Der „Wolf vom Wolfertstal“ – der erste offiziell bestätigte Wolf im Ostalbkreis – hat Mitte Januar für Schlagzeilen gesorgt. Hält er sich noch hier in der Gegend auf oder ist er weitergewandert? Gibt es neue Hinweise? Diese und weitere Fragen beantwortet Micha Herdtfelder, Leiter des Arbeitsbereiches Luchs und Wolf, von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg.
Der Forschungsanstalt in Freiburg ist genau vor einer Woche ein totes und angefressenes Rotwildkalb in einem Gehege bei Stimpfach im Landkreis Schwäbisch Hall gemeldet worden. Könnte das ein weiterer Hinweis sein auf den „Wolf vom Wolfertstal“?
Micha Herdtfelder: Der Wildtierbeauftragte hat dort in Stimpfach Proben genommen, die derzeit im Labor untersucht werden. „Wenn ausreichend DNA in der Probe vorhanden ist, werden wir in etwa zwei Wochen wissen, ob der Wolf damit zu tun hat.“
Den „Wolf vom Wolfertstal“ wollen Augenzeugen am 16. und 17. Januar auch bei Tauchenweiler und bei Lauchheim-Hülen gesehen haben. Könnte es sich tatsächlich um das Tier gehandelt haben?
Micha Herdtfelder: Seit Mitte Januar haben uns aus der Region zahlreiche Meldungen mit Wolfsverdacht erreicht. Zweifelsfrei bestätigen konnten wir den Wolf bisher nur in der Videoaufnahme vom 16. Januar bei Oberkochen. Bei Sichtungen ohne guten Fotobeleg bleibt natürlich immer eine Restunsicherheit. Für uns zeichnet sich daher derzeit noch kein klares Bild ab, in welcher Richtung das Tier unterwegs ist.
Kann man davon ausgehen, dass der Wolf die Ostalb nur durchquert hat, oder ist es möglich, dass er hier sesshaft wird?
Beides ist möglich. Wir gehen in jedem Fall von einem jüngeren Wolf aus, der von seinem Herkunftsrudel ausgehend umherstreift und sich ein geeignetes Territorium sucht. Wann ein junger Wolf dann seine Wanderung beendet und tatsächlich sesshaft wird, ist nicht vorhersehbar. Falls der Wolf in der Region bleibt, wird es aber von nun an immer wieder Hinweise auf seine Anwesenheit geben. Selbst wenn er hier sesshaft würde, würden sich die Nachweise auf ein Gebiet von etwa 200 Quadratkilometer verteilen.
Wie lange liegt die letzte Wolfssichtung in der Region zurück?
Die uns vorliegende Meldung stammt vom 24. Januar aus Bartholomä. Das war allerdings eine Sichtung aus relativ großer Entfernung. Als sicherer Nachweis kann da nur ein Foto gelten. Wir können also nicht sagen, ob es sich bei dem Tier in Bartholomä um einen Wolf gehandelt hat.
Gibt es vom „Wolf im Wolfertstal“ auch verwertbare DNA-Spuren?
Dem Wildtierbeauftragten des Landkreises ist es am 17. Januar tatsächlich gelungen, im Nachgang zu einer möglichen Sichtung Urin sicherzustellen. Die Probe wird am Senckenberg-Zentrum für Wildtiergenetik untersucht. Die Qualität und Menge des Probenmaterials ist aber gering gewesen und es ist daher nicht sicher, ob es ein Ergebnis geben wird.
Augenzeugen haben bei ihren Beobachtungen aufgrund des Verhaltens des Tieres vermutet, dass es sich um einen Jungwolf handelt. Stimmt das?
Wir können das bestätigen. Wölfe kommen in der Regel im Mai zur Welt und verbleiben ein bis zwei Jahre beim elterlichen Rudel. Das verspielte, unbedarfte Verhalten des Welpen geht mit zunehmendem Alter in ein zurückhaltendes und sehr vorsichtiges Verhalten über. Dieser Wolf vom Wolfertstal hat vermutlich schon sehr früh seine Eltern verlassen und zeigt noch mehr von der Neugierde eines Welpen.
Wie beurteilen Sie das ungewöhnlich spielerische Verhalten des Wolfs vom Wolfertstal?
Was in dem Video nicht zu sehen ist: Es war ein Hund in der Nähe. Für Wölfe sind Hunde zunächst einmal Artgenossen. Und dieser junge Wolf hat ganz offenbar versucht, mit dem Hund in Kontakt zu treten. Es ist dabei nicht ungewöhnlich, dass Wölfe den Menschen nahezu ausblenden. Der Spaziergänger machte es aber gut: Er signalisierte dem Wolf ganz klar mit Rufen und Klatschen, dass er hier nicht erwünscht ist. Daraufhin zog sich der Wolf zurück. Grundsätzlich gilt: Wenn Wölfe in der Nähe sind, sollten Hunde an die Leine geholt und nah am Menschen geführt werden.
Woher könnte der Wolf auf die Ostalb gekommen sein?
Die Herkunft ist bislang unklar. Wenn die Qualität der genetischen Probe ausreicht, werden wir das noch herausfinden. Die Wölfe, die wir bisher in Baden-Württemberg nachgewiesen haben, stammen überwiegend aus der Population in Nord- und Ostdeutschland. Diese breitet sich zunehmend auch nach Südwesten aus. Aber wir haben auch regelmäßig Wölfe aus der Alpenpopulation bei uns. Ein Wolf war sogar aus der Balkan-Population durchgewandert.
Der „Wolf vom Wolfertstal“ ist der erste nachgewiesene Wolf im Ostalbkreis. Ist es auch der erste Wolf in der Gegend?
Im April 2019 gab es bereits drei sichere Wolfsnachweise zwischen Böhmenkirch und Bartholomä. Das Tier ist aber offenbar nicht geblieben. Einer der ersten Nachweise in Baden-Württemberg überhaupt war der im Herbst 2015 auf der A8 bei Merklingen überfahrene Wolf – er ist heute im Naturkundemuseum in Stuttgart zu sehen.
Müssen sich jetzt unsere Landwirte um ihre Tiere sorgen?
Ich würde empfehlen, die Tiere täglich zu kontrollieren und die Funktion von elektrifizierten Zäunen sicherzustellen. Falls ein Wolf sesshaft wird, so ist im Managementplan Wolf BW festgelegt, dass ein Fördergebiet Wolfsprävention ausgewiesen wird. Die Tierhalter können dann die Finanzierung verschiedener Herdenschutzmaßnahmen beantragen.
Warum sich nicht jeder Wolf über Nutztiere hermacht
Nach Angaben des Umweltministeriums sollen derzeit in Baden-Württemberg vier Wölfe sesshaft sein. Die Zahl der Wolfsrisse sei gestiegen, heißt es. Demnach wurden im vergangenen Jahr in 15 Fällen insgesamt 42 Tiere nachweislich von Wölfen gerissen. Im Jahr zuvor sollen es noch 29 in 19 registrierten Fällen gewesen sein. Laut Micha Herdtfelder, Leiter des Arbeitsbereiches Luchs und Wolf in der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg in Freiburg, stammen diese Zahlen aus dem landesweiten Monitoring, mit dem die FVA beauftragt ist. Herdtfelder sagt aber auch, dass sich diese Vorfälle nicht gleichmäßig über die Wölfe verteilten. „Es gibt Individuen, die regelmäßig an Nutztiere gehen, andere haben kein Interesse.“ Herdtfelder vermutet, dass diese „interessenlosen“ Wölfe möglicherweise recht früh schlechte Erfahrungen mit elektrifizierten Zäunen gemacht haben. Herdtfelder: „Natürlich muss es das Ziel sein, die Übergriffe möglichst gering zu halten. Ganz vermeiden lassen sie sich aber nicht.“