Die ärztliche Versorgung in Königsbronn steht vor einer Bewährungsprobe: Im Juli geht die langjährige Königsbronner Hausärztin Stefanie Bergmann nach rund 30 Jahren in Rente – und nur die Praxis von Dr. Dietrich Kölsch bleibt dann noch übrig. In anderen Worten: Kölsch, seine Belegschaft und die seit Oktober 2023 bei ihm angestellte Fachärztin für Allgemeinmedizin, Dr. Miriam Deininger, haben Großes zu bewältigen.
Seit knapp 30 Jahren arbeitet Kölsch als Hausarzt und Psychiater mit eigener Praxis an der Aalener Straße 9/1, in Königsbronn. Die Praxis der scheidenden Hausärztin Bergmann, die sich im selben Haus befindet, hat der 60-Jährige mittlerweile übernommen und die Räumlichkeiten von der Gemeinde angemietet. Der Grund: „Frau Bergmann hat keinen Nachfolger gefunden“, sagt Kölsch. Gemeinsam mit Deininger betreibt der Mediziner nun eine auf zwei Etagen aufgeteilte Praxis. Doch trotz dieser Verstärkung bleibt die Lage angespannt.
Rückgang der Hausarztpraxen: Eine Entwicklung mit Folgen
Die Zahl der Ärzte in Königsbronn ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig gesunken: Von sechs Ärzten bis 1998, über fünf bis etwa 2010, vier bis 2018, drei bis 2021 – und ab Mitte 2025 sind es nur noch zwei. Genau genommen stellen Kölsch und Deininger zusammen 1,8 Vollzeitstellen für ganz Königsbronn. Beide sind sich einig: Das sind zu wenige Ärzte.
Königsbronn und die Region sind Mangelgebiet. Es gibt eine riesige ärztliche Versorgungslücke.
Dr. Miriam Deininger, Hausärztin in Königsbronn
„Drei bis vier Ärzte wären wünschenswert“, findet Kölsch. „Wir betreuen etwa 3000 Patienten pro Quartal. Das hätte ich alleine nicht bewältigt.“ Doch selbst mit der Unterstützung von Deininger: Mit dem bevorstehenden Ruhestand von Stefanie Bergmann – die aktuell noch einer 30-Prozent-Stelle nachgeht, ab 30. Juni aber ganz wegfällt – dürfte sich die Situation weiter verschärfen.
Deininger findet klare Worte, um die Lage zu beschreiben: „Königsbronn und die Region sind Mangelgebiet. Es gibt eine riesige ärztliche Versorgungslücke. Und ja: Den Ärztemangel spürt man stark.“ Zwischen 40 und 50 Patienten sehe sie pro Vormittag. „Und es werden noch mehr Patienten kommen“. Deininger bezeichnet diese Herausforderung zwar als spannende Aufgabe. Sie ist gerne Ärztin und hat ihren Start in der Praxis von Dr. Kölsch als gut empfunden. Trotzdem ist der Ärztemangel für sie kein unerklärliches Phänomen.
Bürokratie, Budgetierung, Belastung: Herausforderung im Praxisalltag
Unter anderem die Defizite in der Facharztversorgung sieht die Medizinerin als Problem: Fachärzte seien rar und ausgebucht, was sich im Umkehrschluss auf die Hausärzte auswirkt. Ein Beispiel: „Einer meiner Patienten braucht dringend einen Rheumatologen. Mangels Fachärzten bekommt er seinen Termin erst in einem Jahr.“ Das sei ein echtes Problem, denn: „Wenn wir als Hausärzte etwas herausfinden: was dann? Wer kümmert sich?“
Auch die zunehmende Ambulantisierung in Krankenhäusern sei problematisch: Patienten würden nach Operationen oft zu früh entlassen, sodass Hausärzte plötzlich Aufgaben übernehmen müssten, die eigentlich in den Zuständigkeitsbereich von Kliniken fielen. „Wir ziehen Drainagen, versorgen Wunden“, so Deininger. „Gut ist ja, dass ich auch Chirurgin bin, aber da kommen mitunter Befunde, vor denen man sich wirklich erschrickt. Dann frage ich mich: Warum ist der Kostendruck denn so hoch, dass dieser Mensch nicht noch zwei Tage länger im Krankenhaus bleiben kann?“. Situationen wie diese würden die Hausärzte zusätzlich belasten und dazu führen, dass der Druck auf die ohnehin knappen Kapazitäten weiter steige, erklärt Deininger.
Ich verstehe, warum viele aufgeben.
Dr. Miriam Deininger, Fachärztin für Chirurgie und Allgemeinmedizin
Ein weiteres Thema: die Bürokratie. „Wir verbringen einen erheblichen Teil unserer Arbeitszeit mit Verwaltungsaufgaben. Das System ist zu stark reglementiert und schreckt junge Ärzte ab“, so die Ärztin. Viele junge Mediziner wandern ins Ausland ab oder verlassen die Patientenversorgung gänzlich. „Ich verstehe, warum viele aufgeben.“
Auch strukturell sieht Deininger Schwachstellen im System. Die starre Budgetierung der kassenärztlichen Leistungen sorge dafür, dass niedergelassene Ärzte finanziell limitiert seien, während gleichzeitig der Arbeitsaufwand steige. „Hausärzte sind immer stärker belastet, verdienen aber im Vergleich zu Klinikärzten oft schlechter und müssen zudem ein eigenes wirtschaftliches Risiko tragen.“
Zukunft der medizinischen Versorgung in Königsbronn
Dr. Kölsch plant einen Umzug in größere Praxisräume bis Ende 2026. Zudem soll die Praxis rechtlich in ein sogenanntes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) umgewandelt werden. Doch die Personalfrage bleibt kritisch. „Ich würde gerne einen Assistenzarzt einstellen, aber einen zusätzlichen Facharzt können wir uns finanziell nicht leisten.“
Für die langfristige Lösung des Problems sieht Deininger auch die Politik in der Verantwortung. Die aktuelle Landarztquote – bei der sich Studierende verpflichten, nach dem Studium zehn Jahre als Hausarzt auf dem Land zu arbeiten – hält sie für wenig sinnvoll. „Ein junger Mensch weiß doch noch gar nicht, ob das wirklich zu ihm passt. Medizin ist ein breites Feld, und wer in ein System gepresst wird, ohne mit Leidenschaft dabei zu sein, wird kaum ein engagierter Arzt.“
Stattdessen plädiert sie für eine Reform der Studienzulassung: „Es braucht Eignungstests wie in den USA, die wirklich prüfen, ob jemand das Studium meistern kann. Und wir müssen die Begeisterung für den Beruf früh fördern“, findet die Medizinerin. Doch das werde schwierig, wenn Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit nur auf Bildschirme starrten und schon in der Schule nur in Schemata gepresst würden. Deininger: „Die brauchen Lob, ihre Kreativität muss angespornt werden und sie sollten echte Lebenserfahrungen sammeln.“
Vom OP-Saal in die Hausarztpraxis – ein unkonventioneller Weg
Seit Oktober 2023 verstärkt Dr. Miriam Deininger die Praxis von Dr. Dietrich Kölsch. Die 48-Jährige ist ursprünglich Fachärztin für Neurochirurgie, entschied sich aber nach der Geburt ihrer Tochter für die Weiterbildung zur Fachärztin für Allgemeinmedizin. „Als Frau in der Neurochirurgie war es schwierig, nach der Elternzeit wieder Fuß zu fassen“, sagt sie. Der Wechsel in die Hausarztmedizin ermöglicht ihr eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und gibt ihr die Chance, Patienten langfristig zu begleiten. Nach beruflichen Stationen in Stuttgart, Bayern und Osnabrück zog die Ärztin in Coronazeiten mit ihrer Familie zunächst nach Heidenheim, später nach Oberkochen.
Vor ihrem Wechsel nach Königsbronn sammelte Dr. Deininger an verschiedenen Stationen Erfahrungen - von Kliniken bis hin zu einer Praxis in Oberkochen. In ihrer jetzigen Tätigkeit als Hausärztin profitiert Deininger noch von ihrer neurochirurgischen Facharztausbildung. „Ich kann entsprechende MRT-Bilder auswerten und Patienten beraten, auch wenn ich das nicht abrechnen darf, weil ich offiziell als Hausärztin angestellt bin. Also mache ich es einfach so, weil es den Patienten hilft“, erzählt Deininger, die schon im Alter von drei Jahren wusste, dass sie einmal Ärztin werden will.
Trotz der angespannten Versorgungslage in Königsbronn sieht Dr. Deininger ihre Arbeit als spannende Aufgabe. Sie kritisiert den Facharztmangel, zunehmende Bürokratie und strukturelle Probleme im Gesundheitssystem. Dennoch ist sie entschlossen, zu helfen, solange es geht: „Die Patienten brauchen uns – und wir tun unser Bestes, um für sie da zu sein.“