sie aber Kraftfutter und das wollen Bosch und seine Mitstreiter nicht verfüttern. Gras ist die Futtergrundlage. Und das hat Gründe. Ein wichtiger für Christoph Bosch: das Klima.

Kühe gelten gemeinhin als Klimakiller, weil sie als Wiederkäuer das Treibhausgas Methan ausstoßen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn es kommt auch darauf an, womit die Kuh gefüttert wird. Bosch ist es wichtig zu betonen, dass die Kuh auch eine Klimaschützerin ist. Beziehungsweise sein kann. Denn: Frisst sie Gras und pflegt das Grünland, wird dort im Humus CO2 gespeichert. „Und zwar deutlich mehr als etwa im Waldboden“, so Bosch.
Auch im Winter bekommen die Kühe nur Gras und Heu aus dem Tal. Und statt Futtergetreide anzupflanzen, wird bei der Hofgemeinschaft nur angebaut, was Menschen zu Lebensmitteln verarbeiten können. „Das ist ein Riesenunterschied“, erklärt Bosch. „Wir verfüttern auch kein Soja, das wir theoretisch selbst essen könnten und das auch noch aus Südamerika kommt. Unsere Kühe bekommen nur, was wir nicht selbst verwerten können.“

Und die Pflege des Grünlands durch die Kühe sei auch wichtig für den Erhalt des Naturschutzgebiets Eselsburger Tal, so Bosch. „Hier leben viele Insekten, von denen wiederum die Vögel und andere Tiere leben. Und jeder Kuhfladen ist ein regelrechtes Insektenhotel“, sagt der Landwirt und dreht flugs einen getrockneten Fladen aus dem vergangenen Jahr um. Die untere Seite sieht tatsächlich auch noch nach Monaten relativ frisch aus und dient ganz offensichtlich Insekten als Lebensraum und Nahrungsquelle. Und so ist für Bosch klar: „Kühe sind auch Insektenschützer.“