Alleingelassen und frustriert

Darum ging es beim Fachtag zum Chronischen Fatigue-Syndrom und Post-Covid in Aalen

Beim ersten Fachtag zum Chronischen Fatigue-Syndrom und Post-Covid der Selbsthilfe ME/CFS Ostwürttemberg wurden die Sorgen und Nöte von Betroffenen sehr deutlich.

Darum ging es beim Fachtag zum Chronischen Fatigue-Syndrom und Post-Covid in Aalen

Erschöpfung, Schmerzen, Kreislaufbeschwerden, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Wer am Chronischen Fatigue-Syndrom leidet, hat es eigentlich schon schwer genug. Hinzu kommt aber, dass die schwere chronische Krankheit noch wenig erforscht ist. Und das wiederum bedeutet, dass sich Erkrankte sehr schwer tun, einen versierten Arzt, eine Diagnose oder überhaupt einen Ansprechpartner zu bekommen, der ihre Symptome ernst nimmt. Das wurde insbesondere bei der Diskussionsrunde am Fachtag zum Chronischen Fatigue-Syndrom und Post-Covid der Selbsthilfe ME/CFS Ostwürttemberg in der Cafeteria des Aalener Berufsschulzentrums deutlich. Teil nahmen etwa 150 Männer und Frauen – auch aus dem Kreis Heidenheim.

Für eine Stunde war die Diskussionsrunde mit den eingeladenen Experten eigentlich angesetzt. Aber es meldeten sich so viele Betroffene oder Familienmitglieder von Betroffenen zu Wort, dass Moderator Constantin Blaß, der neue Chefredakteur der „Schwäbischen Post“, die Runde irgendwann beenden musste, um den Zeitrahmen nicht völlig zu sprengen. Emotional waren die Beiträge aus dem Saal. Die Verzweiflung und Frustration war fast zu greifen.

Eine regelrechte Arzt-Odyssee

„Ich habe eine Odyssee mit 25 Ärzten hinter mir“, schilderte eine Betroffene. „Alle haben nur mit den Schultern gezuckt. Einmal wurde mir ins Gesicht gesagt, ich solle einfach Psychopharmaka nehmen, dann würde es mir wieder gut gehen. Ich musste mir die Diagnose Post-Covid mit Fatigue praktisch selbst stellen." Ihr Eindruck: Viele Ärzte wollen sich nicht über die Krankheit informieren.

Die Schwierigkeit, überhaupt einen Hausarzt zu finden, schilderte eine weitere Betroffene: „20 Praxen habe ich bestimmt angerufen und keinen Termin bekommen. Und Psychologen bekommt man nicht mal ans Telefon. Das ist unsere Realität. Wir vegetieren dahin. Was sollen wir tun? Uns gleich erschießen?“

Im gesamten Kreis Heidenheim gebe es nur eine private Hausärztin, die die Diagnose ME/CFS stellen könne, bestätigte Wilfried Lang. Er ist selbst betroffen und hat vor drei Jahren die Selbsthilfegruppe ME/CFS Selbsthilfe Ostwürttemberg gegründet. Und auch im Ostalbkreis sehe es nicht wesentlich besser aus. Deshalb fuhr die Mutter einer Betroffenen mit ihr bis nach München, um Hilfe zu bekommen. „Andere Ärzte haben gesagt, sie sei zu faul für die Schule. Zweieinhalb Jahre haben wir rumgeeiert.“

Ohne Diagnose wird es schwierig

Und dabei, sei es immens wichtig, eine Diagnose zu bekommen. „Man braucht es für die Schule, den Arbeitgeber, um eventuell eine Pflegstufe beantragen zu können. Man braucht sie, um überhaupt Hilfe in den Versorgungsstrukturen zu bekommen“, sagte Dr. Stephanie Englbrecht. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Mutter eines an ME/CFS erkrankten Sohns hat die Elterninitiative ME/CFS-kranke Kinder und Jugendliche in München gegründet.

Ein weiteres Problem, das immer wieder thematisiert wurde, ist die Schwierigkeit, Unterstützung von einem Psychologen oder Psychotherapeuten zu bekommen. „Viele Patienten mit ME/CFS werden abgelehnt, weil sich die Kollegen mit dem Krankheitsbild nicht auskennen“, so Dr. Michael Stark, der seit mehr als 30 Jahren als Arzt, Forscher und Therapeut in der Versorgung von Patienten mit Erschöpfungserkrankungen arbeitet. Die Fortbildung müsse verstärkt werden. Aber es gebe noch ein weiteres Dilemma: „Die Psychotherapeuten sind so ausgelastet, dass man vor einem dreiviertel Jahr keinen Termin bekommt. Und warum sollen sich die Kollegen in ein neues Krankheitsbild einarbeiten, wenn sie schon genügend Patienten haben?“

Auch deshalb seien Selbsthilfegruppen so wichtig, meinte Stark. „Hier kriegt man die Info, welcher Arzt gut ist und wichtige Tipps.“ Da er seit langem die Patientengruppe betreut, kenne er deren Frustration. „Es ist eine Schande, dass sich in dieser Zeit nichts getan hat und ich schäme mich für Kollegen, die Patienten mit Arroganz abblitzen lassen.“

Bewusstsein in der Öffentlichkeit schaffen

„Die Idee des Fachtages war, ME/CFS und Post-Covid ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, um eine medizinische Versorgung der Patienten in Ostwürttemberg zu erreichen“, so das Resümee von Wilfried Lang. Er sei mit dem Verlauf des Tages ist zufrieden. „Die Vorträge waren sehr interessant und die Beteiligung lebendig und fruchtbar.“ Man bleibe mit allen Beteiligten in Kontakt. Insbesondere auch mit dem Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Ulm und den Krankenkassen AOK und SBK, um auch eine Versorgung für Erwachsene in Ostwürttemberg zu erreichen. „Das wird sicherlich ein Prozess sein und nicht von heute auf morgen gehen, aber wir bleiben dran.“ Vieles hänge an der Finanzierung. „Erst wenn der Bund, wie im Koalitionsvertrag versprochen, Gelder für den Aufbau von postviralen Ambulanzen freigibt, kann eine wirkliche Versorgung aufgebaut werden.“

Die unterschätzte Krankheit

Unter der Myalgischen Enzephalomyelitis beziehungsweise unter dem Chronischen Fatigue-Syndrom leiden in Deutschland rund 300.000 Menschen. Und seit Covid-19 kommen immer mehr hinzu. ME/CFS ist eine schwere chronische Krankheit, die meist durch eine Virusinfektion ausgelöst wird – etwa das Pfeiffersche Drüsenfieber oder Herpes. Und als Folge einer Corona-Infektion kann ME/CFS auch Teil von Long-Covid sein. Laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS kann ein Viertel aller Patienten das Haus nicht mehr verlassen, viele sind bettlägerig. Schätzungsweise 60 Prozent sind arbeitsunfähig. Typisch für ME/CFS ist eine Verstärkung aller Symptome nach körperlicher und geistiger Anstrengung.