Es war eine reine Bauchentscheidung. Geplant hatte Beatrice Lederer nicht, in das Familienunternehmen einzusteigen. Aber ihr Vater starb 2016, und sie wollte ihre Schwester unterstützen, die schon im Unternehmen tätig war. Ein Jahr lang übernahmen beide dann gemeinsam die Geschäftsleitung des Amstetter Garnherstellers. 2021 war das, also im zweiten Jahr der Corona-Pandemie.
„Der Anfang war schwer“, sagt Beatrice Lederer (35). Nicht nur wegen der Auswirkungen der Pandemie. Als Frau muss man sich in einem traditionell patriarchalisch strukturierten Textilbetrieb erst einmal eine gewisse Autorität verschaffen. Und als dritte Generation wollte man obendrein einiges anders machen, als die Belegschaft es gewohnt war. Produktionsprozesse wurden umgestellt, ein neuer Führungsstil ins Unternehmen gebracht. „Wir leben eine positive Fehlerkultur“, sagt Beatrice Lederer. Soll heißen: Die Geschäftsführung gibt die Richtung vor, lässt dann aber die Mitarbeiter machen – auch Fehler machen. Zu ihrem Führungsstil gehören offene Türen und: „Mit allen Mitarbeitern auf Augenhöhe sprechen.“
Bedeutender Arbeitgeber in Amstetten
Das von ihrem Großvater Jörg Lederer vor 75 Jahren gegründete Unternehmen ist inzwischen ein bedeutender Arbeitgeber im Ort: 130 Frauen und Männer arbeiten in dem Betrieb als Schlosser, Elektriker, Logistikmitarbeiter, Textilingenieure, Textillaboranten oder in kaufmännischen Berufen. Hinzu kommen in der Produktion viele angelernte Arbeitskräfte, viele mit rudimentären Deutschkenntnissen, sofern sie über die nötige Fingerfertigkeit verfügen. „Sie haben eine Chance bei uns“, sagt Bernd Grupp (42), der inzwischen das Unternehmen gemeinsam mit Beatrice Lederer führt. Ihre Schwester zog sich nach der Geburt eines Kindes aus der operativen Geschäftsführung zurück.
Die Firma stellt elastische Garne her und verkauft sie an Textilunternehmen in Deutschland und in europäischen Nachbarländern, also Hersteller, die sie weiterverarbeiten zu Strumpfhosen oder Unterwäsche, Kniebandagen, Thrombosestrümpfe, Smart Textiles und Antriebsriemen. Die Zeiten, als der Modebereich den allergrößten Teil des Umsatzes von Lederer ausmachte, sind vorbei; die Modeindustrie wanderte bekanntlich ab nach Fernost. Unterdessen wurde der Medizinbereich immer wichtiger, er ist heute der größte Umsatzbringer (70 Prozent). Dabei gilt es, hohen Anforderungen gerecht zu werden an Liefersicherheit und Qualität. Oft geht es um Neuentwicklungen.
50 Tonnen Garn im Monat
Die dünnsten Fäden, die in der Amstetter Produktion verarbeitet werden, sind feiner als ein menschliches Haar. Trotzdem ist der Output enorm: Er liegt nach Angaben der Geschäftsführung bei ungefähr 50 Tonnen Garn im Monat. Was das Unternehmen gegenüber Konkurrenten auf dem Markt auszeichne, seien die großen Kapazitäten. Lederer kann schnell und in großer Menge herstellen. Das Unternehmen verfügt über 250 Maschinen. Sie laufen 24 Stunden, sieben Tage die Woche.
Die Produktion ist stromintensiv. Im Jahr verbraucht der Betrieb sieben Millionen Kilowattstunden. „Stromkosten sind für uns ein existenzielles Thema“, sagt Beatrice Lederer vor dem Hintergrund des neuen Haushalts der Ampel-Regierung. Das Familienunternehmen wird von dessen Folgen aber nicht ganz so hart getroffen, denn es sorgte beizeiten vor. „Wir haben uns zu 60 Prozent schon eingedeckt“, sagt Beatrice Lederer, „2024 kaufen wir Strom also teilweise zum fixen Preis und können deshalb auch den Kunden eine gewisse Preissicherheit bieten.“
Potenzial für weiteres Wachstum
Vergangenes Jahr hat die Firma Jörg Lederer in Amstetten eigenen Angaben nach 15,8 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Für 2023 werden 16 bis 17 Millionen Euro erwartet. Vor einigen Jahren wurde im größeren Stil investiert: 2019 und 2020 kaufte das Familienunternehmen für eine Million Euro zehn neue Maschinen. Die Geschäftsführung setzt auf weiteres Wachstum. Sie sieht Potenzial bei den Medizin-Produkten und will auf diesem Feld weitere Kunden in Deutschland und Europa gewinnen. Hoffnungen liegen zudem auf neuen Produkten, namentlich im Bereich der Smart Textiles.