Analoge Musik

Der DJ ohne Strom: Rudi Clausnitzer aus Nattheim sammelt Drehorgeln und Schallplatten

Rudi Clausnitzer aus Nattheim verfügt über die wohl größte Sammlung alter Schallplatten, Grammophone und Drehorgeln in der Region. Als musikalisch bezeichnet er sich selbst nicht – für seine Drehorgel-Auftritte braucht man vor allem Muskelschmalz.

Die vergangenen paar Jahre könnte man getrost Lazarus-Jahre taufen. Tote und Totgeglaubte sind wiederauferstanden. Ein Beispiel gefällig? Die Kassette, die in den 60er-Jahren die Musikszene revolutionierte, und anschließend lange Zeit in den Regalen verstaubte, ist auf einmal zurück. Selbiges gilt für Vinyl-Platten.

Einst als Relikt abgetan, gehört es unter Musikliebhabern heute zum guten Ton, einen Plattenspieler zu besitzen und diesen regelmäßig mit Vinyl-LPs zu füttern. Unter diesem Gesichtspunkt könnte man Rudi Clausnitzer vermutlich ein gehöriges Maß an Weitsicht zuschreiben. Denn der Nattheimer besitzt eine der wohl größten Sammlungen an Platten, Grammophonen und Drehorgeln in der Region.

Eine 100 Jahre alte Jukebox: der Musikautomat der Marke Polyphon. Foto: Rudi Penk

Etwa 7000 Schellack-Platten, zwischen 8000 und 9000 Singles und einige hundert LPs beherbergt Clausnitzer bei sich zu Hause. Dass diese nicht nur im Dachgeschoss untergebracht sind, hat vor allem statische Gründe. Die viele Zentner schwere Sammlung muss im Haus verteilt sein, um dieses nicht in eine ungewollte Schräglage zu bringen.

Die größten Schmuckstücke in Rudi Clausnitzers Sammlung sind allerdings jene Geräte, mit denen sich die Platten abspielen lassen. Dazu gehört etwa ein Musikautomat der Marke Polyphon. Durch den Einwurf eines kleinen Pfennigstücks bringt man das Instrument zum Laufen – eine mehr als einhundert Jahre alte Jukebox. Die Platten tragen Titel wie „Tanzt du auch so gern wie ich?“ oder „An der schönen blauen Donau“.

Erstes Koffergrammophon in Mergelstetten gefunden

Insbesondere auf Schellack gepresste Aufnahmen haben es dem 71-Jährigen angetan. „Das ist alles so simpel und primitiv“, erzählt Clausnitzer, doch genau dieses Schlichte fasziniere ihn. „Das ist das, was mich an dem Glomb so interessiert“, sagt der Nattheimer und lacht.

Nur rund ein Dutzend Umdrehungen der Kurbel eines Grammophons braucht es, damit eine Aufnahme komplett durchlaufen kann. Kurbeln – das ist ein Handgriff, mit dem Clausnitzer bestens vertraut ist. Im Alter von 18 Jahren entdeckt er auf dem heimischen Dachboden ein Koffergrammophon, damals lebt er noch in Mergelstetten. Auf Flohmärkten sucht Clausnitzer nach passenden Platten. „Ich bin zwar nicht musikalisch“, sagt er über sich selbst, aber diese Möglichkeit, Musik zu erzeugen, habe ihn von Anfang an gepackt.

Das ist das, was mich an dem Glomb so interessiert.

Rudi Clausnitzer, Drehorgen-Spieler aus Nattheim

Über viele Jahrzehnte hinweg wächst die Sammlung des Nattheimers weiter. Es kommen immer mehr Platten und Abspielgeräte hinzu. „Mein Schwiegervater meinte damals zu mir, dass das alles totes Kapital sei. Er hatte ja recht. Man gibt viel mehr aus als man jemals wieder dafür bekommen könnte.“ Heute hat Rudi Clausnitzers Sammlung ihren Höhepunkt erreicht, er habe einfach weiteren keinen Platz mehr.

Bis in den Keller beziehungsweise Hobbyraum erstreckt sich Clausnitzers musikalische Welt. Dort unten stehen Instrumente, die ihm die Spitznamen „Schwarz-Weiß-Musiker“ und „DJ ohne Strom“ eingebracht haben. Es ist die Drehorgel, für die der 71-Jährige besonders bekannt ist, nicht zuletzt, weil er damit regelmäßig öffentlich auftritt.

Mithilfe der Stiftwalze wird in der Drehorgel Musik erzeugt. Foto: Rudi Penk

Drehorgeln der ersten Generation spielen Musik mittels Stiftwalzen, die man ihnen einsetzt, ab. Spätere Modelle verfügen über Papierbänder. Die „Batterie“ bleibt dieselbe: Muskelschmalz. Durch gleichmäßiges Kurbeln erzeugt der innenliegende Blasebalg Luft, welche durch die Pfeifen strömt. Das Notenband steuert die Luftzufuhr, wodurch anschließend die jeweiligen Melodien erklingen. Trotz des vollständig analogen Antriebs ist die Lautstärke nicht zu unterschätzen. 108 Dezibel erreicht laut Clausnitzer etwa seine Drehorgel der Marke Raffin – „deshalb höre ich auch so schlecht.“

Man darf nicht kontaktscheu sein.

Rudi Clausnitzer, DJ ohne Strom

Seine größte Orgel verfügt über 31 Tonstufen, sechs Register und 119 Pfeifen – rund 21.000 Euro kostet das Modell heute. Nur einige wenige Hersteller kümmern sich heutzutage noch um Reparaturen oder bauen gar selbst noch Drehorgeln. Käufer gibt es nach wie vor. Die Drehorgel-Community, sie existiert.

Eingefleischte Drehorgel-Community

Rudi Clausnitzer ist fester Teil davon, ebenso wie er Mitglied des Vereins Internationale Drehorgelfreunde Berlin ist. Mehrere Male im Jahr trifft sich die Szene in und um Deutschland für Auftritte. „Man darf nicht kontaktscheu sein“, erklärt Rudi Clausnitzer mit Blick auf die eingefleischte Community. Er selbst tritt immer wieder auf Veranstaltungen auf, auf Geburtstagen und Hochzeiten, meist außerhalb der Region Heidenheim. Viele tausend Platten hat der Nattheimer inzwischen digitalisiert. Vor Ort bleibt es jedoch analog. Da gibt es nur eine Drehorgel, eine Kurbel und einen kräftigen Arm. Und Rudi Clausnitzer, der DJ, der ganz ohne Strom auskommt.

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