Franz Lehár, „Giuditta“: eine Operette eben. Und wer Operetten blöd findet, dem werden am Theater in Ulm, wo Lehars letzte Operette am Donnerstagabend Premiere hatte, jede Menge weitere Argumente für diese an sich falsche Einschätzung geliefert. Leider. Denn Operetten sind nicht blöd. Jedenfalls nicht alle. Es kommt halt darauf an, was man daraus macht.
Zuletzt war die Operette am Musiktheater sogar wieder schwer en vogue. Regisseure parodierten sie, desavouierten sie oder nahmen sie auch ernst, indem sie sie auf das abklopften, was sie auch heute noch interessant machen könnte. Und solange man Ergebnisse zutage fördert, über die man diskutieren kann, ist das doch schon mal eine ganze Menge.
Märchen und Wirklichkeit
Im Falle von „Giuditta“ weiß man eigentlich gar nicht, wo man anfangen soll. Sogar vom Ende her wäre das möglich. „Es war ein Märchen“, singt der an der Liebe und den Umständen zerbrochene Octavio. Dann fällt der Vorhang. Und tatsächlich dauerte es nur vier Jahre von der Uraufführung von „Giuditta“ 1934 an der Wiener Staatsoper, bis die Wirklichkeit richtig garstig wurde. Tenor-Superstar Richard Tauber, der erste Octavio, und die Sopranistin Jarmila Novotná, die erste Giuditta, flohen nach dem sogenannten Anschluss Österreichs ins Exil.
Ihnen nach tat es Paul Kepler, einer der beiden Librettisten. Fritz Löhner-Beda, der andere Textdichter, wurde 1942 nach einem Besuch von dabei die Arbeitsleistung des Juden kritisierende Direktoren der „IG Farben“ in dem von diesem deutschen Chemie-, Pharma- und nun auch Rüstungsgiganten finanzierten und mit Zwangsarbeitern betriebenen Konzentrationslager Auschwitz III totgeschlagen. Die Direktoren, die sich im Anschluss an die Nürnberger Prozesse noch wegen ganz anderer Dinge verantworten mussten, kamen mit kleinen oder etwas größeren Haftstrafen davon und später alle wieder in Aufsichtsräten oder Firmenleitungen unter.
Europa und Afrika
Gut, man muss nicht immer alles auf die Nazi-Karte setzen, das ist schon richtig. Und dafür, dass der mit einer Jüdin verheiratete Franz Lehár der Lieblingskomponist von Hitler noch vor Wagner war, dessen Musikdrama nicht zuletzt vor allem ideologisch verbrämt für politische Zwecke gefeiert wurde, kann man die Musik nicht verantwortlich machen. Auch nicht dafür übrigens, dass Lehár die „Giuditta“ Mussolini widmen wollte, was dieser erbost ablehnte, weil er Desertation, auch solche um der Liebe willen, nicht gutheißen mochte.
Wer sich entschließt, diese von Geschichte umstandene Operette nun nicht vom Ende her erzählen zu wollen und auch außer Acht lassen will, dass 1934, im Uraufführungsjahr, wie in der Rahmenhandlung dieses Werkes ja auch, tatsächlich italienische Soldaten nach Afrika, hier Libyen, übersetzten, um dort Krieg zu führen, der könnte das Ganze zum Beispiel auch auf den Kopf stellen. Denn in „Giuditta“ erleben wir in der Nebenhandlung ein armes italienisches Pärchen, das Europa den Rücken kehrt, weil es sich hier nichts mehr erhofft, und eine neue Freiheit in Nordafrika sucht. Heute, 90 Jahre später, passiert das Ganze genau anders herum.
Verknüpfung und Versuch
Es gäbe also einiges und noch mehr, was sich als Grund dafür erweisen und aufzeigen lassen könnte, warum man die selten aufgeführte „Giuditta“ heute aufführen sollte. Der Einwand, dass gerade bei Lehár eine Verknüpfung der Handlung mit Geschichte oder politischem Zeitgeist auf der Bühne oftmals nicht funktioniert hat, ist zwar berechtigt, was allerdings nicht heißen muss, dass man es als Regisseur erst gar nicht mehr versuchen sollte. So wie in Ulm Benjamin Künzel, bei dem „Giuditta“ nicht anders als hausbacken und im Geiste und in der Wirkung unangetastet daherkommt. So hat man Operette in Zeiten gemacht, als im Fernsehen noch der „Blaue Bock“ lief.
Da verlässt eine Frau ihren Mann und dann ihren Liebhaber, weil dem dann doch der Krieg zunächst wichtiger ist. Sie wird berühmt, er verliert den Boden unter den Füßen und kann, als sie sich wieder treffen, mit ihrer nie verloschenen Liebe nichts mehr anfangen. Beider Leben ist zerstört – und eine Operette endet plötzlich wenigstens in der Nähe der tragischen Oper. Damit müsste sich doch etwas anfangen lassen. Bei Benjamin Künzler jedoch bleibt’s bei unfreiwilliger Komik, ungelenker Frivolität und wird’s am Ende sogar ein bisschen langweilig. Das überrascht, wo es im Musiktheater unter dem neuen Intendanten Kay Metzger zuletzt immer steil nach oben gegangen war, in dieser Wucht dann doch.
Groß und gefährlich
Das Ulmer Orchester klingt unter dem mit gutem Zugriff sehr aufmerksam agierenden Panagiotis Papadopoulos zwischendurch enthusiastisch, meist wacker und hätte vielleicht die eine oder andere Stimme mehr gebrauchen können, um hörbar insgesamt tiefer in die doch zumeist lyrisch-dramatische Welt dieser weit über das bloße Abschnurrenlassen von Triolen oder Synkopen hinaus in Summe großartigen Partitur tauchen zu können.
Insbesondere von den Sängern der beiden Hauptpartien verlangt Franz Lehár immens viel. Markus Francke, Ulms Tenor für wirklich alle Fälle, hält sich aufrecht, auch wenn ihm bisweilen anzumerken ist, dass er bei höchst gefährlichen Ohrwürmern der Marke „Freunde, das Leben ist lebenswert“, die obendrein jeder kennt, bis an seine Grenzen gehen muss. Das gilt grundsätzlich auch für Maria Rosendorfskys Giuditta, die ihren zentralen Hit allerdings als Sahnehäubchen serviert: „Meine Lippen, die küssen so heiß.“ Nicht alles lau also an der Donau.
Weitere Vorstellungen bis in de März
Weitere Vorstellungen von "Giuditta" folgen am 17., 21. und 27. Dezember, am 5. und 31. Januar, am 3., 16., 18., 23. und 24. Februar sowie am 10. März. Kartentelefon: 0731.1614444. Weitere Details sind im Internet unter www.theater-ulm.de erhältlich.