Über 30 steinzeitliche Elfenbein-Figuren von Tieren wie Mammut, Wildpferd oder Höhlenlöwe sind in den Welterbe-Höhlen der Region bereits gefunden worden. Jetzt ist eine weitere hinzugekommen: Die fast sechs Zentimeter lange Figur eines Otters, die Menschen vor knapp 40.000 Jahren geschnitzt haben. Professor Nicholas Conard von der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen hat die Figur als „Fund des Jahres“ am Donnerstag im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die besten Belege für die Entstehung des modernen Menschen kommen aus unserer Region.
Professor Nicholas Conard
„Die Darstellung eines Otters gibt’s sonst nirgendwo“, zumindest nicht in der älteren steinzeitlichen Kunst, stellte Conard das Außergewöhnliche der Figur heraus. Ein dänischer Archäologe hatte sie bei den regelmäßigen Ausgrabungen im Hohlen Fels bei Schelklingen gefunden. Ziemlich genau vor einem Jahr, berichtete Conard: „Ihm war gleich klar, dass er da etwas ganz Besonderes vor sich hat.“ Dass es sich tatsächlich bei der Figur um einen Otter handelt, ist bisher allerdings noch nicht sicher bewiesen – vor allem, weil der Kopf fehlt. Die Zuordnung ist Conards These: Er verweist auf den „typisch dicken Schwanzansatz“ bei einem Otter und den langen geschwungenen Rücken. Andere könnten in der nur 1,5 Zentimeter hohen Figur mit schmalen, kurzen Beinen beispielsweise auch einen Marder sehen. Das werden die Wissenschaftler aber wohl erst sicher entscheiden, wenn der Kopf zur Figur noch gefunden wird. Der Tübinger Professor geht jedenfalls davon aus, dass die Menschen der Steinzeit von den Fähigkeiten so eines Otters fasziniert waren: „Mit Sicherheit haben sie beobachtet, wie schnell sich der Otter bewegt, wie lange er sich um seinen Nachwuchs kümmert und wie raffiniert er fischt.“ Gleichzeitig sei der Otter ein mystisches Tier, das ähnlich wie der ebenfalls im Hohlen Fels gefundene Wasservogel in zwei verschiedenen Welten lebt – über und unter Wasser.
Daher schlussfolgert Conard, dass die Figur religiöse und künstlerisch-symbolische Bedeutungen hatte. „Das neue Stück zeigt, dass sich die Menschen damals viel stärker mit Wassertieren auseinandergesetzt haben, als wir bislang dachten“, erläutert der Professor. „Schließlich erfordert das Schnitzen eines solchen Stückes aus Elfenbein viel Arbeit.“ Die Figur mache einmal mehr deutlich: „Die besten Belege für die Entstehung des modernen Menschen kommen aus unserer Region.“ Nirgendwo sonst könne man Kunst, Glaubenssysteme oder Musik beim modernen Menschen so früh nachweisen. Dazu passt, dass die Figur in den tieferen Schichten der altsteinzeitlichen Kulturstufe des sogenannten Aurignacien geborgen wurde. Sie stammt also aus dem gleichen Zeithorizont wie die berühmte Venus-Figur und die Flöte aus dem Hohle Fels und entstand damit in einer Zeit, als die ersten anatomisch modernen Menschen in Europa ankamen.
Vielschichtige Kunstwerke
Die Tübinger Doktorandin Ria Litzenberg freut sich darüber, dass die Steinzeit-Menschen der Alb offenbar auch kleinere Tiere wie den Otter künstlerisch gestaltet haben: „Der Steinzeit-Zoo von der Schwäbischen Alb wird immer vielfältiger.“ Die Mehrheit der bislang in den Höhlen der Region gefundenen Figuren stelle zwar imposante Tiere dar wie das Mammut oder den Höhlenlöwen, die für die eiszeitliche Steppenlandschaft typisch sind. Aber ältere wissenschaftliche Vorstellungen von Eiszeitjägern, die nur große oder gefährliche Tiere der künstlerischen Darstellung für würdig befanden, könne man jetzt als falsch bezeichnen, meint die Wissenschaftlerin. Ebenso wenig überzeuge die These, dass hauptsächlich Jagdbeute künstlerisch dargestellt wurde, um sich durch magische Rituale den Jagderfolg zu sichern, ergänzt Litzenberg. Die Hauptbeute der Eiszeitjäger, nämlich Rentiere und Wildpferde, werde nur ganz selten als Figur dargestellt. Die Figur des Otters verweise darauf, wie für die Menschen damals auch kleinere Tiere wegen ihrer Fähigkeiten interessant wurden. Durch ihren vielfältigen Bezug zur Natur werden die kleinen steinzeitlichen Kunstwerke sehr vielschichtig.
Fund des Jahres im Urmu Blaubeuren
Die Elfenbeinfigur eines Otters ist als „Fund des Jahres“ noch bis Weihnachten im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren zu sehen. Das Museum für altsteinzeitliche Kunst und Musik in Baden-Württemberg erklärt das eiszeitliche Leben der Jäger und Sammler am Rand der Schwäbischen Alb vor 40.000 Jahren. Prominentestes Exponat ist das Original der „Venus vom Hohle Fels“.
Die Öffnungszeiten des Museums in der Blaubeurer Altstadt sind von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr.