Waffenhandels-Prozess

Freispruch für Ehefrau, Haftstrafe für Ehemann: Landgericht Ellwangen stößt an die Grenzen der Rechtsprechung

Richter am Landgericht Ellwangen urteilen im Waffenhandelsfall: Freispruch für Ehefrau, Mann teils schuldig. Die Anklage, wonach verkaufte Waffenteile einfach scharfzumachen waren, überzeugte das Gericht nicht.

Üblicherweise nutzen Richterinnen und Richter die mündliche Begründung nach dem Urteilsspruch dazu, der verurteilten Person noch einmal ins Gewissen zu reden. Der Bestrafte soll die Strafe als Chance begreifen, während einer möglichen Haft die Grundsteine für ein gesetzestreues Leben legen.

Die Begründung des Vorsitzenden Richters Jochen Fleischer am Ende des Prozesses gegen ein des Waffenhandels beschuldigtes Ehepaar aus Neresheim kam dagegen eher einer Reflexion über die Rechtsprechung an sich gleich. Minuten zuvor hatte die Zweite Große Strafkammer am Ellwanger Landgericht die Frau in allen Anklagepunkten freigesprochen, ihr 48-jähriger Mann wurde in zwei von 114 Anklagepunkten schuldig gesprochen und wird zunächst in Haft bleiben. In den übrigen Punkten wurde auch er freigesprochen.

Strafkammer in Ellwangen beklagt fehlende Vergleichsurteile

„Wir sind uns im Klaren, dass da eine Unsicherheit bleibt“, sagte Fleischer. Man habe sich in diesem Fall aber auf ein „abseitiges Gebiet“ begeben, in dem die Berufsrichter der Kammer auch nach intensiver Suche keine vergleichbaren Urteile gefunden hätten. Daher urteilten sie nach den Buchstaben des Waffengesetzes und einer ergänzenden Verwaltungsvorschrift, und demnach konnte dem Ehepaar nicht angekreidet werden, mit wesentlichen Teilen von Schusswaffen gehandelt zu haben. „Das ist nicht der Weisheit letzter Schluss“, sagte der Richter.

Das ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Jochen Fleischer, Richter

In der überwiegenden Anzahl der Anklagepunkte hatte die Staatsanwaltschaft dem Paar vorgeworfen, dass die von ihnen in Auftrag gegebenen sogenannten Laufbündel für bestimmte Colts mit überschaubaren Heimwerkermitteln aus einer Schreckschusspistole eine scharfe Waffe werden lassen können. Die Laufbündel, die über einen Webshop und eine Ebay ähnelnde Waffen-Plattform im Internet verkauft wurden, bestanden aus aneinander geschweißten Rundprofilen, die an einer Seite angebohrt waren und mit den Colt-Griffstücken verschraubt werden konnten. Obwohl es einem Schusswaffenexperten des Landeskriminalamtes mittels Bohrmaschine gelungen war, einen schussfähigen Lauf herzustellen, war das Gericht nicht überzeugt, dass die Angeklagten deshalb des Waffenhandels schuldig waren.

Warum Rechtsextremisten Interesse an Waffenteilen haben

Man kann das Urteil auch als einen Sieg der simplen Einschätzung über die komplexe Herleitung lesen. Metallteile ohne durchgehende Öffnung könnten keine Waffenteile sein, hoben die beiden Verteidiger hervor, während die Anklagebehörde nahezulegen versucht hatte, dass das Aufbohren zumindest bei einem Teil der Kunden beabsichtigt war, um sich eine nicht registrierte Waffe zu besorgen. Der 48-Jährige hatte jedoch über drei Verhandlungstage hinweg betont, er habe lediglich originalgetreu aussehende Dekoläufe für Sammler verkauft.

Es geht um einen Lieblingssport unter Rechtsextremen, um ein Katz-und-Maus-Spiel beim Waffenbesitz.

Roman Géronne, Staatsanwalt

Ankläger Roman Géronne von der Staatsanwaltschaft Stuttgart gab in seinem Plädoyer Aufschluss darüber, wie er die Verkäufe wertete: „Es geht um einen Lieblingssport unter Rechtsextremen, um ein Katz-und-Maus-Spiel beim Waffenbesitz.“ Es werde versucht, sich „hart an der Grenze des Erlaubten mit einem gefährlichen Arsenal einzudecken“. Oft, so der Staatsanwalt, spiele eine allgemeine Faszination für Waffen eine Rolle, teils gehe es aber auch „um die Vorbereitung auf Tag X“. Mit der Lieferung der unfertigen Laufbündel sei den „Bastlern“ unter den Kunden genau jene Arbeit abgenommen worden, für die man besondere Werkzeuge brauche. Woher bei den beiden Anbietern die Einschätzung rührte, die Behörden hätten die Bauteile als unbedenklich eingestuft, ließ sich vor dem Landgericht nicht mehr klären.

Der Staatsanwalt nahm auch Bezug auf Äußerungen, die der Neresheimer 2019 in einem Chat im Messenger-Dienst „Telegram“ getätigt hatte. Darin beklagte er, dass bei einer Durchsuchung seiner Wohnungen Gewehre und erhebliche Mengen Munition beschlagnahmt worden waren. Waffen und Munition seien als „Rückgrat“ für einen Widerstand „nach dem Tag X“ gedacht gewesen. Auch darum, „Schäden am System zu verursachen“, ging es. Welchen Wandel „Tag X“ markieren soll, blieb unklar. Der Angeklagte habe einen Lkw panzern und zu einer mobilen Einsatzzentrale umbauen wollen.

48-Jähriger wird zu drei Jahren Haft verurteilt

Ob es den Lastwagen jemals gab, blieb aber offen, der 48-Jährige murmelte, das sei eher „fantasiert“ gewesen. Dennoch ging der Staatsanwalt davon aus, dass der gelernte Koch im Zusammenhang mit seiner rechtsextremen Gesinnung gehandelt habe. Eine solche Einstellung bestritt der Mann. Er sei Nationalsozialist, aber nicht fremdenfeindlich. Bei einer Durchsuchung war bei ihm laut der Begründung für ein Waffenbesitzverbot ein „Fantasieausweis der Deutschen Reichs“ gefunden worden, am Donnerstag beharrte er im Duktus der sogenannten „Reichsbürger“-Szene auch darauf, dass das Deutsche Reich noch immer Bestand habe. Neben den Einnahmen aus dem Online-Handel bestritt das Ehepaar seinen Lebensunterhalt durch den Bezug von staatlichen Sozialleistungen.

Verurteilt wurde der vielfach vorbestrafte Mann letztlich, weil er trotz Waffenbesitzverbots zahlreiche Waffen in seiner Wohnung, beziehungsweise in seinem Versteck gehabt hatte, wo er sich bis vor zwei Jahren vor einer Verhandlung am Ellwanger Amtsgericht verborgen hatte. Im März 2023 wurde er dort zu zwei Jahren Haft verurteilt, die nun verbüßt sind. Dennoch zog das Landgericht die damalige und die jetzt verhängte Strafe zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren zusammen, sprich: Ihm droht derzeit noch ein weiteres Jahr Gefängnis. Der Angeklagte nahm das Urteil sofort an, die Staatsanwaltschaft behielt sich zunächst Rechtsmittel vor.

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