Viele Fragezeichen gibt es im Todesfall eines 85-jährigen Mannes, der im Sommer vergangenen Jahres in einem Seniorenheim in Hermaringen erstickt ist. Hätte sein Tod verhindert werden können? Die Aufarbeitung des Falles erweist sich vor dem Heidenheimer Amtsgericht als schwierig. Eine 38-jährige Pflegekraft muss sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, dass sie dem Mann nicht mit der nötigen Sorgfalt das pürierte Essen eingegeben habe, obwohl ihr seine Schluckprobleme bekannt gewesen seien.
Nachdem sich der Mann an diesem Tag bei der Eingabe des Mittagessens bereits verschluckt hatte, habe sie ihn dennoch weiter gefüttert. Der Brei geriet dabei in die Luftröhre und in die Bronchien des Mannes und er erstickte daran. Auch der Notarzt konnte den Patienten trotz einer Intubation nicht mehr retten.
Im Gericht machte die Angeklagte keine Angaben. Bei einer Befragung durch einen Polizeibeamten hatte sie nach dem Vorfall angegeben, dass es öfter vorgekommen sei, dass sich der Bewohner verschluckt habe. Als es an diesem Tag wieder passierte, habe sie ihm zunächst auf den Rücken geklopft und das Essen mit dem Finger aus dem Mund entfernt. Als der Mann Atemnot bekommen habe und sein Gesicht blau geworden sei, habe sie sofort einen Notruf abgesetzt.
Anonymer Hinweis auf „menschenunwürdige“ Behandlung
Das Verfahren erhielt durch einen anonymen Hinweis an die Polizei eine besondere Brisanz. Es handelte sich dabei offenbar um eine Mitarbeiterin der Einrichtung, so der Eindruck des Beamten, der vor Gericht aussagte. Sie habe am Telefon berichtet, dass es übliche Praxis im Heim sei, dass Patienten „in menschenunwürdiger Weise“ zur Nahrungsaufnahme genötigt würden. Die Hinweisgeberin habe dabei sogar den Begriff „gestopft werden“ verwendet. Mit allen Mitteln seien die Trink- und Essmengen einzuhalten, damit Bewohner nicht abnehmen. Dies solle unliebsame Kontrollen verhindern. Laut der anonymen Aussage sei auch die Angeklagte bei solchen Handlungen beobachtet worden. Um dem Druck zu entgehen, würden manche Pflegekräfte heimlich Essen entsorgen.
Die Leiterin der Einrichtung, die an diesem Verhandlungstag als Zeugin zu den Todesumständen des 85-jährigen Bewohners gehört werden sollte, konnte zu diesen Vorwürfen nicht befragt werden. Sie ließ sich wegen einer Erkrankung entschuldigen.
Zum zentralen Punkt der Verhandlung wurde die Frage, wie ausgeprägt die Schluckstörung und die verminderten Hust- und Würgereflexe des Mannes zum Zeitpunkt des tödlichen Vorfalles waren.
Hätte die Pflegefachkraft den Tod des Mannes womöglich gar nicht verhindern können? Dieser Ansicht ist auf jeden Fall der Verteidiger der 38-Jährigen. Er merkte an, dass die Fachgutachten die grundlegende Frage der Ausprägung der Schluckstörung nicht klären konnten. Er forderte deshalb die Hinzuziehung eines Neurologen.
Starke Einblutung im Rachen des Toten festgestellt
Richter Dr. Christoph Edler wollte dennoch zunächst das Ergebnis der Obduktion hören, das der Leiter der Rechtsmedizin Ulm, Professor Dr. Sebastian Kunz, erläuterte, und dazu auch Fotos im Gerichtssaal zeigte. Auch er verwies darauf, dass unklar sei, wie stark der Reflex des Hustens und Würgens beim Opfer noch vorhanden gewesen sei. Der Verschluss der Atemwege durch den Speisebrei könne durch den geminderten Reflex oder aber durch „forciertes Verabreichen“ entstanden sein. Auffallend sei eine starke Einblutung, die er im hinteren Rachendrittel des Toten festgestellt habe – an einer Stelle, auf die normalerweise kein Druck entstehe. Nach seiner Einschätzung sei diese Verletzung aber nicht durch die Intubation des Notarztes zu erklären.
Richter Dr. Christoph Edler entschied sich, die Verhandlung zu unterbrechen. Prof. Dr. Kunz wird nun die medizinischen Akten des Verstorbenen durchforsten, um mögliche Hinweise auf die Ausprägung der Schluckstörung zu finden. Gegebenenfalls werde man einen Neurologen als Gutachter hinzuziehen, so Edler. Und auch die Aussage der Leiterin des Heims soll bei einem weiteren Termin gehört werden.
Tod durch Fahrlässigkeit
Eine fahrlässige Tötung ist eine Straftat, die dann vorliegt, wenn eine Person durch Fahrlässigkeit oder durch die Missachtung der Sorgfaltspflicht ums Leben kommt. Sie kann mit einer Geldstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden.