Kraut ist Bürgerrecht. Kraut ist Grundnahrungsmittel, noch vor der Kartoffel. So war es in Nattheim einst tatsächlich der Fall. Jede Bürgerin und jeder Bürger hatte seinerzeit ein Anrecht auf ein Krautbeet. Ausgegraben hat dieses Wissen vor rund 14 Jahren Hans-Rainer Schmid, seines Zeichens mit Leib und Seele Nattheimer Heimatforscher. Dort, in Nattheim, blickt man dieser Tage ganz besonders intensiv auf jenen Forschungsbereich. Am 21. November wird in der Gemeindehalle der Landespreis für Heimatforschung verliehen (siehe Infotext).
Dabei möchte man sich fragen: Wie wird man eigentlich Heimatforscher? Wird man dazu erzogen? Gar gezwungen? Mitnichten. „Es wird einem in die Wiege gelegt“, erzählt Hans-Rainer Schmid. Sein Interesse an allem, was um ihn herum ist und war, sei schon immer dagewesen. Nachdem er die Nattheimer Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins übernommen hatte und später den Vorsitz des Museumsvereins Geschichtswerkstatt, habe er erst recht „Blut geleckt“. Das Durchforsten der Archive, „es hat geweckt, was schon da war.“
Akten über Akten im Fleinheimer OV-Gebäude
Ähnlich erging es auch Brigitte Bayer. Ein persönliches Interesse an Geschichte habe sie ebenfalls schon immer begleitet, so richtig in die Heimatforschung eingestiegen ist sie jedoch erst, als in Fleinheim eine Festschrift anlässlich des 725-jährigen Bestehens des Teilorts entstehen sollte und infolgedessen sich die Chronikgruppe Fleinheim gründete. „In den Archiven des Ortschaftsverwaltungsgebäudes gab es Akten über Akten. Ich wollte die lesen, konnte die Schrift aber nicht entziffern“, erzählt Bayer. Heute kann sie es, nachdem sich die Fleinheimerin dieses Wissen extra in Kursen angeeignet hat. Auch Hans-Rainer Schmid attestiert ihr Hartnäckigkeit: „Was Brigitte Bayer in die Hand nimmt, das wird was.“
Wie geht man bei der Recherche vor? Wer Glück hat, findet ein recht intaktes, bestenfalls sogar gut sortiertes Archiv in seinem Heimatdorf vor. Gemeinde- und Kirchenarchiv, Grundstückskataster, heute natürlich das Internet, aber hin und wieder auch Zeitzeugen helfen dabei, das anfangs unscharfe Bild eines bestimmten Themas oder einer bestimmten Zeit nach und nach zu fokussieren. Was jedoch nicht bedeutet, dass man dabei nicht hin und wieder vom Weg abkommt.
Etwa, wenn man über Zigarren recherchiert und sich währenddessen in der Handlung der Oper „Carmen“ verliert. So ist es Annemarie Paetzold, der Museumsbeauftragten der Gemeinde Nattheim, ergangen. „Ohne dass man es will, breitet man sich manchmal einfach thematisch aus. Aber gerade dieser Beifang ist oft sehr interessant und bereichernd“, erzählt Paetzold.
Was Heimatforscher selber als interessant erachten, muss – um es auch den Bürgern schmackhaft zu machen – gelegentlich in anderer Form aufbereitet werden. Historische Gemarkungswanderungen, Vorträge oder, wie erst kürzlich, ein Dokumentarfilm über die Nattheimer Korallen – einer, der kaum etwas unversucht lässt, Historisches zu vermitteln, ist Günther Paschaweh. Seit 2013 bekleidet er den Vorsitz des Museumsvereins. „Heimatforschung habe ich davor schon etwas betrieben. So richtig intensiv in den Archiven recherchiert habe ich, als es darum ging, das Jubiläum der Eingemeindung der Nattheimer Teilorte zu beleuchten.“
50 Bände „Was isch’n früer gwea?“ von Hans-Rainer Schmid
Das Klischee vom eigenbrötlerischen Heimatforscher, der einsam und allein in stickigen Archiven über staubigen Dokumenten brütet, weisen Hans-Rainer Schmid, Brigitte Bayer, Annemarie Paetzold und Günther Paschaweh übrigens entschieden zurück. „Das ist keine einsame Arbeit“, findet Paschaweh. Stattdessen ergebe sich dabei stets ein reger Austausch mit vielen anderen Menschen. Außerdem: „Einer allein könnte das gar nicht machen.“
Auch wenn Nattheim mit seinem eigenen Heimatmuseum durchaus eine gewisse Hausnummer in Sachen Heimatforschung ist, sind sich die Vier einig, dass in anderen Gemeinden wohl ebenso viel geforscht wird wie in der Härtsfeldkommune. Mit vielleicht einem Unterschied: „Viele forschen, aber schreiben nichts davon auf“, so Hans-Rainer Schmid. Er selbst hat allein für seine Buchreihe „Was isch’n früer gwea?“ 50 Bände verfasst. „Diese sind ein einzigartiger Schatz“, lobt Brigitte Bayer, nicht zuletzt als Anlaufstelle für eigene Recherchen.
Nachwuchsmangel beim Nattheimer Heimatforschern
Eine nicht ganz überraschende Problematik stellt der Nachwuchsmangel dar. Jüngere Altersgruppen für ihre Arbeit zu begeistern, sei schwierig. Pessimistisch stimmt das die vier Nattheimer nicht. „Es wird immer Leute geben, die sich für Heimatgeschichte interessieren“, ist sich Bayer sicher. Man lerne dabei nicht nur etwas über seine Heimat, sondern stets auch etwas über sich selbst – manchmal über die eigene Familiengeschichte, manchmal sogar über die eigene Vergänglichkeit.
Landespreis für Heimatforschung wird am 21. November in Nattheim verliehen
Seit 1981 würdigt der Landespreis für Heimatforschung Baden-Württemberg beispielhafte wissenschaftliche Leistungen von Menschen, die sich ehrenamtlich mit einem Gebiet der Heimatforschung befassen. Im Rahmen der Heimattage auf dem Härtsfeld findet die Preisverleihung dieses Jahr am Donnerstag, 21. November, in der Gemeindehalle in Nattheim statt.
Dieses Jahr stammt keine und keiner der Preisträgerinnen und Preisträger aus dem Landkreis Heidenheim. Nach Nattheim ging der Preis 1999 schon einmal: Für sein Werk „Natur um Nattheim“ wurde Hans-Rainer Schmid seinerzeit gewürdigt.