Radioaktive Hinterlassenschaften

Atommüll: Endlagersuche verzögert sich um Jahrzehnte – was das für den Landkreis Heidenheim bedeutet

Der Landkreis Heidenheim könnte theoretisch Standort für ein Atommüll-Endlager werden. Bis zu einer Entscheidung wird es aber wohl Jahrzehnte länger dauern als bislang bekannt. Woran das liegt.

Seit annähernd vier Jahren ist bekannt, dass fast der ganze Landkreis Heidenheim als Standort für ein Atommüll-Endlager infrage kommt. Seit wenigen Tagen weiß man aber auch, dass die endgültige Entscheidung über einen Standort länger als geplant auf sich warten lassen wird. Viel länger.

Bis zum Jahr 2031 sollte darüber Gewissheit herrschen, wo der hoch radioaktive Müll aus dem Betrieb der deutschen Atomkraftwerke für viele Jahrtausende eingelagert werden soll. So sieht es das 2017 in Kraft getretene Standortauswahlgesetz vor. 2050 sollte demnach ein sicheres Endlager bereitstehen und den Müll aufnehmen, der aktuell in Hunderten sogenannter Castor-Behältern in Zwischenlagern wie auf dem Gelände des abgeschalteten Atomkraftwerks in Gundremmingen wartet.

Standortauswahl für ein Endlager dauert wohl Jahrzehnte länger

Wie der „Spiegel“ und andere Medien jüngst berichteten, ist der Zeitplan für die Endlagersuche nicht zu halten. Grundlage dieser Einschätzung ist der Bericht „Prozessanalyse des Standortauswahlverfahrens“ (PaSta) des Freiburger Öko-Instituts, das vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Endlagerung (BASE) beauftragt worden war, das Auswahlverfahren zu untersuchen. Demnach gestaltet sich die Endlagersuche weitaus komplexer und vor allem zeitaufwändiger als geplant. Demnach sei „unter idealen Bedingungen“ mit einer Entscheidung frühestens bis zum Jahr 2074 zu rechnen. Offenbar baut selbst das Bundesumweltministerium nicht mehr auf den ursprünglichen Zeitplan. Die dem Ministerium unterstellte Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) erwartet offenbar einen Verfahrensabschluss zwischen 2046 und 2068. Die aktuelle Betriebsgenehmigung des Zwischenlagers in Gundremmingen läuft freilich 2046 aus.

Was die Suche so komplex macht, ist unter anderem die Tatsache, dass rund 54 Prozent der Fläche Deutschlands als potenziell geeignete Gebiete gelten. Abgesehen vom Steinheimer Becken zählt der gesamte Landkreis Heidenheim zu den 90 Flächen, die derzeit voruntersucht werden. Bis 2027 sollen daraus nach Auskunft der BGE „wenige Standortregionen“ für eine Erkundung vorgeschlagen werden. Für diese Auswahl laufen aktuell noch „repräsentative vorläufige Sicherheitsuntersuchungen“ so die Pressestelle der BGE. Der PaSta-Bericht veranschlagt allein für diese Untersuchung 18,5 anstelle der geplanten sieben Jahre.

Kreis Heidenheim: Probebohrungen im Wasserschutzgebiet?

Sollte der Landkreis Heidenheim zu den Standortregionen gehören, würden sich in Phase 2 der Endlagersuche zunächst Untersuchungen über Tage anschließen. Dazu gehören laut dem BASE seismische Messungen, aber auch Erkundungsbohrungen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird man im Landkreis wohl sehr hellhörig werden, denn rund 90 Prozent der Kreisfläche liegen in Wasserschutzgebieten. An mehreren Orten im Kreis wird Trinkwasser gewonnen, nicht zuletzt die Wasserfassung der Landeswasserversorgung (LW) nahe Ballmertshofen trägt zur Frischwasserversorgung von mehreren Hunderttausend Menschen in Baden-Württemberg bei. Bohrungen, die im Landkreis fast zwangsläufig auch Grundwasserleiter berühren würden, erscheinen da als Risiko.

Ausgeschlossen sind sie indes nicht, wie eine Anfrage der HZ bei der BGE ergibt. Die Suche nach einem Standort für die Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle im geologischen Untergrund liege „im öffentlichen Interesse“. Und weiter: „Daher sind zu diesem Zwecke auch Erkundungsbohrungen in Wasserschutzgebieten denkbar.“ Sei ein gleichwertiger Erkenntnisgewinn auch durch eine Bohrung an anderer Stelle zu erwarten, werde diese aber bevorzugt.

Dennoch betrachtet man die Endlagersuche auch bei der LW wachsam. Bei Probebohrungen müssten durch technische Maßnahmen eine Gefährdung des Grundwassers ausgeschlossen werden, heißt es in Stuttgart. Und sollte in letzter Konsequenz der Landkreis Heidenheim als idealer Standort erscheinen, müssten technische Maßnahmen die Grundwasserverunreinigung ausschließen – mit entsprechend hohen Kosten.

Oberbürgermeister, Publizist und Physiker

Über die Entsorgung von Atommüll wurde in Heidenheim schon in den 1950er-Jahren nachgedacht. Damals verfasste der Physiker Prof. Dr. Werner Kliefoth (1901-1969) in Heidenheim seine 1956 veröffentlichte Broschüre „Sind wir bedroht?“, in der er festhielt, die sichere Entsorgung der strahlenden Abfälle sei entscheidend für die erfolgreiche Nutzung der Kernenergie. Die sichere Endlagerung sei „auch eine Angelegenheit der Kalkulation, da durch sie die Erzeugung von Atomenergie mit einem nicht übersehbaren Kostenfaktor belastet wird.“ Der politische Wille zur Atomkraft wischte solche hellsichtigen Gedanken beiseite, wie man heute weiß.

Kliefoth war während des Zweiten Weltkriegs Professor in Breslau, bevor es ihn nach Kriegsende gemeinsam mit zahlreichen anderen Wissenschaftlern nach Süddeutschland verschlug. Von 1946 bis 1948 war Kliefoth Oberbürgermeister von Heidenheim, im Anschluss baute er die „Heidenheimer Zeitung“ neu mit auf. Später widmete er sich vorrangig wieder der wissenschaftlichen Arbeit mit dem Schwerpunkt der Atomenergie. Er starb in Geesthacht in Schleswig-Holstein.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar