Warum Manga-Fans aus der ganzen Welt nach Nördlingen pilgern
Hinter der Mauer lauert der Tod. Sadistisch grinsende Riesen beherrschen das Gebiet. Ihr scheinbar einziges Ziel auf dieser Welt: Menschen mit Haut und Haaren zu fressen. Die Welt der japanischen Manga-Serie „Attack on Titan“ ist eine grausame. Und eine, die sich scheinbar von einem Ort nur unweit vom Landkreis Heidenheim hat inspirieren lassen.
Die Geschichte spielt in der fiktiven Welt Paradis, in der die letzten Überlebenden der Menschheit hinter rund 50 Meter hohen Mauern vor sogenannten Titanen Zuflucht suchen – bis eines Tages ein Titan einen Teil der Mauer einreißt. Fans der Comicbuchreihe sind sich sicher: Als Vorlage für jene ummauerte Stadt dient Nördlingens Stadtbild. Und tatsächlich lassen sich Parallelen zwischen der Nördlinger Stadtmauer und der des Bezirks Shiganshina aus „Attack on Titan“ erkennen – auch wenn die Mauer im Ries natürlich deutlich kleiner ist.
Weit über 100 Millionen Mal hat sich die Manga-Reihe des japanischen Autors Hajime Isayama bis heute verkauft. Damit gilt sie als eine der erfolgreichsten der Welt. Zunächst ist „Attack on Titan“ als Manga, also als japanischer Comic, erschienen, durch die Adaption als Anime – also als japanische TV-Serie – erlangte die Geschichte noch größere Popularität.
Diese Popularität ist auch in Nördlingen selbst zu spüren. Regelmäßig pilgern Fans sogar von Übersee in die Stadt, um die scheinbare Kulisse der Serie zu besuchen, obwohl Hajime Isayama die Verbindung zwischen seinem Werk und der bayrisch-schwäbischen Kreisstadt bislang nie bestätigt hat.
Manga-Fans zeichnen "Attack on Titan"-Charaktere auf Nördlinger Stadtmauer
Ein Umstand, der auch der Stadtverwaltung bekannt ist: „Es kommen tatsächlich Gäste speziell aufgrund der Serie nach Nördlingen“, bestätigt Daniel Wizinger, Leiter des Fachbereichs Tourismus und Veranstaltungen. „Da es aber keinen offiziellen Beweis dafür gibt, dass Nördlingen Inspiration für die Serie war, bespielen wir das als Stadt nicht offensiv. Allerdings wehren wir uns auch nicht dagegen.“ Eine an „Attack on Titan“ angelehnte Stadtführung oder dergleichen biete die Stadt etwa nicht an.
Messen lasse sich die Zahl der Touristen, die einzig aufgrund der Serie Nördlingen besuchen, nicht. „Höchstens unserer Türmer kriegen das mit. Die haben ein eigenes Gästebuch ausliegen, in dem Manga-Fans oftmals kleine Zeichnungen von Charakteren der Serie hinterlassen“, berichtet Wizinger. Solche Zeichnungen finden sich auch an der Stadtmauer selbst – „was genau genommen Sachbeschädigung ist und was man eigentlich nicht machen sollte“, so der Tourismus-Leiter.
Einen ähnlich großen Fan-Andrang wie die Nördlinger Stadtmauer erlebt auch die in der Altstadt angesiedelte Buchhandlung Lehmann. Aus Japan, den USA und ganz Deutschland sowieso würden „Attack on Titan“-Fans kommen und gezielt die Buchhandlung aufsuchen, erzählt Inhaber Matthis Lehmann. „Der Autor der Reihe gibt praktisch nie Interviews und signiert auch nie seine Werke. Vielleicht gerade deshalb kommen viele Fans zu uns ins Geschäft und holen sich einen offiziellen Nördlingen-Stempel für ihre Comicbücher ab“, mutmaßt Lehmann.
Auch er weiß, dass der Bezug von Hajime Isayama zu Nördlingen nicht bestätigt ist. „Unter Fans ist jedoch zu 100 Prozent klar, dass die Stadt als Vorlage für ‚Attack on Titan‘ diente.“ Das mache sich auch an den Verkaufszahlen der Buchhandlung bemerkbar. Zwar wirbt der Laden ähnlich wie die Stadtverwaltung nicht explizit mit der Verbindung nach Japan, die Manga-Reihe verkaufe sich jedoch ausgesprochen gut. „Wobei Mangas sich allgemein gut verkaufen“, findet Matthis Lehmann. Dass die „Attack on Titan“-Bände in dem Laden nur auf Deutsch zu finden sind, scheine ausländische Fans nicht zu stören – viele würden sogar explizit nach deutschsprachigen Ausgaben suchen.
Weitere deutsche Einflüsse auf "Attack on Titan"
Der deutsche Einfluss auf „Attack on Titan“ beschränkt sich nicht nur auf den Bezirk Shiganshina. Generell scheint der Autor Hajime Isayama ein Faible für deutsche Kultur zu haben. Viele Charaktere der Serie tragen deutsche Namen – sie heißen unter anderem Reiner, Armin oder Berthold und tragen Nachnamen wie Braun, Jäger oder auch Ackermann.
Obgleich die Serie zu den erfolgreichsten Manga- und Anime-Serien weltweit gehört, ist sie nicht ganz unumstritten. Kritiker sehen in der Handlung die Verherrlichung des Militärs; außerdem werfen sie dem Autor faschistischen Subtext vor. Tatsächlich finden sich in der Handlung wiederholt Parallelen zum Nazi-Regime sowie zum japanischen Imperialismus. Ob „Attack on Titan“ seine faschistische und antisemitische Thematik nur glorifiziert oder vielmehr kritisch durchleuchtet, darüber streitet sich die Fangemeinde bis heute.