Die Königsbronner Glocke ist 500 Jahre älter als ihre Kirche
In Königsbronn, in der Kirche Mariä Himmelfahrt, würde nun wirklich niemand eine Glocke aus dem 15. Jahrhundert vermuten.
Bevor aber diese erstaunliche Geschichte erzählt werden soll, wäre es vielleicht zuvor an der Zeit, hier auch einmal die Geschichte der Glocke als solcher zu beleuchten. Und wie das Schießpulver, die Nudeln oder der Fußball, wurden auch die Glocken selbstverständlich in China erfunden. Die ältesten der Menschheit bekannten Glocken stammen aus der Shang-Dynastie (1600–1027 v. Chr.). Sie wurden mit der Mündung nach oben montiert, besaßen keinen Klöppel und wurden, vor allem zu kultischen Zwecken, von außen angeschlagen. Der erste bekannte Sakralbau, der am Giebel mit Glocken behängt wurde, war, davon ist auszugehen, wohl ein Jupitertempel in Rom.
Der Begriff Glocke ist aus dem altirischen clocc entlehnt. Iroschottische Wandermönche nämlich waren es, die im 6. Jahrhundert ihre kunstvollen Glocken, damals noch Handschellen, im christlichen Gottesdienst in Europa verbreiteten. Die ersten Glocken wurden aus Eisenblech hergestellt und vernietet. Seit dem 9. Jahrhundert werden Kirchenglocken überwiegend mittels Bronzeguss hergestellt.
In der Anfangszeit der Glockengießerei waren die Gießer Wanderhandwerker und wurden die Glocken meist vor Ort an der Kirche gegossen, für die sie bestimmt waren. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Transport der schweren Glocken über große Distanzen von einer zentralen Gießerei zu den Bestimmungsorten wäre in jenen Tagen nicht nur zu langwierig und beschwerlich gewesen, sondern darüber hinaus für Personal und Glocke zu gefährlich.
Im frühen Mittelalter wurde es üblich, auf Kirche Glocken in kleinen Dachreitern zu platzieren. Ab dem späten Frühmittelalter, im 10. Jahrhundert, entstanden hohe, zum Tragen des Glockenstuhls errichtete Kirchtürme, in denen Jahrhunderte später auch die mechanischen Werke der Turmuhren Platz fanden.
Eine Uhr allerdings findet sich in Mariä Himmelfahrt zu Königsbronn nicht. Auch schlägt hier keine der vier Glocken die Stunden. Hier erklingt ausschließlich das volle Geläut: täglich mittags um zwölf und abends um sechs sowie jeweils vor den Gottesdiensten. Wobei dieses eher aus einer Mischung aus Dachreiter und kleinem Turm erklingt. Und überhaupt: Wer nicht weiß, dass hier an der Aalener Straße eine Kirche steht, der ginge wohl vorbei, ohne es überhaupt zu bemerken. Dem Bau aus dem Jahr 1987 sieht man die Kirche höchstens auf den zweiten oder dritten Blick an. Und auf die Idee, dass hier die viertälteste Glocke im Landkreis Heidenheim hängt, würde wohl überhaupt niemand kommen.
29 Jahre vor Kolumbus
Dennoch ist es so. Die Glocke, die Manfred Kubiak und Arthur Penk nach kurzem vertikalen Aufstieg unter Anleitung von Pfarrer Dietmar Krieg und Mesner Bruno Malzhaker vorfinden, wurde im Jahr 1463 gegossen, 29 Jahre vor der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus. Der Gießer ist leider unbekannt, als Ursprung vermutet wird die Biberacher Gießhütte. Die Glocke wiegt zirka 190 Kilogramm und hat einen Durchmesser von 68 Zentimetern, was deshalb interessant ist, weil in diesem Zusammenhang einmal die Abklingdauer einer Glocke thematisiert werden kann.
Je besser nämlich eine Glocke gearbeitet wurde, desto länger klingt sie im Anschluss an den letzten Klöppelschlag nach. Die Abklingdauer einer guten Glocke sollte, so die Faustregel, in Sekunden mindestens ihrem unteren Durchmesser in Zentimetern entsprechen. Die „Gloriosa“ im Erfurter Dom, gegossen 1497, mit 11,45 Tonnen Gewicht und einem Durchmesser von 256 Zentimetern die größte freischwingende mittelalterliche Glocke der Welt, die zeitweise nur noch eine Abklingdauer von gut drei Minuten aufwies, klingt nach einer Reparatur im Nördlinger Schweißwerk Lachenmeyer seit 2004 wieder sage und schreibe 370 Sekunden, also über sechs Minuten lang nach.
Die noch ältere Königsbronner Glocke freilich klingt, nun einmal nach Jahren gerechnet, noch nicht einmal so lange vor Ort wie ihr Durchmesser Zentimeter aufweist. Ganze 55 Jahre nur sind es. Die übrigen und vorherigen 489 Jahre ihres Glockenlebens verbrachte sie in St. Isidor in Eggartskirch bei Ravenburg.
Nach Königsbronn kam die Glocke 1952 als nobles und sehr wertvolles Geschenk der Eggartskircher für die in jenem Jahr geweihte katholische Notkirche, wo sie ganz allein im kleinen Dachreiter hing. Der Bau der Notkirche war eine Reaktion auf die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt durch Heimatvertriebene auf 844 Mitglieder angewachsene katholische Gemeinde in Königsbronn. Noch im Jahr 1935 hatte es im Ort gerade einmal sieben katholische Familien gegeben.
1987 dann, die Notkirche, deren Renovierung sich nicht mehr gelohnt hätte, war inzwischen abgerissen worden, wurde die heutige katholische Kirche Königsbronns eingeweiht. Aus Gründen der Sparsamkeit war von der Diözese Rottenburg kein Kirchturm genehmigt worden und sollte die historische Glocke von 1463 weiterhin alleine in einem Dachreiter geläutet werden. Das war den Königsbronnern dann doch zu wenig. Eine Spendenaktion erbrachte die Mittel sowohl für einen Turm als auch für zwei weitere Glocken, die bei A. Bachert in Heilbronn gegossen wurden. Von dort gesellte sich 1992 noch die vierte Glocke hinzu.
Holz statt Stahl
Das wohlklingende Quartett ist – in den 1980er-Jahren hatte bereits wieder ein Umdenken stattgefunden und wurde Holz in jedem Fall dem die Schwingungen viel härter übertragenden Stahl vorgezogen – in einem Holzglockenstuhl untergebracht und schwingt an Holzjochen.
Die historische Glocke ist die kleinste der Schwestern, als Inschrift ist auf ihr der Beginn des Ave Maria zu lesen: „ave maria gracia plena dominvs tecvm benedicta“. Daneben steht, in römischer Zahlschrift, das Jahr des Gusses. Und in einer Ecke des Glockenstuhles finden Manfred Kubiak und Arthur Penk, zumindest sieht das offensichtlich handgeschmiedete gute Stück ganz danach aus, sogar noch den wahrscheinlich im Jahr 1987 ausgetauschten Originalklöppel der Glocke von 1463.