Leserbrief

Gesamte Arbeit in Praxen soll vollständig bezahlt werden

Leserbrief zum Kommentar im überregionalen Teil der HZ vom 30. Dezember 2023.

Ja, Geschrei hilft tatsächlich nicht, aber das gilt auch für den Kommentator im überregionalen Teil der HZ, den die Südwestpresse verantwortet. Zwar hat Herr Zenker in seinem Kommentar immerhin zumindest Verständnis dafür, dass sich Ärztinnen und Ärzte zurecht über die von Gesundheitsminister Lauterbach mal wieder aufgewärmte Neiddebatte ärgern. Dann aber findet Herr Zenker, dass Ärzteverbände nicht schon vor einem Spitzengespräch mit Herrn Lauterbach neue Streiks überlegen sollten. Als hätten jemals die bloßen Ankündigungen von Gesundheitsministern kurzfristig echte Verbesserungen in den Arztpraxen zur Folge gehabt. Und findet es eigentlich ansonsten irgendjemand unnormal, wenn Gewerkschaften für den Fall eines Scheiterns von Verhandlungen neue Streiks androhen?

Schön, dass Herr Zenker dazu aufruft, alle Seiten sollten sachlich diskutieren und schauen, "was für alle verkraftbar ist". Wenn man sich die aktuellen Kernforderungen des Virchow-Bundes anschaut, dann wird man nichts Unsinniges darin finden. Vor allem wird man nicht darin finden, dass Ärzte für sich ein höheres Einkommen fordern. Genaues Lesen hilft auch hier gegen Geschrei. Denn, Herr Zenker, es geht eben nicht einfach darum, dass "Hausärzte mehr Geld bekommen", also die Gewinne der Praxen erhöht werden sollen, sondern es geht darum, dass alle Arbeit in Praxen auch vollständig bezahlt wird, also der Umsatz nicht gekürzt wird. Umsatz und Gewinn auseinanderzuhalten, wäre schon mal eine gute Basis für eine sachliche Diskussion. Man stelle sich nur einmal vor, einem Schreiner würde per Verordnung ein "Budget" von 10 Möbelstücken pro Monat gewährt. Und auch wenn die Nachfrage da und der Schreiner sehr fleißig ist, wird eben das 11. Möbelstück nicht vollständig bezahlt. Undenkbar? Nichts anderes als die Abschaffung dieses Unrechts fordern Ärzteverbände aktuell mal wieder. Man kann es nicht oft genug wiederholen: es ist seit vielen Jahren eben nicht so, dass alle Arbeit in den Praxen auch bezahlt wird.

Und wenn Herr Zenker in seinem Kommentar dann anmahnt, mehr Honorar würde die defizitären Krankenkassen und letztlich die Beitragszahler schröpfen, sei also eben nicht "für alle verkraftbar", dann wird eigentlich gesagt: schaut, wie ihr mit dem, was da ist, zurechtkommt. Dabei ist es ja nicht so, als würden Ärztinnen und Ärzte von sich aus immer mehr und aufwendiger behandeln wollen. Der ernüchternde Blick in die Realität der ärztlichen Versorgung zeigt vielmehr, dass viele Praxen gar nicht mehr wissen, wohin mit all den Patientinnen und Patienten. In derselben Ausgabe der HZ, in der Herr Zenker seinen Kommentar veröffentlicht hat, wird ausführlich aufgezeigt, welch absehbar dramatische Entwicklung die ärztliche Versorgung konkret hier im Landkreis Heidenheim in den nächsten Jahren nehmen wird. Und dann einerseits die optimale Versorgung aller Menschen ohne Wartezeiten zu fordern, andererseits aber zu sagen, ein höherer Anteil der Versicherungsbeiträge für die Behandlung der Patientinnen und Patienten ist leider, leider nicht drin, das ist dann doch ein bisschen zu einfach. Die Forderungen der Ärzteverbände zielen jedenfalls (bei genauem Lesen) darauf, was auch Herr Zenker fordert: dass es schließlich um Patientinnen und Patienten gehen muss. Ärztinnen und Ärzte mühen sich redlich. Aber das System kommt erkennbar für alle an seine Grenzen.

Wer welche Behandlung zu welchen Kosten bekommen kann, ist im allerwörtlichsten Sinne eine politische Entscheidung. Aber seit Jahrzehnten drücken sich alle Ebenen politischer Entscheidungsträger darum herum. Viel einfacher ist es ja, Ärztinnen und Ärzte mit dem Spagat aus optimaler Therapie und dem Zwang zur Wirtschaftlichkeit allein zu lassen. Und wenn Praxen dann auch noch gezwungen werden, eine sogenannte Digitalisierung einzuführen, die bisher im Alltag kein bisschen Zeit gespart hat, weil die IT zwar schon jetzt Milliarden verschlungen hat, dafür aber veraltet und anfällig ist, wie zuletzt der Chaos Computer Club festgestellt hat, dann ist es eben auch mal Zeit zu sagen: es reicht.

Dr. med. Axel Bürger, Zang

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