Was beim Zugunglück am Königsbronner Seegartenhof am 21. Oktober 2016 um 9.16 Uhr geschah
Sechs Jahre und elf Monate sind seit dem tödlichen Zugunglück am Bahnübergang Seegartenhof zwischen Königsbronn und Oberkochen mittlerweile vergangen. Vielen aber und gerade denjenigen, die selbst an diesem Tag vor Ort waren, dürften die Bilder der Zerstörung nach wie vor gut in Erinnerung sein: ein völlig zerstörter Lkw, dessen Führerhaus beim Aufprall des Regionalzugs abgerissen worden war und komplett ausgebrannt neben dem Gleis lag. Einige hundert Meter weiter der demolierte IRE 3225, eine Tür ausgerissen. Dazwischen Trümmerteile, Löschschaum. Auf und neben dem Gleis Rettungskräfte, Feuerwehr, Polizei. Grob war bald klar, was passiert war: Der Lkw stand auf dem Gleis, als sich die Bahnschranken schlossen. Der Zug aus Oberkochen konnte nicht mehr bremsen und prallte gegen den Lastwagen. Dabei wurde das Führerhaus vom Auflieger abgerissen und brannte aus. Der 55 Jahre alte Fahrer des Lkw hatte keine Chance und starb am Unfallort.
Beinahe sieben Jahre hat es nun gedauert, bis der endgültige Abschlussbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung fertiggestellt werden konnte. Auf 32 Seiten lassen sich nun detailliert die Minuten und Sekunden vor und nach dem Aufprall am 21. Oktober 2016 um 9.16 Uhr anhand technischer Untersuchungen und Zeugenaussagen rekonstruieren:
9.07 Uhr: Der IRE 3225 befindet sich planmäßig auf seiner Rückfahrt von Aalen in Richtung Ulm. Kurz vor Oberkochen wird der Zugführer per Funk vom Fahrdienstleiter in Heidenheim darüber informiert, dass die Zugkreuzung mit dem Regionalexpress von Ulm nach Crailsheim nicht wie geplant in Oberkochen, sondern wegen Verspätungen in Königsbronn stattfinden soll.
9.14 Uhr: Der Zug fährt in Oberkochen los. Um rechtzeitig zur Zugbegegnung in Königsbronn zu sein, beschleunigt der Zugführer den IRE nach und nach auf 122 km/h. Auf der Strecke erlaubt sind 130 km/h.
9.15 Uhr: Die Sicherungsanlage am halbseitig beschrankten Bahnübergang am Seegartenhof wird angestoßen, das rote Signal beginnt vier Sekunden später zu blinken. Laut Untersuchungsbericht muss der 55-jährige Lkw-Fahrer das eingeschaltete Lichtsignal übersehen haben. Er lenkt sein Fahrzeug auf der rechten Spur rückwärts auf die Gleise, um auf der anderen Seite Schotter an einer Baustelle zu entladen. Die Schranken senken sich ungehindert vor und neben dem Lkw. Insgesamt 27 Sekunden nach Anstoßen der Sicherungsanlage sind die Schranken vollständig geschlossen.
9.16 Uhr: Ein Aufprall, dann ein "Feuerball"
9.16 Uhr: Der Zugführer erkennt noch in der langgezogenen Kurve von Oberkochen her kommend Baufahrzeuge neben den Gleisen. Auch den Lkw sieht er, kann aber im ersten Moment nicht genau erkennen, wo dieser steht. Erst als der Zug in die Gerade einbiegt erkennt er, dass der Lastwagen mit dem Führerhaus auf den Gleisen steht. Ob die Schranken zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen waren, konnte der Zugführer später nicht mehr sagen: Er habe sich in diesem Moment auf den Lkw konzentriert. Um 9.16 Uhr und 32 Sekunden leitet der Zugführer eine Schnellbremsung ein. Wohlwissend, dass der Bremsweg dennoch zu lang sein wird, bringt er sich selbst im Fahrgastraum der ersten Klasse in Sicherheit und warnt die Fahrgäste vor dem Zusammenstoß. Fünf Sekunden später kommt es zum Aufprall: Der Zug hat zu diesem Zeitpunkt trotz Bremsung noch eine Geschwindigkeit von 106 km/h. Der Zugführer erkennt durch die Fenster eine Explosion. Auch der Zugbegleiter beschreibt später, wie sie durch eine Art „Feuerball“ gefahren seien.
Durch den Aufprall wird der Dieseltank des Lkw beschädigt. Der austretende Kraftstoff entzündet sich und führt zu einer Explosion. Beim Aufprall wird das Führerhaus vom Untergestell abgerissen, das vom Zug kurz mitgeschleift wird. Dabei prallt es gegen die Seite des IRE und reißt eine Tür heraus.
9.17 Uhr: Der Zug kommt etwa 280 Meter nach dem Bahnübergang zum Stehen.
9.19 Uhr: Der Zugführer informiert den Fahrdienstleiter in Heidenheim über den Aufprall und darüber, dass sich mehrere Verletzte im Zug befänden. Dieser hat bereits über eine Störungsmeldung erfahren, dass die Sicherungsanlage am Bahnübergang ausgefallen war – eine Folge des Aufpralls. Nach dem Telefonat begibt sich der Zugführer auf den hinteren Führerstand und sieht den brennenden Lkw auf den Gleisen. Auch darüber informiert er den Fahrdienstleiter. Die Rettungskräfte und die Feuerwehr sind informiert. Der Zugbegleiter geleitet derweil die Fahrgäste in den hinteren Zugteil.
In den Minuten danach treffen etliche Rettungskräfte an der Unfallstelle ein. Die Bergungs- und Aufräumarbeiten werden noch den ganzen Tag über andauern. Während der 55-jährige Lastwagenfahrer bei dem Unglück sein Leben verliert, werden im Zug sechs Fahrgäste und der Zugführer leicht verletzt.
Ursache: Fehlverhalten des Lkw-Fahrers
Der Untersuchungsbericht der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung kommt zum Ergebnis, dass das Unglück auf das Fehlverhalten des Lastwagenfahrers zurückzuführen ist, der den Lkw zum Abladen von Kies rückwärts auf den Bahnübergang gefahren hatte, obwohl möglicherweise bereits das Lichtsignal einen herannahenden Zug angekündigte. In jedem Fall aber blieben ihm vom vollständigen Schließen der Schranken bis zum Eintreffen des Zuges am Bahnübergang trotz sofort eingeleiteter Notfallbremsung nur 14 Sekunden. Offenbar nicht genug Zeit, um das Gleis zu verlassen. Über die von einem Energieversorger beauftragten Bauarbeiten vor Ort war die Deutsche Bahn zwar frühzeitig informiert worden, die eigentliche Baustelle befand sich aber nicht auf dem Bahngelände. Zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen waren auch vom Bauunternehmer nicht beantragt worden. Am Tag des Unglücks befand sich zudem auch noch abgelagertes Baumaterial im Räumbereich des Bahnübergangs.
Technisch gesehen hat laut Untersuchung an diesem Tag alles funktioniert: Die Sicherungsanlage am Bahnübergang, die Bremsen des Zuges. Auch hätten Zugführer und Fahrdienstleiter sowohl vor als auch nach dem Unfall vollkommen richtig gehandelt. Veränderungen am halbseitig beschrankten Bahnübergang am Seegartenhof wird es auch in absehbarer Zukunft nicht geben.
Das macht die Bundesstelle
Die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) klärt die Ursache von gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb auf. Am Ende der Untersuchung entscheidet sie, ob es Sicherheitsempfehlungen gibt, um künftige Unfälle oder Ähnliches zu vermeiden. Dabei sind die Untersuchungen der BEU strikt zu trennen von möglichen strafrechtlichen Ermittlungen.