Es geschah am ersten Tag des Bauernstreiks. Um 13.30 Uhr reihte ich mich in eine einen Kilometer lange Schlange vor der Autobahnauffahrt Niederstotzingen ein. Ich hatte um 15.45 Uhr einen Kliniktermin in Neu-Ulm. Mit über zwei Stunden für eine ansonsten halbstündige Fahrt dachte ich wegen des Streiks der Bauern genügend Zeitreserve vorgesehen zu haben. Nach eineinhalb Stunden Warten und einer zurückgelegten Wegstrecke von 50 Metern gab ich entnervt auf und fuhr zur Steiffbären-Kreuzung, um dort mehr Erfolg zu haben. Nach einer Stunde gelangte ich auf die Autobahn.
In Ulm ging es auf der B10 im Schritttempo weiter – schikaniert von einem Schlepper an der Spitze. Ich erreichte die Klinik um 16.30 Uhr. Bei der Rückfahrt kam es zu einem Stop-and-go-Tempo von sechs Kilometern pro Stunde. Eine Stunde brauchte ich bis zur Autobahn. An der Ausfahrt Giengen/Herbrechtingen geriet ich bei völliger Dunkelheit auf der Steiffbären-Kreuzung wieder in einen Stau, hervorgerufen durch eine Unzahl von Monster-Traktoren. Dazwischen ratlose Ordnungshüter in einem Wust von ineinander verkeilten Fahrzeugen.
Gegen 19.30 Uhr kam ich zu Hause an. Abzüglich der Behandlung und der üblichen Fahrzeit wurden mir vier Stunden Restlebenszeit gestohlen. Am nächsten Morgen sollte ich wegen einer Behandlung in einer Klinik in Ulm erscheinen. Psychisch und physisch erschöpft, musste ich darauf verzichten. Nochmals sechs bis sieben Stunden in den Fängen wildgewordener Bauern mit ihren angsteinflößenden Waffen, den Monster-Schleppern, verbringen zu müssen, war nicht möglich.
Wer, frage ich mich, hat Rabauken den Freibrief zur Jagd auf uns Konsumenten und zur erzwungenen Gehgeschwindigkeit auf öffentlichen Straßen gegeben? Dass ich Angst haben musste, von einem der Schlepper-Giganten gerammt zu werden, meiner Freizügigkeit beraubt wurde, verstößt massiv gegen ein mir im Grundgesetz verbrieftes Recht. Warum schritten die Politiker nicht sofort ein, die geschworen hatten, uns vor Schaden zu schützen? Mit dem Streik-Freibrief wurde die gesamte Bevölkerung des Landes zur Beute bzw. Geisel für enthemmte Schlepper-Fahrer.
Das in völliger Unkenntnis der Konsequenzen für verschiedene Branchen und Personen: Taxifahrer, Notärzte, Patienten, Feuerwehren, soziale Dienste, Pflegepersonal wurden rücksichtslos und ohne Respekt für irgendwelche Pflichten über einen Kamm geschoren. Nicht einmal Lkw mit Lebensmittel erreichten zu den festgesetzten Terminen die Geschäfte. Ganz zu schweigen von den internationalen Speditionen, die durch Deutschland fahren mussten. Sie dürften nicht verstanden haben, dass mit Traktoren der Verkehr eines hochzivilisierten Landes innerhalb von Stunden zum Erliegen gebracht werden kann. Der grandiose Erfolg dürfte Putin ins Grübeln gebracht haben. Zur Eroberung unseres Landes braucht er nur 200.000 Traktoren ausschwärmen zu lassen, und schon ist der Kittel geflickt, ohne dass ein Schuss fallen muss.
Dieser Tag brachte die seit Jahren größte Umweltverschmutzung innerhalb von 24 Stunden. Nicht nur, dass wir Autofahrer im Stehen den Motor wegen der Heizung nicht abstellen konnten. Zusätzlich versauten wir durch das Stop-and-go den Katalysator so, dass er mit der Abgasreinigung nicht mehr nachkam. Ganz zu schweigen von dem sinnlosen Herumfahren und dem gewaltigen Abgasausstoß der Traktoren.
Zum Schluss erhebt sich die Frage: Warum standen keine Sperr-Traktoren an den Einfahrten der Discounter-Parkplätze?
Johann R. Grolik, Herbrechtingen