Ressource Trinkwasser

Warum geht der Egau bei Neresheim das Wasser aus?

Das Flüsschen Egau führt über immer längere Zeiten hinweg kein Wasser, Quelltopf und Flussbett liegen trocken. Die Ursachen sind unklar, eine HZ-Datenrecherche bringt aber zumindest Hinweise ans Licht.

Warum geht der Egau bei Neresheim das Wasser aus?

Ein Griff, und Wasser strömt aus dem Hahn, dem Duschkopf oder aus der Klospülung. Dass wir sauberes Trinkwasser in praktisch beliebiger Menge zur Verfügung haben, ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Durchschnittlich 128 Liter Wasser pro Tag verbraucht ein Mensch hierzulande, es gibt jedoch warnende Stimmen, dass der Verbrauch sinken müsse, weil auch eine scheinbar unerschöpfliche Ressource wie das Grundwasser Grenzen haben könnte.

Dazu trägt auch der Klimawandel bei: Hitzeperioden, wie wir sie in den vergangenen Sommern erlebt haben, trocknen den Boden stark aus. Das kann zum sogenannten „Blumentopf-Effekt“ führen: Fällt Niederschlag auf ausgetrocknete Erde, fließt sie oberflächlich ab, anstatt vom Boden aufgesogen zu werden. Das lässt sich in einem vernachlässigten Blumentopf gut beobachten. Regen, der nicht versickert, kann aber auch nicht ins Grundwasser gelangen, aus dem wir in Deutschland aber rund zwei Drittel unseres Trinkwassers gewinnen.

Ohne private Initiative gäbe es kaum Daten

Auch vor Ort zeigen sich Auswirkungen: Die Egauquelle am Neresheimer Stadtrand bleibt immer öfter trocken. Daher führt auch das Flussbett bis zum Dischinger Härtsfeldsee immer häufiger monatelang kein Wasser. Eine einfache Erklärung gibt es dafür nicht. Oder doch: Es ist schlicht zu wenig Wasser im Untergrund. Es dürfte aber mehrere Ursachen für diesen Mangel geben. Vorab: Belegbare Fakten gibt es nicht, aber etliche Indizien, welche die HZ in einer aufwändigen Recherche ausgewertet und zusammengeführt hat.

Die Egau ist für das Härtsfeld prägend. Es gibt das Egautal, bei Ballmertshofen das Egauwasserwerk, in Dischingen die Egauhalle – für den Ursprung des Flüsschens gibt es aber erstaunlich wenig Fakten. Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, die viele Quellen im Land überwacht, hat die Egauquelle nicht im Blick und verweist auf das Landratsamt im Ostalbkreis. Dort räumt man ein, dass man zur Schüttung des Egautopfs keine Zahlen habe.

Aber Walter Voitl hat sie. Der Neresheimer notiert seit Jahrzehnten akribisch auf Millimeterpapier, wann der Quelltopf schüttet und wann er trocken liegt. Aus diesen Notizen erstellt er fortlaufend eine Grafik. Für jeden Monat steht ein quadratmillimetergroßes Kästchen, ein schwarzer Strich bedeutet „Egau ist wasserführend“, ein roter besagt, dass die Egau vom Quelltopf bis zum Härtsfeldsee trocken ist. In den letzten Jahren dominieren die roten Phasen.

Das Bett der Egau entlang der Landesstraße 2033 ist vergrast - Wasser ist hier lange keines mehr geflossen. Markus Brandhuber

Zuletzt war die Egau von Mai 2022 bis zum 21. April 2023 trocken, eine der längsten Phasen bisher. Danach schüttete die Quelle zwar bis zum 5. Juni. Ab diesem Tag war der Wasserstand im Quelltopf so tief gesunken, dass kein Wasser mehr ins Flussbett der Egau lief.

Das hat Folgen. Der Verein für Fischerei und Gewässerschutz Dischingen zum Beispiel hat seit vielen Jahren die Egau ab Neresheim gepachtet. „Es gibt dort seit acht Jahren keinen Fisch mehr“, sagt der Vorsitzende Volker Faber. „Die Egau hatte schon immer wenig Wasser, wir mussten damit leben, dass sie trockenfällt“, sagt Faber. Früher sei diese Trockenheit aber in etwa zwischen Ende September bis Mitte Dezember eingetreten, heute führe die Egau in viel längeren Phasen kein Wasser. Ohne Wasser, das leuchtet ein, gibt es keinen Lebensraum für Fische.

Der Egautopf kann bis zu 600 Liter pro Sekunde schütten

Der Egautopf ist eine Karstquelle. Wikipedia erklärt, solche Quellen seien die Austrittsorte eines Karstgrundwasserleiters, der in der Regel aus einem weitem Umkreis gespeist werde. Die Egauquelle könne bis zu 600 Liter pro Sekunde schütten. Zum Vergleich: Der weit größere Brenztopf in Königsbronn schüttet im Schnitt gut 1200 Liter pro Sekunde, in Spitzenzeiten weitaus mehr.

Zwei Hauptgründe dürfte es für den Rückgang der Quellschüttung am Egautopf geben: Von oben kommt zu wenig Wasser nach, und unten, in der Grundwasserschicht, wird mehr Wasser entnommen.

Der Neresheimer Walter Voitl zeichnet den Wasserstand der Egau seit Jahrzehnten auf. Jens Eber

Die Niederschläge der vergangenen Jahrzehnte hat Guido Wekemann genau im Blick. Der Neresheimer betreibt die Wetterwarte Ostalb und hat Wetter und Klima seit 1995 lückenlos dokumentiert. Er sagt: „Es gab insgesamt weniger Regen in den letzten beiden Jahren, auch 2019 war es schon weniger als im Mittel.“ 2022 fielen an seiner auf 498 Meter über Meereshöhe liegenden Messstelle 657 Millimeter Niederschlag, 84 Prozent des langjährigen Mittels. 2021 waren es mit 766 Millimetern allerdings 98 Prozent des langjährigen Durchschnitts. 2020 lag der Gesamtniederschlag sogar leicht über dem Durchschnitt, auch 2019 wurde der Mittelwert nur leicht unterschritten. Ein extremes Jahr war dagegen 2003, als Wekemann in Neresheim lediglich 544 Millimeter Niederschlag maß, 75 Prozent des langjährigen Mittels.

Mangelnde Niederschläge allein sind wohl nicht schuld

Allerdings, betont der Wetterkundler, gelange der aufs Härtsfeld fallende Niederschlag nur zum Teil in jenes Grundwasser, das die Egau speise. Ein großer Teil fließe auch unterirdisch Richtung Kocher und Brenz ab. Vergleicht man Wekemanns Zahlen mit den Aufzeichnungen von Walter Voitl, deutet sich zwar an, dass Phasen mit weniger Niederschlag sich mit entsprechender Zeitverzögerung auch in der Schüttung der Egauquelle widerspiegeln. Eine vollständige Erklärung für die langen Trockenphasen seit Mitte 2019 liefern sie aber nicht. Das denkt auch Volker Faber: „Die Egauquelle hatte als Karstquelle schon immer mit niederschlagsbedingter Trockenheit zu kämpfen“, sagt er. Trotz einer „gewissen Konstanz bei den Niederschlägen“ würden die Phasen der Trockenheit jedoch immer länger.

Am Rand des Quelltopfs lässt sich erkennen, wie hoch das Wasser stehen könnte. Markus Brandhuber

Das von Neresheim kommende Wasser speist normalerweise auch den Härtsfeldsee, der 1972 als Hochwasserrückhaltebecken gebaut wurde. Der See, längst zum Naherholungsgebiet geworden, gehört gemeinsam mit mehreren Staudämmen zu jenen „Flusskorrekturen“ und baulichen Einrichtungen, die ab den 1950er-Jahren umgesetzt wurden, um nach Schneeschmelze oder Starkregen die Wassermassen zu puffern und Überflutungen im Raum Dischingen zu verhindern. Derzeit wird der See vor allem über den Katzenbach gespeist, der ab Eglingen Oberflächenwasser sammelt und über Katzenstein zum See befördert. Seit dem Bau eines Rückhaltebeckens bei Katzenstein sei aber auch dieser Zufluss zurückgegangen, sagen Beobachter.

Das Grundwasser unter Neresheim speist freilich nicht nur die Karstquellen, es wird auch als Brauchwasser gefördert. Zuständig dafür ist der Zweckverband Härtsfeld-Albuch-Wasserversorgung, der nahe Neresheim mehrere Brunnen betreibt. Die Fördermenge ist dort ab 2019 deutlich gestiegen. Lag die jährliche Fördermenge im Wasserwerk Neresheim zwischen 2000 und 2018 im Schnitt bei gut 607.000 Kubikmetern pro Jahr, betrug sie ab 2019 im Durchschnitt gut 808.000 Kubikmeter, mit einem Höchstwert von mehr als 840.000 Kubikmetern im Jahr 2020.

Seit mehreren Jahren wird in Neresheim mehr Wasser aus dem Grundwasser entnommen

Diese Steigerung dürfte sich zumindest zum Teil mit den wachsenden Gewerbegebieten vor den Toren Neresheims erklären lassen, wo sich auch Unternehmen mit großem Wasserbedarf angesiedelt haben. Auch die heißen Sommer der vergangenen Jahre dürften zum gestiegenen Wasserverbrauch beigetragen haben. Außerdem erklärte der Neresheimer Bürgermeister und Verbandsvorsitzende der Härtsfeld-Albuch-Wasserversorgung, Thomas Häfele, im vergangenen Jahr: „Seit der Pandemie ist festzustellen, dass mehr Wasser benötigt wird.“ Erhöhte Hygiene trage ebenso dazu bei wie die Tatsache, dass mehr Menschen im Homeoffice arbeiteten.

An der Grundwassermessstelle im Neresheimer Pfaffentäle, also im Bereich der Trinkwasserbrunnen, hat der Grundwasserstand seine historischen Tiefststände allesamt ab 2017 erreicht.

Auf dem Härtsfeld gibt es aber auch Stimmen, die sagen, dass auf dem Härtsfeld im Vergleich zu früheren Zeiten viel mehr Wasser gesammelt und abgeleitet wird. Ein Stichwort ist dabei der sogenannte „Härtsfeldsammler“. Dabei handelt es sich um ein System aus Abwasserleitungen, das ungereinigte Abwässer aus vielen Ortschaften in dicken Rohren bündelt und zur Sammelkläranlage in Dattenhausen leitet. Vor dem Bau des Härtsfeldsammlers hatte es vielerorts kleine Kläranlagen gegeben, die das Wasser gereinigt und dann in die Egau eingeleitet hatten. Darin versickerte ein Teil des Flusswassers und speiste so wieder das Grundwasser. Diese Zuführung entfalle seither.

Kann zu wenig Wasser versickern?

Allerdings ging der Härtsfeldsammler, dessen Einzugsgebiet 151 Quadratkilometer umfasst, bereits 1993 in Betrieb. Dass sich der Betrieb signifikant auf das Grundwasser ausgewirkt hat, lässt sich aus den Grundwasserdaten, die die Landesanstalt für Umwelt in einer Datenbank veröffentlicht, nicht herauslesen. Dies gilt allerdings nur für die im Boden vorhandene Grundwassermenge. Auf die Qualität der Ressource habe das Leitungsnetz sehr wohl Einfluss genommen, schreibt Prof. Frieder Haakh, Technischer Geschäftsführer des Zweckverbands Landeswasserversorgung (LW), in einer 2016 veröffentlichten Analyse. Der Härtsfeldsammler sei „eine der umfassendsten und mittlerweile wirkungsvollsten abwassertechnischen Maßnahmen“ im Einzugsgebiet der Buchbrunnenquelle bei Ballmertshofen gewesen. Dort hat die LW beispielsweise im Jahr 2021 14,6 Millionen Kubikmeter Trinkwasser gewonnen und vor allem in den Großraum Stuttgart gepumpt. Es ließen sich „deutlich positive Auswirkungen“ auf die Quellwasserqualität an der Buchbrunnenquelle messen, so Haakh.

Die LW hat zwar nicht direkt Einfluss auf die Egauquelle am Neresheimer Stadtrand, dennoch muss sich auch dieser Zweckverband aktuell mit dem Oberlauf der Egau befassen. Die LW strebt nämlich gerade eine neue wasserrechtliche Genehmigung für die Wasserentnahme in Ballmertshofen an. Die seit 1957 bestehende Genehmigung läuft Ende 2027 aus. Derzeit will die LW ihre Fördermenge zwar nicht erhöhen, auf die Entnahme in bisheriger Höhe sei man jedoch „zwingend angewiesen“, heißt es in einem 2022 veröffentlichten Papier. Aber selbst dieser Plan ist im laufenden Verfahren nicht unumstritten.

Wie wirkt sich die Wasserentnahme auf die Egau aus?

Bei einem sogenannten Scoping-Termin im vergangenen Jahr in Heidenheim gaben Verbände und Fachleute Anregungen, welche Fragen im Genehmigungsverfahren untersucht werden sollten. Nicht zuletzt bei den bayerischen Egau-Anliegern sorgt man sich um die Wasserqualität und die Fauna im Fluss. Umstritten war auch, ob es einen Zusammenhang zwischen den Grundwasservorkommen von Buchbrunnenquelle und Egauquelle gibt. In der öffentlichen Sitzung wurde dies zunächst verneint. Das Regierungspräsidium Stuttgart, federführend in diesem Verfahren, teilt auf Anfrage zwar mit, dass man im Verfahren einen „Schwerpunkt“ auf die „mögliche Beeinflussung der Egau durch die Wasserentnahme“ legen wird. Dabei bleibt jedoch offen, ob es auch um das Egau-Grundwasser gehen wird.

Für Volker Faber vom Dischinger Fischereiverein ist klar, dass der Egau vor allem eines helfen würde: „Wir müssen uns fragen, wie wir das Wasser möglichst lange vor Ort halten können, damit in Dürrezeiten das Grundwasser davon zehren kann.“ Es gebe bei Neresheim noch alte Mäander, die im Zuge der Begradigung stillgelegt wurden. Die könne man seiner Ansicht nach aber wiederherstellen. Für Faber ist die Egau derzeit ein „Hochwassergraben“. Das hält der Vereinsvorsitzende auch für historisch nachvollziehbar: „Wer damals das Hochwasser erlebt hat, will das Dorf beschützen.“ Dennoch plädiert Faber dafür, das Phänomen Egauschüttung genauer zu untersuchen. Sonst werde die „Schättere“ am Ende womöglich „an einer Lehmgrube“ enden, die früher mal ein See war.

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