Zur Kunst der politischen Debatte, eigentlich zu jeder Kommunikation, gehören Timing und das Gespür für rhetorische Überraschungen, die hängenbleiben. Bei den elften Königsbronner Gesprächen am Samstag in der Hammerschmiede gelang dies einer Frau aus dem Publikum besonders gut. In der Fragerunde nach der Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff erhob sich Hülya Süzen, stellte sich als Leutnant bei der Luftwaffe der Bundeswehr, Vorstandsmitglied im Deutschen Bundeswehrverband, Muslima mit türkisch-kurdisch-arabischen Wurzeln und Enkelin eines Gastarbeiters vor und fragte Wulff in die aufkommende Bewunderung hinein, was er denn von Bezahlkarten für Geflüchtete halte. Ihre Abneigung gegenüber diesem Instrument war jedenfalls klar spürbar.
Standing Ovations für Bundespräsident a.D. Christian Wulff
Wulff umschlich eine direkte Antwort. Man brauche die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, und wenn es in der Bevölkerung die Sorge gebe, Geflüchtete könnten nennenswerte Summen in die Herkunftsländer transferieren, lehne er Bezahlkarten nicht ab. Und sogleich die Wendung: die rund 5000 Bundeswehrsoldaten muslimischen Glaubens wertete Wulff als „die schönste Provokation für Demokratiefeinde“.
In Teilen als Provokation gewertet wurden auch die etwa zwei Dutzend Gegendemonstranten, die sich an der Brenzbrücke nahe der Hammerschmiede postiert hatten und sich auf Plakaten und Flugblättern für Frieden und Abrüstung aussprachen. Der Protest veranlasste den Landesbeauftragten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr. Stefan Hofmann, zur spitzen Frage, ob „der Protest da draußen“ womöglich „von der Angst getrieben ist, die eigene Bequemlichkeit aufgeben zu müssen“. Und weiter: „Auch wer nicht handelt, kann sich schuldig machen.“ Christian Wulff erinnerte in seiner Rede daran, dass die Gegendemonstranten „selbstverständlich“ das Recht auf ihre Meinung hätten, „weil andere Meinungen zur Demokratie gehören“.
Kleine Demonstration für Frieden
Während vor der Halle Flugblätter mit dem Titel „Alle Signale der 11. Königsbronner Gespräche stehen auf Aufrüstung!“ verteilt wurden, lagen im Innern Materialien der Bundeswehr aus, etwa der aktuelle „Hardthöhen-Kurier“ mit dem Titelthema „Die letzten 100 Meter gehören der Infanterie!“ Zum Mittagessen gab es Maultaschen mit Kartoffelsalat.
Die Rede des von 2010 bis 2012 amtierenden Bundespräsidenten nahm großen Bezug auf Gefahren, die der Demokratie im Innern als Reaktion auf äußeren Druck drohen. „Für viele Menschen ist es einfach zu viel“, sagte Wulf mit Blick auf die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, auf die drohende Eskalation im Nahen Osten und die mögliche Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident. Diese Überforderung, so Wulff, sei „ein Nährboden für Vereinfacher und Verschwörungen“. Staaten wie Russland unterstützten die in Teilen rechtsextreme Partei AfD, die im Inland die Furcht vor Geflüchteten schüre, und verursachten dabei selbst die Fluchtbewegungen. „Es erfordert gewissen Intellekt, das zu durchschauen“, so Wulff. Seine Schlussfolgerung; „Wir müssen alle für die Demokratie einstehen, Demokraten waren hier und da etwas schläfrig geworden.“ Nationalistische Strömungen im In- und Ausland bezeichnete Wulff als verhängnisvoll. Sie zeigten, „wie dusselig viele Menschen sind, weil sie nichts aus der Geschichte lernen“.
Kiesewetter: Kein Frieden um jeden Preis
Wulffs energische Rede fiel bei den gut 300 Besucherinnen und Besuchern in der Hammerschmiede augenscheinlich auf fruchtbaren Boden, langanhaltend wurde stehend applaudiert.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Aalen-Heidenheim und Schirmherr der Königsbronner Gespräche, Roderich Kiesewetter, betonte, die Lage sei vor allem in der Ukraine so ernst wie nie. Es gehe darum, den „Geist von Frieden und Freiheit“ weiterzuleben und zugleich wehrhaft zu sein. „Es geht nicht um Frieden um jeden Preis, sondern um Selbstbestimmtheit“, so Kiesewetter.
Es gibt doch mehr als 18 Panzerhaubitzen bei dieser runtergerockten Bundeswehr.
Dr. Toni Hofreiter, Bundestagsabgeordneter für die Grünen
Dr. Toni Hofreiter, Grünen-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, fand in einer der Gesprächsrunden klare Worte für den Umgang mit dem russischen Machthaber Putin: „Wir haben nur die Chance zur Diplomatie, wenn unsere militärische Stärke groß genug ist.“ Hofreiter kritisierte die geringen Lieferungen schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine: „Es gibt doch mehr als 18 Panzerhaubitzen bei dieser runtergerockten Bundeswehr.“
In einer weiteren Runde äußerte die CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere Europaabgeordnete Dr. Inge Gräßle Zweifel, ob die Länder der Europäischen Union wirklich ausreichend gewillt seien zu helfen. Vielmehr werde das „Versagen“ bei der EU abgeladen. Die Lage werde immer dramatischer, so Gräßle, daher müsse gehandelt werden, „sonst kommen wir in einem Jahr wieder zusammen, die Welt steht in Flammen und es hat sich nichts geändert“.