Alltagsengel

Gnadenhof auf dem Härtsfeld: Andrea Weichsel ist die Pferdeflüsterin

Pferde sind ihre große Leidenschaft: Andrea Weichsel aus Nattheim betreibt seit Jahren einen Gnadenhof für ausgediente Pferde. Was treibt die 64-Jährige an?

Gnadenhof auf dem Härtsfeld: Andrea Weichsel ist die Pferdeflüsterin

Balu und Benny wiehern lautstark und freudig, die Ponys Leo und Bonnie recken neugierig die Hälse, wenn Andrea Weichsel wie jeden Morgen um 8.30 Uhr das Grundstück betritt und sie begrüßt. Die vier Pferde wissen genau, dass die 64-Jährige gleich ihre Boxen öffnet und ihnen was zu fressen gibt. Pferde haben Weichsel, seit kurzem Arzthelferin in Rente, seit ihrer Kindheit fasziniert. „Ich bin quasi neben einer Brauerei aufgewachsen und habe mich stundenlang auf den angrenzenden Pferdekoppeln aufgehalten.“

Als ihr dann im Alter von 24 Jahren die Stute Halima angeboten wurde, zögerte Weichsel nicht lange und ein Herzenswunsch ging in Erfüllung. Das erste eigene Pferd zog also ein - seither war die Nattheimerin nicht mehr ohne die anmutigen und intelligenten Tiere. Im Lauf der Jahre wurden es sogar mehr: Weichsels Berufung ist die Aufnahme von Tieren, die ausgedient haben, alt und gebrechlich sind, oder die ihre Besitzer aus welchen Gründen auch immer nicht mehr haben möchten. Der Weg zum Schlachthof ist bei diesen Tieren nicht mehr weit. Durch eine Bekannte bekommt die 64-Jährige die Pferde vermittelt, teilweise auch übers Veterinäramt, die Tiere aus Ställen holen, wo sie nicht artgerecht gehalten werden.

Für die Tiere, die Andrea Weichsel bei sich aufnimmt, ist es oft die letzte Chance, dem Schlachter zu entgehen. Rudi Penk

Und wenn eines von Andrea Weichsels Pferden stirbt?

Auf Weichsels gepachtetem Grundstück in Nattheim steht ein kleiner Offenstall, der Platz für vier Pferde bietet. Die Boxen sind seit Jahren mit kurzen Unterbrechungen dauerhaft belegt. Dort dürfen die Pferde ihren Lebensabend verbringen. Viele der Tiere werden weit mehr als 30 Jahre alt, aber das Ableben ist trotzdem irgendwann unausweichlich. „Jeder Tod eines meiner geliebten Pferde zerreißt mir nach wie vor das Herz. Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen, auch wenn ich weiß, dass die Vierbeiner bei mir noch einige schöne Jahre erleben durften“, sagt Weichsel. „Ich mache mir da dann noch tagelang Gedanken darüber, ob ich auch alles mir mögliche gemacht habe, um das Tier doch noch zu retten.“

Wie auch im Fall ihres Herzenspferds Roxy, das im April diesen Jahres gestorben ist. Roxy war zehn lange Jahre bei Weichsel, nachdem sich ihre Besitzerin krankheitsbedingt nicht mehr um das damals 21 Jahre alte Tier gekümmert hat. „Sie war jahrelang die Chefin hier", erzählt Weichsel schmunzelnd. Was das bedeutet? Die Stute habe nach allem geschaut, sei aufmerksam gewesen und habe die Ponys zurechtgewiesen, wenn es untereinander mal zu Machtgerangel kam. Mit ihrer ruhigen Art, sagt Weichsel, sei sie der Fels in der Brandung gewesen und ein absolutes Verlasspferd.

Anfang April war aber auch Roxys Zeit für immer vorbei: „Eines Tages ist sie morgens, als ich kam, tot in ihrer Box gelegen. Sie hat ausgesehen, als wäre sie einfach nur eingeschlafen.“  Kurios sei nur, dass sie sechs Wochen davor dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen ist. Da sei es ihr von einem auf den anderen Tag nicht mehr gutgegangen. So konnte sich das Pferd plötzlich kaum mehr auf den Beinen halten. Weichsel blieb damals sogar über Nacht bei ihr und ahnte Schlimmes. Immer wieder wollte die Stute auf die Beine kommen, hatte aber keine Kraft dazu.

Unterstützung bekommt Weichsel von ihrer Familie und von einigen Mädchen aus dem Ort. Rudi Penk

Aus dem Plan, kein neues Pferd aufzunehmen, wurde nichts

Als der Tierarzt eigentlich schon gerufen wurde, um dem Leiden ein Ende zu setzen, zeigte das Tier aber nochmal Lebensmut und sprang auf die Beine. Danach durfte Roxy noch ein paar schöne Wochen bei Andrea Weichsel erleben, bekam Aufbaupräparate und wurde wieder aufgepäppelt, aber der Tag X kam trotzdem. In solchen Momenten ist Weichsel sehr froh, dass ihr Lebensgefährte Pedro für sie da ist und sie seelisch und moralisch auffängt, um das Erlebte zu verarbeiten.

Nach diesem schmerzhaften Erlebnis wollte die Pferdenärrin eigentlich kein weiteres Pferd mehr aufnehmen, aber seit Mitte September ist Benny nun das neue Pferd im Stall. Wieder mal konnte die 64-Jährige nicht nein sagen, als ihre Bekannte ihr das Pferd angeboten hat, weil es sonst beim Schlachter gelandet wäre. „Das Pferd ist ein Traum. Er lässt sich sogar im Gelände brav reiten, obwohl mir das nicht wichtig ist. Ihm soll es wie meinen anderen Pferden auch einfach nur gut gehen.“ Weichsel ist es wichtig, dass die Pferde geachtet werden und zu nichts gezwungen werden, was sie nicht wollen. „Tiere spüren Schmerzen genauso wie Menschen, das sollten alle mal begreifen.“

Auch für den Turniersport wünscht sich Weichsel, dass von den Tieren nichts verlangt wird, was sie selbst nicht wollen. „Oft werden Pferde mit schmerzhaften Methoden über Hindernisse gezwungen, sowas gehört verboten,“ sagt Weichsel mit Nachdruck in der Stimme.  Schon in der Kindheit musste sie mit ansehen ,wie nach Pferden geschlagen wurde, weil sie etwa beim Hufschmied nicht ordentlich hingestanden sind.

So nutzt Andrea Weichsels Ausbildung zur Tierheilpraktikerin

Wer Andrea Weichsel kennt weiß, dass sie eine Frau der leisen Worte ist, die sich nie in den Vordergrund drängt. Sie ist fürsorglich und hilfsbereit und hat für alle ein offenes Ohr, wenn es um das Tierwohl geht. Ihre zusätzliche Ausbildung als Tierheilpraktikerin kommt ihr da oft zugute. So kann sie ihre Pferde oft homöopathisch selbst behandeln. „Ältere Pferde leiden häufig an Krankheiten wie Hufrehe und Arthrose und zum Beispiel durch eine Therapie mit Blutegeln lassen sich die Schmerzen dann oft lindern.“ Aber nicht immer schlagen Weichsels alternative Heilmethoden an, deshalb kommt auch bei ihr regelmäßig ein Tierarzt, um nach den Pferden zu schauen.

Für ihre Tiere nimmt Weichsel viel Arbeit und auch viele Kosten auf sich. Ob ihr das etwas ausmacht? „Ich gehe jeden Tag gerne morgens und auch abends zu meinen Pferden und das an fast 365 Tagen im Jahr.“ Ein Mal im Jahr gönnt sie sich eine Woche Urlaub mit ihrem Lebensgefährten und an ein paar Wochenenden im Jahr nimmt sie sich auch eine Auszeit. Möglich ist das nur, weil ihr drei Mädchen aus dem Dorf regelmäßig helfen, worüber sie sehr dankbar ist. Sie helfen ihr beim Putzen der Pferde und beim täglichen Misten. Außer den vier Pferden wohnen auch noch zwei Katzen, die Andrea beide vom Tierheim geholt hat, mit auf dem Hof.

Auch Zuhause sind 4 Katzen ihre Mitbewohner. „Die sind mir alle zuglaufen und irgendwann dann auch geblieben“, sagt Weichsel. Tierliebe wird in der Familie allgemein großgeschrieben. Ihre beiden Söhne besitzen Hunde und ihre Schwiegertochter und beide Enkelinnen sind genauso große Pferdefans wie Weichsel selbst. „Ich bereue nichts und würde alles genauso wieder machen, wie die letzten 40 Jahre. Mich haben meine Tiere immer geerdet und mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin.“

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